Der Land Cruiser holperte auf einem von Unrat und Trümmern übersäten Betonweg und bog auf eine ausladende überdachte Anlage ab, die von aufeinander gestapelten Containern und Betonbauten umgeben war. Der Platz war verlassen, der Wind pfiff über die Container und rappelte am Gebälk, als wolle er die herrschende Trostlosigkeit zusätzlich unterstreichen.
Der Cruiser erreichte das Verladebecken und Dex stellte den Motor ab.
In der eintretenden Stille konnte Blade nichts anderes hören als das Flattern einer Abdeckplane im Wind und das ferne Rauschen des Meeres. King und Abigail lösten ihre Sicherheitsgurte und stiegen aus. Blade folgte ihnen.
Der überdachte Bereich war düster und hatte etwas Höhlenartiges an sich, es roch intensiv nach Meersalz und Maschinenöl. Ein Licht flammte in der Dunkelheit auf, als Dex den Lichtschalter gleich neben dem Tor umlegte. Blade sah im’ Halbdunkel, dass gut ein halbes Dutzend Fahrzeuge darauf wartete, mit Panzerungen und Waffen ausgerüstet zu werden. Es gab ein kleineres Heer an Softail-Motorrädern, die alle in verschiedenen Umbauphasen steckten, sowie eine Handvoll Buell-Sportmotorräder, die ringsum an die Wände gelehnt waren. High-Tech-Werkzeuge und Drehbänke beanspruchten den verbleibenden Platz und warfen unheimliche Schatten auf den Boden.
Ein leises Summen ließ Blade aufhorchen. Er entdeckte eine Reihe von Überwachungskameras, die über ihm montiert waren und die jede seiner Bewegungen im Raum verfolgten.
Blade spürte, wie ihm ein Schauder über den Rücken lief. Das alles war ihm so vertraut, dass er seinen Atem anhielt, als er sich umsah. Fast hatte er gehofft, dass jeden Moment eine graubärtige Gestalt unter einer Motorhaube hervorkroch, sich die Hände an einem ölverschmierten Lappen abwischte und ihm anschließend vorhielt, was er nun wieder verkehrt gemacht hatte.
Was immer das für ein Ort war, er trug eindeutig die Handschrift des alten Mannes.
Ohne sich umzudrehen sah Blade zu King und sagte leise: „Ich dachte, die Vampire hätten Whistlers ganze Familie umgebracht.“
Abigail tauchte hinter ihm auf. „Das hatten sie auch. Ich kam später zur Welt, unehelich.“ Sie stellte sich neben Blade und betrachtete die Maschinen und die Ausrüstung. „Nach den Morden versteckte er mich. Er wollte, dass ich in Sicherheit war, weit weg von all diesen Dingen.“ Sie machte eine ausholende Geste, die die gesamte Werkstatt einbezog. „Aber ich schätze, die Jagd liegt uns im Blut.“
King bedeutete Blade, ihm zu folgen, und ging zu einer Treppe im hinteren Teil der Werkstatt. Schlamm und Algen machten die Stufen rutschig, die nach unten in das alte Trockendock führten.
Blade hatte das Gefühl, sich nicht in der Realität zu bewegen. Noch keine zweiundsiebzig Stunden war es her, da hatte er sich bei einer Tasse Kaffee mit Whistler darüber unterhalten, wer sich wohl als Vampirjäger besser machen würde – Batman oder Wolverine. Jetzt war Whistler tot, und sein eigenes Leben war buchstäblich ruiniert – und nun war es durch diese seltsame alternative Realität ersetzt worden. Wie konnte Whistler dies alles vor ihm geheimhalten? Es schien, als stecke der Mann nach wie vor voller Überraschungen, auch wenn er nicht mehr lebte.
Ein leises Geräusch ließ Blade aufhorchen und nach oben blicken. Diesmal sah er ein kleines Mädchen, das vielleicht fünf Jahre alt sein mochte und ihn aufmerksam von einem der Container aus beobachtete. Als es merkte, dass er es entdeckt hatte, duckte sich das Mädchen und zog sich mucksmäuschenstill in den Schatten zurück.
Blade schüttelte den Kopf.
Noch mehr Geheimnisse.
Er ging weiter zum Fuß der Treppe.
Auf der letzten Stufe angekommen, verkrampfte sich Blade ein wenig, als eine kleine, aber schlagkräftige Reihe automatischer Waffen von der Decke herunterfuhr, die an einem Roboterarm befestigt waren und sich unablässig drehten, um ihn im Visier zu behalten. Blade und die anderen wurden von einem Gitternetz aus Infrarotstrahlen abgetastet, die mit der Zielerfassung der Waffen verbunden war. Blade erstarrte mitten in seiner Bewegung, als die Lichtpunkte auf seine Stirn trafen. Er hoffte, dass derjenige, die diese Dinger kontrollierte, seinen Finger weit vom Abzug entfernt hatte.
Mit einer Kopfbewegung machte sich Abigail über die Bedrohung durch die Waffen lustig und winkte in eine Kamera, die an der Holzdecke befestigt war. Die roten Strahlen richteten sich sofort auf sie, bewegten sich über ihr Gesicht, dann schaltete ein kleines Licht nahe der Tür auf Grün um. Auch die Waffen wurden zurückgerufen, während sich das automatische System zur Personenerkennung abschaltete.
Abigail sah sich beiläufig zu Blade um und fuhr in ihrer Erzählung fort: „Als ich alt genug war, spürte ich meinen Vater auf und sagte ihm, dass ich mitmachen wolle.“ Sie zuckte nüchtern die Schultern. „Und seitdem bin ich dabei.“
Sie erreichte das Ende der Empore, von der eine Steintreppe nach unten ins Trockendock führte. Ein gewaltiger, massiv bewaffneter Schleppkahn ruhte dort auf Stützstreben. Es war offensichtlich, dass er noch repariert wurde. Abigail winkte wieder in eine Kamera, dann öffnete sich eine Stahltür auf dem Kahn, um ihnen Einlass zu gewähren.
Blade fand sich in einem überraschend großen Raum wieder. In der stählernen Hülle des Schleppkahns waren eine Werkstatt, ein Labor und ein kleiner Schießstand untergebracht.
Blade fühlte sich hier sofort wohl.
Die Barke war wesentlich besser in Schuss als das Bootshaus, doch auch sie täuschte darüber hinweg, dass die Menschen, die hier arbeiteten, vermutlich auch in keinem Telefonverzeichnis geführt wurden. Das Innenleben war ein Mischmasch aus Alt und Neu, ein kleiner Berg rostiger Teile aus der Werft war neben der Tür aufgetürmt worden und teilte sich notgedrungen den Platz mit einem Arsenal an High-Tech-Waffen und mit der medizinischen Ausrüstung. Alte Industriemaschinen und beschädigte Kisten ragten hinter Zentrifugen und DNS-Sequenzern hervor, und in eine Kiste, die hinter einem hochmodernen Elektroporator stand, hatte man ein verschimmeltes Fischernetz gestopft.
Insgesamt wirkte es wie ein Flohmarktstand des Pentagon.
King lächelte und breitete die Arme aus. „Willkommen im Honeycomb Hideout.“
So neugierig ihn das Ganze auch machte, achtete Blade darauf, sich nichts davon anmerken zu lassen. Er wollte diesen Leuten nichts in die Hand geben, was sie womöglich gegen ihn verwenden konnten. Natürlich war er ihnen dankbar dafür, dass sie ihn gerettet hatten, doch er hatte eine Vorahnung, auf welches Ziel diese kleine Führung hinarbeitete. Sie würden sich nicht so viel Mühe geben, wenn sie nur vorgehabt hätten, ihm Eis und ein paar Kekse anzubieten. Vor allem King hatte ihn die ganze Zeit über beobachtet, als versuche er, sich von ihm ein Bild zu machen.
Nein, diese Leute wollten etwas von ihm, und Blade hätte sogar fast gewettet, dass er wusste, was es war.
Doch abgesehen davon gab es hier einige interessante Dinge zu sehen. Blade stieß einen leisen Pfiff aus, als er die Geräte und Maschinen näher betrachtete. Er musste unumwunden zugeben, dass er bei der Hälfte von Whistlers Ausrüstung keine Ahnung gehabt hatte, welchem Zweck sie dienen mochte, doch er wusste sehr wohl, was diese Dinge kosteten. Das meiste davon hatte er für ihn bezahlt, indem er Gegenstände verpfändete, die er toten Vampiren und deren Vertrauten abgenommen hatte – mal eine Brieftasche, mal ein Diamantcollier. So kam eine Menge zusammen, und es half ihnen, wieder einen Tag länger zu überstehen.
Aber das hier war mindestens viermal so groß wie ihr letztes Quartier, und locker zweimal so gut ausgerüstet. Neugierig drehte er sich zu King um. „Wie finanziert ihr das hier?“
„Internet-Pornos.“ Kings Miene war so ausdruckslos wie I die von Blade. „Die Leute zahlen dafür, dass sie Frauen sehen können, die Schwänze aussaugen, und damit finanzieren sie unseren Kampf gegen die Typen, die Leute aussaugen.“
Blade sah ihn reglos an.
King begann zu grinsen und klopfte Blade auf den Rücken. „Nur ein Scherz.“
Blade starrte ihn unverwandt an.
King grinste noch breiter. „Komm schon, Mann. Das hier ist keine kleine Stümperorganisation, Blade. Wir nehmen unsere Arbeit sehr ernst.“