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Asher hob stumm seine Hand, da ihm nicht daran gelegen war, seine Schwester noch mehr zu reizen. Mit einem Aufschrei setzte sie ihren Tobsuchtsanfall fort und schleuderte eine unbezahlbare Marmorstatue quer durch den Raum. Sie landete auf einem Tisch und durchbrach die gläserne Tischplatte.

Dann endlich gab Danica auf und ließ sich einen Sessel fallen.

Asher zog eine Augenbraue hoch. „Hast du jetzt umgeräumt, was du umräumen wolltest?“

„Leck mich.“

Der Rottweiler löste sich aus dem Schatten und trottete zu ihr hinüber. Unter seinem glatten schwarzen Fell zeichneten sich seine geschmeidigen Muskeln ab. Er setzte sich vor Danica hin, legte seinen schweren Kopf auf ihr Knie und sah sie traurig an.

Asher fuhr unbeeindruckt fort: „Sieh es ein, Dan. Die haben uns kalt erwischt. Wir haben die Nightstalker unterschätzt.“

„Kalt erwischt?“ fiel Grimwood ihm ins Wort. „Die haben uns in den Arsch gefickt! Das trifft es wohl besser… Autsch!“ Er schrie vor Schmerz auf, als der Pfeil endlich aus seinem Schädel gezogen wurde und ein blutiges Loch zurückblieb.

Es folgte eine bedrückende Stille, bis Asher fragte: „Weiß er schon davon?“

„Von eurem Versagen?“

Die Vampire sprangen abrupt auf und erstarrten förmlich, als ein dunkelhaariger Mann den Raum betrat. Er war zwar nicht sonderlich groß, strahlte aber etwas Gebieterisches aus. In seiner Stimme lagen Stärke und Charisma. Nach dem Aussehen zu urteilen, schien der Mann Mitte dreißig zu sein, doch seine Augen verrieten etwas anderes. Die Wachen gingen in Habachtstellung, sogar der Rottweiler winselte und zog sich mit angelegten Ohren in eine Ecke zurück.

Der kalte Blick des Fremden wanderte über die Suite. Danica betrachtete das Chaos, das sie angerichtet hatte, und schien ein wenig zu schrumpfen.

„Ja, ich weiß davon.“ Der Mann ging zu Danica und legte ihr eine Hand auf die Schulter. Es war nur eine leichte Berührung, aber sie ließ Danica bis in ihr Innerstes frösteln. Sie sah weg, da sie ihm nicht ins Gesicht blicken konnte.

Der Mann nahm von Danicas Unbehagen nichts wahr, oder aber es kümmerte ihn nicht. Er richtete seine Aufmerksamkeit auf die Skyline der Stadt. Die kaputte Fensterscheibe reflektierte funkelnd das Licht.

„Vielleicht ist es an der Zeit, dass ich ins Geschehen eingreife.“

Im Hauptquartier der Nightstalker knöpfte King den Kragen wieder zu und wurde dabei von Blade und Abigail genau beobachtet.

„Kennst du diesen Typ Frau, bei dem man von vornherein nichts als Schwierigkeiten erwarten kann?“ King sah zu Boden, als er sprach. Offenbar musste er mit sich ringen, um darüber zu reden. „Du siehst so eine Frau nur an, und schon schrillen die Alarmglocken los. Dein Gehirn fordert dich auf, sofort das Weite zu suchen, trotzdem fragst du sie nach ihrer Telefonnummer. Das sind die Frauen, an die ich immer gerate.“ King schwieg kurz und dachte zurück an frühere Zeiten. Mit leiser Stimme und einem verschwörerischen Blick in den Augen sagte er dann: „Aber diese Betty hat alle anderen übertroffen.“

King ging zum nächsten Computer und zog seine elektronische Pistole. Er drückte auf einen Knopf an der Seite, dann wurde am Griff eine Minidisk ausgeworfen. Er legte sie in ein externes Laufwerk, das mit dem Rechner verbunden war, gab ein Passwort ein und ließ den Film ablaufen, den er mit der Kamera in der Waffe aufgezeichnet hatte, als sie Blade herausgeholt hatten.

Der war insgeheim höchst beeindruckt, auch wenn er sich wegen seiner Vorbehalte nichts anmerken ließ.

Trotz der mäßigen Qualität des digitalisierten Materials waren die Gesichter von Asher, Danica und Grimwood deutlich zu erkennen. King drückte auf die Maus, so dass die Aufnahme in Zeitlupe Bild für Bild vorrückte. Er zeigte auf die Frau auf dem Monitor. „Ihr Name ist Danica Talos. Du hast sie kennen gelernt. Das links ist ihr Bruder Asher.“ King holte das Bild näher ran. „Der grobe Klotz hinter den beiden ist Jarko Grimwood.“

King betätigte wieder die Maus, das Bild stoppte und zeigte Danicas Gesicht in solcher Vergrößerung, dass die einzelnen Pixel erkennbar wurden. Er deutete auf den Monitor. „Ich lernte sie in einer Bar kennen, ich hatte einen One-Night-Stand mit ihr, und danach war ich fünf Jahre ihr kleines Vampirschoßhündchen.“

Er sah wie hypnotisiert auf den Bildschirm. Danica war wirklich eine Schönheit, doch Kings Hass auf sie war so gewaltig, dass er sich mit aller Macht beherrschen musste, nicht den Monitor zu zerschmettern, nur um dieses Bild verschwinden zu lassen. Schmerzhafte Erinnerungen schnitten sich wie eine Welle aus glänzenden Rasierklingen durch seinem Kopf, doch er musste sich zwingen, das Gefühl zu verdrängen. Die Rache konnte noch warten. Erst einmal mussten sie wissen, was sie vorhatte.

King winkte Blade zu sich, öffnete seine Gürtelschnalle und schob seine Hose ein Stück weit nach unten. Blade starrte ihn nur an, doch King deutete auf das markante Vampirschriftzeichen, das ihm auf die Hüfte tätowiert worden war. Es war Danicas Name in der Schrift der Vampire.

King sagte nichts, sondern ließ Blade diese Enthüllung erst einmal verarbeiten. Dann zog er die Hose wieder hoch und wandte sich dem Daywalker zu. „Schließlich fand mich Abigail. Sommerfield entdeckte einen Weg, um mich zu heilen. Jetzt töte ich sie.“

Er holte tief Luft und kämpfte mit sich, ehe er ein schwaches Lächeln zustande brachte. „Das nennt man ,ein Stirnrunzeln auf den Kopf stellen’.“

Abigail übernahm rasch für ihn: „Wir müssen unsere Ressourcen zusammenwerfen, Blade.“

Sein Blick war noch immer auf King gerichtet. „Warum?“

„Weil er zurückkommt.“ Abigail warf Blade einen Ausgabe des Comics Tomb of Dracula über den Tisch zu. Der sah kurz auf die Titelseite, dann starrte er Abigail an.

„Das soll doch wohl ein Witz sein.“

„Es gibt ihn wirklich, Blade.“ King spreizte die Finger. „Du musst nur hinter all diese Filme und Mythen blicken. Du musst all das entfernen, was unsere Kultur in den letzten fünfhundert Jahren dazugedichtet hat, dann stößt du auf die Wahrheit.“

Blade war nicht davon überzeugt. „Dann zeigen diese Filme alle die Wahrheit?“

King schüttelte den Kopf. „Die sind nur Märchen, die Trost spenden – jedenfalls im Vergleich zur Wahrheit. Bei diesem Kerl gibt es kein Happy End. Peter Cushing kommt nicht in letzter Sekunde ins Zimmer gestürmt und rettet die Welt mit einem Kruzifix und etwas Weihwasser.“ Er zeigte auf das gespenstische Titelbild des Comics. „Der gute alte Bram Stoker hat eine ganz nette Geschichte geschrieben. Aber was er 1897 beschrieb, war nur ein winziges Mosaiksteinchen. Der wahre Ursprung von Dracula liegt viel weiter zurück.“

„Wie viel weiter?“

Abigail meldet sich zu Wort. „Bei sechs- bis siebentausend Jahren dürftest du ziemlich nah dran sein.“

9

Im Flur gleich neben dem völlig demolierten Penthouse in den Phoenix Towers stand ein dunkelhaariger Mann am offenen Fenster und betrachtete die Stadt. Tief unter ihm säumten flackernde Neonschriften die Straßen. Sie waren aus allen Richtungen kilometerweit zu sehen. Das helle Licht der vielen Autoscheinwerfer und hell erleuchteten Bürokomplexe verlieh dem nächtlichen Himmel einen beißend gelben Glanz. Der Mond und die Sterne waren nicht zu sehen, da der künstliche Schein der Stadt sie verblassen ließ. Sogar die fernen Gebirgszüge schienen im Schatten der Betonlandschaft zu stehen, die sich nach überall hin erstreckte.

Er empfand diesen Anblick als schön und abstoßend zugleich.

Dreihundert Jahre war es her, dass er sich schlafen gelegt hatte. Die Frau, Danica, hatte ihm das jedenfalls gesagt. Innerhalb von knapp einem Tag hatte sie ihm fast drei Jahrhunderte Menschheitsgeschichte zusammengefasst, damit er auf dem aktuellen Stand war. Selbst für jemanden wie ihn war das sehr viel zu verarbeiten gewesen, nicht zuletzt deshalb, weil sie unablässig von den beiden Schoßhündchen der Frau unterbrochen worden waren. Wie nannten sie sich noch gleich? Ah, ja. Grimwood und Asher.