Und so wurde er nun für seine Verbrechen bestraft!
Sie hatten aus ihm eine Witzfigur gemacht!
„Ey Typ, sie redet mit dir.“
Drake riss den Kopf herum. In seinen schwarzen Augen brannte unbändiger Hass, während sich der junge Mann eine Süßigkeit namens Graf Schokula in ein Schälchen schüttete.
Passanten gingen schnell in Deckung, als ein schreiender junge Mann durch das Schaufenster geflogen kam. Seine Flugbahn beschrieb eine perfekte Parabel quer über die Straße, bis er mit dem Kopf voran in das Schaufenster des Geschäfts gegenüber krachte.
Im Laden schrie sich die junge Frau die Lunge aus dem Hals, während Drake sich ihr voller Zorn näherte. Ehe sie Luft holen konnte für einen zweiten Schrei, schoss Drakes Arm so schnell vor wie eine zuschnappende Viper. Er packte ihr volles Haar und riss sie rückwärts über die Theke. Seine Kiefer drückten sich auf ihre samtweiche Kehle, das Blut spritzte umher, als er seine ausgefahrenen Reißzähne durch ihre blasse Haut trieb. Warmes Blut lief in einem dicklichen Strom über seine Zunge und die Kehle hinunter. Drake trank gierig und schluckte so schnell, wie das Herz der Frau schlug. Er spürte, wie ihn das Leben erfüllte, das aus ihrem Körper wich. Seine fahle Haut bekam Farbe, als das geraubte Hämoglobin Wirkung zeigte und ihn auf Zellniveau verjüngte.
Die Glasplatte der Theke gab unter der zappelnden Frau, nach. Nur mit Mühe konnte Drake sich von ihrer Kehle losreißen, eine glitzernder Blutfaden spann sich wie ein hauchzarter Messerschnitt über ihre weiße Haut. Blindlings hob er sein blutverschmiertes Gesicht, während die Knochen unter seiner Haut sich verschoben und für den Bruchteil einer Sekunde eine andere, finstere Gestalt an der Oberfläche seines Körpers abbildeten. Es war eine Gestalt, die die Menschheit seit Jahrhunderten nicht mehr zu sehen bekommen hatte, die aber von Zeit zu Zeit in Alpträumen und Todesvisionen auftauchte.
Es war die Gestalt, die unter Kinderbetten lauerte, mit rotglühenden Augen, während sie darauf wartete, zuzuschlagen und sich zu laben…
Die Gestalt, die Jugendlichen nachts durch die Straßen folgte, aber immer außerhalb des Lichtscheins der Straßenlaternen blieb…
Die Gestalt, die erwachsene Männer dazu brachte, nachts um drei schreiend aufzuwachen und sich am Bettzeug festzuklammern, um dann nach Schatten zu schlagen, die sich in der Morgendämmerung auflösten…
Und nun endlich war der Alptraum freigelassen worden.
Und er war in die reale Welt gelangt.
Drake schleuderte den blutleeren Leichnam der jungen Frau in eines der übervollen Regale. Während er dabei einen Ständer mit Buffy-Figuren umriss, hatte sich Drake bereits abgewandt und stieß ein markerschütterndes Wutgebrüll aus, das zur schwarzgestrichenen Decke gerichtet war.
Der Schrei, der nicht von dieser Erde zu sein schien, hallte in den Betonschluchten von Downtown wider und wurde von einem Chor aus jaulenden Hunden beantwortet, die durch die Seitenstraßen streunten.
Die Botschaft war unmissverständlich.
Die Menschen würden für ihre Ignoranz teuer bezahlen.
Als der Morgen anbrach, gesellten sich die anderen zu Blade und King in den Waffenraum des Nightstalker-Hauptquartiers.
Die beiden hatten sich die ganze Nacht hindurch unterhalten. Blade war hellwach, angetrieben vom Adrenalinstoß der Ereignisse. King rieb sich die Augen und gähnte. Die Oberlichter waren geöffnet worden, grelle weiße Sonnenstrahlen fielen in den Raum und streiften ihre Schultern mit Wärme.
Gemeinsam saßen sie da und schwiegen nachdenklich, während sie zusahen, wie aus einer Kanne mit schwarzem Kaffee Dampf aufstieg.
Blade dachte über das nach, was King ihm berichtet hatte. Sie hatten die Ereignisse der letzten vierundzwanzig Stunden aus jedem nur denkbaren Blickwinkel diskutiert, aber er war noch immer kein bisschen schlauer, was die Vampire vorhatten. Er lehnte sich nach hinten gegen die ramponierte Werkbank und streckte seine muskulösen Arme in die Höhe, während er sich das Geschehene noch einmal durch den Kopf gehen ließ: die verstärkten Vampir-Aktivitäten der letzten drei Monate, Draculas Existenz und seine Auferstehung, der Versuch der Vampirgang, ihm einen Mord anzuhängen.
Irgendeinen Zusammenhang musste es zwischen diesen Dingen geben.
Blade tippte unschlüssig mit den Fingern auf die Platte der Werkbank. „Warum wecken sie ihn ausgerechnet jetzt auf?“
Abigail fuhr mit einer Hand durch Zoes Haar, während sie sich mit abwesender Miene in dem vollgestellten Labor umsah. „Das versuchen wir ja herauszufinden.“
King drehte sich nachdenklich zu Blade um. „Als ich Vampir war, wurde von einer Vampir-Endlösung gesprochen.“ Er rieb sich den Nacken und sagte mehr zu sich selbst: „Aber ich habe nie begriffen, warum sie ihre Nahrungsquelle auslöschen wollten.“ Wieder sah er zu Blade: „Das wäre doch dumm, nicht wahr? Sie haben schon immer irgendwelche Pläne für die menschliche Rasse geschmiedet, aber so wie es aussieht, ist Draculas Rückkehr Teil dieser Planungen.“
Blade nickte nachdenklich.
King stützte sich auf die Werkbank und betrachtete die Sonnenstrahlen, die durch die offenen Fenster fielen. „Seien wir doch mal ehrlich, Blade. Wir stehen auf verlorenem Posten. Jedes Jahr bringen wir ein paar Hundert von ihnen um, na und? Tausende Vampire sind da draußen unterwegs. Vielleicht sogar Zehntausende. Wir brauchen eine neue Taktik.“
Blade zuckte unbeeindruckt mit den Schultern. „Zum Beispiel?“
King beugte sich vor, seine Augen blitzten auf. „Eine biologische Waffe.“
Sommerfield begab sich zu ihrer Braille-Tastatur und tippte etwas ein. Sie lächelte, als sie sich wieder umdrehte. „Für diejenigen unter euch, die sehen können – hier gibt es was für euch.“
Blade und King drehten sich um, als ein Flachbildmonitor gleich neben ihnen anging und das Bild eines vergrößerten Virus zeigte, das sich in Echtzeit vermehrte. Während sie zusahen, teilte sich das Virus immer weiter, bis nach wenigen Sekunden nur noch eine schwarze Zellmasse zu sehen war.
Sommerfield betätigte eine andere Taste und holte eine der sich bewegenden Viruszellen heran, die sich so schnell teilte, dass der Ablauf fast nur noch verwischt zu sehen war. „Das ganze letzte Jahr über habe ich mit synthetischer DNS experimentiert, um ein künstliches Virus zu erschaffen, das speziell auf Vampire ausgerichtet ist. Wir nennen es DayStar.“
King stand begeistert auf. „Überleg doch, Blade. Wir könnten sie alle mit einem Schlag vernichten.“
„Und was hat euch bislang davon abgehalten?“ gab Blade zurück, der nicht überzeugt war.
Sommerfield seufzte. „Wir haben es bei mehreren Gefangenen getestet. Den Krankheitsvektor haben wir gut im Griff, es wird leicht übertragen. Aber es wirkt nicht bei jedem Vampir tödlich.“
Abigail stand auf: „Was wir brauchen, ist eine bessere DNS-Probe.“ Sie wandte sich ab und sah nachdenklich aus dem Fenster. „Wir brauchen Draculas Blut.“
Blade starrte sie nur an.
Sommerfield schaltete den Computer aus. „Vampir-DNS ist ein Mischmasch aus verschiedenen Genen, die mit allen möglichen Arten von Junk-DNS durchsetzt ist.“ Sie zeigte auf eine Wandtafel. „Da Dracula der Urvater der Vampirrasse ist, besitzt er die völlig reine Basis-DNS. Sie wurde nicht über Hunderte von Generationen verdünnt. Sie besitzt alle erforderlichen Zellverbindungen, um das Virus zu kodieren.“ Sie unterbrach sich kurz. „Wenn wir sein Blut haben, können wir DayStar auf hundertprozentige Wirkung verbessern.“
King wandte sich zu Blade um und sah, wie diese Erkenntnisse auf ihn einwirkten. Das Gesicht des Daywalkers war so ausdruckslos wie immer, doch King konnte mit ziemlicher Sicherheit sagen, was ihm durch den Kopf ging. Er konnte fast hören, wie sich die Rädchen in seinem Gehirn drehten.