In letzter Zeit fühlte sich Hoop unwiderstehlich zu der jungen Frau hingezogen, die hier in der Bar arbeitete. Sie trug eine Woche lang dieselbe Strumpfhose, kaute mit offenem Mund auf Nachos herum und würde selbst dann nicht wissen, dass sie Zahnseide vor sich hatte, wenn sie jemand mit dem Zeugs erwürgte.
Hoop starrte sie an und sah mit weit aufgerissenen Augen zu, wie sie das übergelaufene Bier, das sich auf dem Tablett unter dem Zapfhahn gesammelt hatte, in ein Glas schüttete, einen raschen Blick über die Schulter warf, um sicher zu sein, dass niemand sie beobachtete, und dann einen hastigen Schluck aus dem Glas trank. Dann wischte sie sich mit dem nassen Handtuch schnell das Kinn ab.
Hoop seufzte und beobachtete sie lüstern.
Eines Tages würde sie ihm gehören…
Er wurde aus seinem schmutzigen Tagtraum gerissen, als auf einmal die Tür aufgetreten wurde und drei Fremde hereinkamen. Er ignorierte die beiden Männer – ein großer, gefährlich aussehender Afroamerikaner in einem langen Ledermantel und mit Sonnenbrille, der andere ein Weißer in abgewetzter Jacke – und richtete seinen Blick stattdessen auf die Frau, die mit ihnen hereinkam. Eine Woge der Lust durchzuckte seinen Körper, als er sie ansah.
Mann, war das eine heiße Braut.
Hoop starrte sie begeistert an, von ihren Stiefeln mit den Metallbeschlägen bis zu ihrem zerzausten blonden Haar. Sie hatte die Figur einer Amazone, hohe Wangenknochen und eine Haut, die aussah wie edles Porzellan. Sie trug eine Tarnhose, Lederhandschuhe und eine coole Motorradjacke mit rotem Besatz. Auf ihrer Kleidung lag eine dünne Staubschicht, als wäre sie mit offenem Fenster unterwegs gewesen.
Ihm lief das Wasser im Mund zusammen, während er überlegte, ob sie wohl erst ihr Make-up entfernen würde, bevor sie ins Bett ging.
Als würde sie seinen hitzigen Blick spüren, blickte die Schönheit auf einmal zu ihm hin. Hoops dämliches Grinsen erstarrte zu einer Fratze, als sich die Augen der Frau wie zwei Laser in sein Gehirn bohrten.
Sie wusste es.
Er fühlte es mit absoluter Sicherheit, während sein Herz kurz auszusetzen schien. Ehe sein Gehirn ihm sagen konnte, was er machen sollte, hatten sein Beine längst das Denken übernommen und trugen ihn in aller Eile zur Hintertür. Er wusste nicht, warum er rannte, er wusste nur, dass er schnellstens von hier verschwinden musste.
Als er die Flucht ergriff, sah er noch, wie der große schwarze Kerl hinter die Theke sprang und den Kühlschrank darunter aufmachte. Shit! Jedes Fach war mit gefrorenen Blutbeuteln vollgestopft, die alle aus der innerstädtischen Blutbank stammten.
Hoop hatte das Gefühl, dass sich die Welt von ihm zurückzog. Diese Bar war nur eine Tarnung, wie so viele andere Plätze in der Stadt auch. Er wusste, dass im hinteren Teil Dutzende von hochmodernen, sargähnlichen Betten standen, in denen die Vampire den Tag über ungestört schlafen konnten.
Dass die Fremden hergekommen waren, konnte nur eines bedeuten: Sie waren aufgeflogen.
Unterbewusst stieß er einen leisen Angstlaut aus und rannte an den Toiletten vorbei, um durch die Hintertür nach draußen zu verschwinden. Der warme, faulige Gestank aus den Mülltonnen hinter dem Gebäude schlug ihm entgegen, doch er war draußen – unter freiem Himmel in der Morgensonne.
Erleichtert atmete er auf, dass er entkommen war, doch fast im gleichen Moment stieß er einen Schrei wie ein kleines Mädchen aus, als er mit der Amazone aus der Bar zusammenstieß.
Sie hatte ihn bereits erwartet.
Hoop machte auf dem Absatz kehrt und wollte zurückrennen, doch er merkte, wie ihm die Beine unter dem Leib weggerissen wurden. Ehe er jedoch hinfallen konnte, hatte die Frau bereits einen Arm um seinen Hals gelegt, während sie mit dem anderen nach seinem Handgelenk griff und seinen freien Arm so sehr auf den Rücken drehte, dass er vor Schmerz aufschrie.
Auf einem Knie stützte sie das Gewicht seines Körpers ab und zog seinen Kragen nach unten, als würde sie im Supermarkt einen Kopfsalat begutachten. In aller Ruhe untersuchte sie seinen Nacken und entdeckte das Vampirschriftzeichen, das ziemlich grobschlächtig mit dunkelblauer Tinte in seine Haut tätowiert worden war.
Dann lächelte sie.
Zwei Stunden später warfen die Straßenschluchten der Stadt das Echo panischer Schreie zurück. Blade schien vom Gebrüll seines Opfers gar nichts wahrzunehmen, als er zur Brüstung des Parkdecks ging und dabei den zappelnden, arg verprügelten Hoop fest im Griff hatte. Von dem guten Dutzend Vertrauter, die sie in den letzten Stunden aufgegriffen und verhört hatten, weigerte sich nur Hoop, mit der Sprache herauszurücken.
Blade wusste, dass es dafür nur zwei Erklärungen gab. Entweder verschwieg Hoop etwas, oder er war einfach nur sehr, sehr dumm.
Der Daywalker trat näher an die Brüstung heran, spähte über den Rand und pfiff anerkennend, als er die tief unter ihm liegende Straße betrachtete.
Dann warf er den mageren Vertrauten vom Dach.
Es war ein Sturz über fünf Etagen, und Hoop schrie sich die Lunge aus dem Hals, als der Fußweg auf ihn zugeschossen kam.
Sein Kopf wurde herumgerissen, als sein Sturz abrupt gestoppt wurde – keine drei Meter über dem Boden. Er baumelte umher, die Welt drehte sich um ihn, und er schrie noch immer, bis ihm die Luft ausging. Er wünschte sich, niemals geboren zu sein. Das dicke Seil um seine Knöchel knarrte beängstigend und zog sich brutal zusammen, doch es hielt.
Noch.
Blade stand auf dem Dach, das andere Ende des Seils lässig um die Schultern gelegt. Mühelos zog er den Mann wieder zu sich nach oben, ließ sich aber unerträglich viel Zeit. Als er nur noch ein paar Meter unter ihm war, hielt er inne. King und Abigail standen hinter Blade und starrten ihn an.
Hoop hing kopfüber da und drehte sich am Seil, alle Gedanken ausschließlich auf den Boden unter ihm gerichtet.
Blade hatte noch nie jemanden gesehen, der so grün im Gesicht war. Jedenfalls keinen Menschen.
„Noch eine Runde, Arschloch?“ Blade grinste und amüsierte sich köstlich. In einem hatte Whistler auf jeden Fall Recht gehabt: Es waren die kleinen Dinge im Leben, die den meisten Spaß machten. Er nahm eine Hand vom Seil und winkte Hoop zu, der wieder zu schreien begann. „Wenn du so weitermachst, platzt dir noch dein Kopf.“
Hoop versuchte, mit blutenden Händen an den unverputzten Ziegelsteinen des Gebäudes Halt zu finden. „Scheiße! O Jesus, bitte…“
„Wer erteilt dir deine Befehle?“ Blade spielte mit einem losen Faden, der aus dem Seil lugte.
„Ich weiß nicht, wie er heißt. Ich schwöre…“
Falsche Antwort. Blade machte sich bereit, den Mann erneut fallen zu lassen.
Ein Kombi schraubte sich auf der kreisförmigen Ausfahrtspur des Parkdecks langsam nach unten. Die beiden Jungen auf der Rückbank quetschten die Nasen an den Fenstern platt, um besser sehen zu können, wie der irre Typ an einem Seil auf und ab baumelte. Das war toll. Drei Stunden lang waren sie von ihrer Mutter von einem Schuhgeschäft zum nächsten gezerrt worden, doch der Typ hier entschädigte sie für alles.
Hoch oben über ihnen kniff Hoop die Augen zu und schrie auf, da er den dritten und letzten Sturz in die Tiefe erwartete. Auf einmal klingelte in seiner Tasche ein Mobiltelefon. Hoop öffnete die Augen wieder und blickte wild um sich, ehe er begriff, dass er nicht fallengelassen worden war. Er begann hektisch zu zappeln und versuchte, das Telefon aus der Tasche zu ziehen. O nein, das war überhaupt nicht gut!
Neugierig zog Blade den Mann bis zur Dachkante, klemmte das Seil zwischen die Knie, um dann mit einer Hand Hoops Jacke aufzureißen und mit der anderen das Mobiltelefon herauszuholen. Er klappte das Gerät auf und las auf dem Display den Namen des Anrufers. ,Edgar Vance’ stand dort zu lesen, dazu die Nummer eines Piepers.