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An Bord des Schiffs ging das Leben weiter. Es war anscheinend ziemlich ähnlich wie auf dem Schiff des Freien Mars, wo es Jackie dem Vernehmen nach gut ging. Als die Schiffe an der gleichen Stadt anlegten, war Athos immer noch in Jackies Nähe. Man begrüßte sich freundlich, und dann kam man auf andere Themen zu sprechen, gewöhnlich den aktuellen Verlauf der Kampagne. Auch der Wahlfeldzug verlief gut. Unter Mayas Leitung ging die Kampagne der Grünen besser voran als zuvor; aber die Stimmung gegen die Einwanderer war stark. Überall, wohin sie kamen, sprachen die Berater und Kandidaten des Freien Mars bei den Zusammenkünften, und Jackie hatte nur gelegentliche feierliche Auftritte. Sie war hier eine viel stärkere und intelligentere Rednerin als sonst. Aber durch Beobachtung der anderen Sprecher gewann Maya einen guten Eindruck davon, wer sich auf oberster Ebene der Organisation befand, und einige dieser Personen schienen sehr erfreut zu sein, daß sie ins Rampenlicht gerückt worden waren. Ein junger Mann namens Nanedi, auch einer von Jackies jungen Burschen, trat besonders hervor. Und Jackie schien das nicht zu gefallen. Sie gab sich ihm gegenüber kühl und wandte sich mehr und mehr Athos und Mikka zu, sogar Antar kam zu neuen Ehren. An manchen Abenden schien sie eine wahre Königin unter ihrem Gefolge zu sein. Aber Maya konnte dahinterblicken. Sie hatte es bei Anteus erlebt. Sie konnte aus hundert Metern Entfernung die Finsternis im Kern der Dinge erkennen.

Nichtsdestoweniger bat Maya Peter, als er ihren Anruf erwiderte, zu einem Besuch, um über die bevorstehenden Wahlen zu sprechen. Und als er dann eintraf, empfing ihn Maya mit gespannter Ruhe. Es würde etwas passieren.

Peter wirkte gelassen und ruhig. Er lebte in diesen Tagen in Charitum Montes und arbeitete an dem Projekt der Argyre-Wildnis und auch in einer Koop, die, für Leute, die den Aufzug vermeiden wollten, Pläne für Verbindungen vom Mars in den Weltraum machte.

Entspannt, ruhig, sogar etwas zurückgezogen. Ähnlich wie Simon.

Antar war auf Jackie böse, weil sie ihn mehr als üblich mit der mangelnden Diskretion in ihrem Umgang mit Athos ärgerte. Mikka war noch ärgerlicher als Antar. Jetzt, wo Peter da war, provozierte und verstimmte Jackie auch Athos, da sie all ihre Aufmerksamkeit Peter zuwandte. Sie war so zuverlässig wie ein Magnet. Aber sie war von Peter angezogen, der ihr gegenüber wie immer gleichgültig war, Eisen für ihren Magneten. Es war deprimierend, wie vorhersagbar sie waren. Aber nützlich. Die Kampagne des Freien Mars verlor allmählich an Schwung. Antar war nicht mehr so kühn, den Mahjaris von Qahira vorzuschlagen, sie sollten in dieser Zeit der Unruhe Arabien besser vergessen. Mikka verstärkte die Kritik von Mars Zuerst in verschiedenen Positionen, die nicht mit der Einwanderung zu tun hatten, und zog einige andere Mitglieder des Exekutivrates in seinen Kreis. Ja, Peter verstärkte Jackies unpolitische Seite und machte sie unberechenbar und leistungsschwach. Damit verlief alles wie von Maya geplant. Man mußte Jackie nur Männer wie Kegelkugeln zuschieben, und sie legte los. Dennoch empfand Maya keinen Triumph.

Und dann fuhren sie aus der letzten Schleuse in die Malachit-Bucht hinaus. Eine trichterförmige Einkerbung des Hellas-Meeres, deren sonnenbeschienenes seichtes Wasser durch starken Wellenschlag gepeitscht wurde. Weiter draußen drangen sie sanft in die dunklere See vor, wo viele Frachter und kleinere Schiffe sich nach Norden auf Hell’s Gate zuwandten, den größten Tiefwasserhafen an der Ostküste von Hellas. Ihr Schiff folgte dieser Parade, und bald erschien über dem Horizont die große Brücke über Dao Vallis und dann die von Gebäuden bedeckten Wände am Eingang zum Canyon. Danach die Masten, die lange Pier und die Helligen des Hafens.

Maya und Michel gingen an Land und zogen durch die gepflasterten und gestuften Straßen zu den alten Praxisunterkünften unter der Brücke. In der nächsten Woche sollte ein Herbstfest stattfinden, das Michel besuchen wollte, und dann würden sie sich nach Minus One Island und Odessa begeben. Maya machte sich zu einem Spaziergang durch die Straßen von Hell’s Gate auf, froh, der Enge des Kanalschiffs entkommen zu sein und frei losziehen zu können. Es war kurz vor Sonnenuntergang am Ende eines Tages, der im Großen Kanal begonnen hatte. Die Reise war vorbei.

Maya hatte Hell’s Gate zuletzt im Jahre 2121 besucht, bei ihrer ersten Tour um das Becken. Sie hatte damals für Deep Waters gearbeitet und war zusammen gereist mit — mit Diana! So hieß sie. Esthers Enkelin und Cousine zweiten Grades von Jackie. Dieses große fröhliche Mädchen hatte für Maya die erste Bekanntschaft mit jungen Eingeborenen bedeutet, nicht nur über ihre Kontakte in den neuen Siedlungen rings um das Becken, sondern auch durch sie selbst in ihrem Verhalten und ihren Ideen, die Art, wie Erde für sie bloß ein Wort war, und wie ihre eigene Generation alle ihre Interessen und Bemühungen absorbierte. Das war das erste Mal gewesen, daß Maya das Gefühl hatte, der Gegenwart zu entgleiten, hinein in die Geschichtsbücher. Nur intensivste Bemühung hatte es ihr ermöglicht, sich weiter in den Dingen des Augenblicks zu engagieren und auf jene Zeiten Einfluß zu nehmen. Es war eine der großen Perioden ihres Lebens gewesen, vielleicht die letzte große Periode ihres Lebens. Die Jahre danach waren wie ein Wildwasser im Gebirge des Südens gewesen, eine Wanderung durch Spalten und Gräben und dann ein jähes Versinken in einem unerwarteten Strudel.

Aber einmal, vor sechzig Jahren, hatte sie genau hier gestanden, unter der großen Brücke, welche die Straße von Klippe zu Klippe über die Mündung des Dao-Canyons führte, die berühmte Hell’s-Gate-Brücke, wo die Stadt sich zu beiden Seiten des Flusses vor der See auf den steilen, von der Sonne bestrahlten Abhängen hinuntersenkte. Damals hatte es hier draußen nur Sand gegeben, bis auf ein am Horizont sichtbares Band aus Eis. Die Stadt war kleiner und schlichter gewesen, die Stufen der steinernen Straßentreppen roh und staubig. Jetzt waren sie durch die sich mühsam darauf hocharbeitenden Füße glatt und abgeschliffen. Der Staub war von den Jahren weggewaschen worden. Alles war sauber und hatte eine dunkle Patina. Es war jetzt ein schöner mediterraner Hafen, in den Schatten einer Brücke gefügt, welche die ganze Stadt zu einer Miniatur machte, wie etwas in einem gläsernen Briefbeschwerer oder eine Postkarte aus Portugal. Sehr schön in einem frühen herbstlichen Sonnenuntergang. Zum Westen hin beschattet und frisch, alles in Sepia, für den Moment in Bernsteinfarbe getaucht. Aber einst war sie diesen Weg mit einer lebhaften jungen Amazone gegangen, als sich eine ganze neue Welt auftat, der natürliche Mars, dem sie mit zum Leben verholfen hatte, während sie noch ein Teil von ihm war.

Die Sonne ging bei diesen Erinnerungen unter. Maya kehrte zum Praxishaus zurück, das noch unter der Brücke stand und deren letzte dahin führende Treppe so steil war wie eine Leiter. Während sie hinaufstieg und auf ihre Schenkel drückte, um nachzuhelfen, hatte Maya plötzlich einen überwältigenden Eindruck von deja vu. Sie hatte das schon einmal gemacht. Sie erklomm nicht nur diese Stufen, sondern tat das mit dem Gefühl, daß sie sie schon früher erstiegen hatte. Dabei empfand sie genau dasselbe wie bei einem noch früheren Besuch. Sie war ein wirksamer Teil der Welt gewesen.