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Unter Einsatz dieser Technik liefen die Gewinner die fünfzig-Meter-Distanz in 4,4 Sekunden, die hundert Meter in 8,3, die zweihundert in 17,1 und die vierhundert in 37,9. Aber in allen Fällen schienen die durch ihre Geschwindigkeiten geschaffenen Gleichgewichtsprobleme sie an einem vollen Sprint zu hindern, wie Maya sich erinnerte, sie in ihrer Jugend gesehen zu haben.

Bei den größeren Strecken war der Laufstil ein anmutiger springender Schritt, ähnlich dem, was sie seinerzeit in Underhill als den Marstrott bezeichnet hatten, wo sie es ohne viel Erfolg in ihren engen Schutzanzügen probiert hatten. Jetzt war es wie Fliegen. Eine junge Frau führte fast das ganze Rennen über zehntausend Meter und hatte genügend Reserven, um gegen Schluß scharf anzuziehen. Sie beschleunigte während der ganzen letzten Runde und wurde immer schneller, bis sie wie eine Gazelle nur noch alle paar Meter den Boden berührte und die anderen Läufer überrundete, die sich abzuquälen schienen, während sie an ihnen vorüberflog. Es war herrlich. Maya brüllte sich heiser. Sie hielt sich an Michels Arm fest, und Tränen kamen ihr beim Lachen. Es war so erstaunlich und wundervoll, diese neuen Kreaturen zu sehen; und dennoch war sich keiner von ihnen dessen bewußt. Keiner!

Sie sah es gern, wenn Frauen Männer besiegten, obwohl diese selbst es nicht zu bemerken schienen. Frauen gewannen etwas öfter bei Langstrecken und Hürden, Männer beim Sprint. Sax sagte, daß Testosteron der Kraft hilfreich wäre, aber schließlich zu Krämpfen führte und Erfolge über große Distanzen verhinderte. Auf jeden Fall kam es bei den meisten Wettbewerben auf die Technik an. Und darum sah man, was man sich wünschte, dachte sie. Zurück auf die Erde — aber die Leute dort hätten gelacht, wenn sie einen Satz mit dieser Bemerkung angefangen hätte. Zurück auf die Erde — na und? Es hatte in der Nestwelt alle Arten bizarren und häßlichen Verhaltens gegeben; warum sollte man sich Sorgen machen, wenn eine Hürde näher kam und ein anderer Läufer am Rande des Gesichtsfeldes auftauchte? Fliegen, fliegen! Sie schrie, bis sie heiser war.

Am Ende des Tages machten die Athleten, die mit ihren Wettkämpfen fertig waren, einen Weg in das Stadium und rund um die Bahn frei; und ein einzelner Läufer trabte unter anhaltendem Beifall und wilden Hochrufen herein. Es war Nirgal! Mayas Kehle schmerzte vor Heiserkeit, als sie ihm zurief.

Die Querfeldeinläufer waren an diesem Morgen am Südende von Minus One gestartet, barfuß und nackt. Sie hatten über hundert Kilometer über die Zentralmoore von Minus One, ein teuflisches Netz von Schluchten, Gräben, Pingos, Böschungen und Steinabstürzen, zurückgelegt. Offenbar war nichts allzu steil, so daß viele verschiedene Routen möglich waren, was diesen Sport eher zu einem Orientierungswettkampf als einem Lauf machte. Aber auf jeden Fall schwierig. Und um 4 Uhr nachmittags am Ziel zu sein, war wohl eine phänomenale Leistung. Die nächsten Läufer würden erst nach Sonnenuntergang eintreffen, sagten die Leute. Also machte Nirgal eine Ehrenrunde. Er sah hungrig und erschöpft aus, wie einer Katastrophe entronnen. Endgültig angekommen schlüpfte er in seine Hosen, beugte den Kopf für den Lorbeerkranz und nahm Hunderte von Umarmungen entgegen.

Maya war dabei die letzte, und Nirgal lachte fröhlich, als er sie sah. Seine Haut war weiß vor getrocknetem Schweiß, seine Lippen verklebt und gesprungen, das Haar staubfarben und die Augen blutunterlaufen. Hager und ausgemergelt. Er trank Wasser aus einer Flasche, leerte sie und lehnte eine zweite ab. »Danke, ich bin nicht so dehydriert. Ich habe hier bei Jiri Ki ein Reservoir gefunden.«

»Welchen Weg hast du denn genommen?« fragte jemand.

»Frag nicht!« sagte er lachend, als ob es zu schlimm wäre, ein offenes Geständnis abzulegen. Später erfuhr Maya, daß die Routen der Leute nicht beobachtet, nicht beschrieben und wie ein Geheimnis bewahrt wurden. Die Rennen querfeldein waren bei einer gewissen Gruppe beliebt, und Nirgal war ihr Champion, wie Maya wußte, besonders bei den großen Distanzen. Die Leute sprachen von seinen Routen, als ob Teleportation im Spiel wäre. Es war für ihn ein gutes Rennen gewesen, darum war er besonders stolz.

Er ging zu einer Bank und setzte sich. »Laßt mir ein bißchen Zeit zur Besinnung«, sagte er und beobachtete mit erregter und froher Miene die letzten Sprints. Maya setzte sich in seine Nähe und starrte ihn an. Sie konnte nicht genug von ihm bekommen. Er hatte die längste Zeit als Mitglied einer wilden Kooperative von Farmern und Sammlern auf dem Land gelebt. Das war ein Leben, das Maya sich kaum vorstellen konnte. Darum sah sie Nirgal wie in Gefangenschaft, verbannt auf eine Unterwelt im Hinterland, wo er wie eine Ratte oder Pflanze überlebte. Aber hier war er nun, erschöpft, aber jubelnd beim Finish eines Vierhundertmeterlaufes. Genau der vitale Nirgal, an den sie sich von jener Tour durch Hell’s Gate vor so langer Zeit erinnerte — herrliche Jahre für ihn wie für sie. Aber wenn sie ihn anschaute, kam es ihr unwahrscheinlich vor, daß er über die Vergangenheit genau so dachte wie sie. Sie fühlte sich im Banne ihrer Vergangenheit und Geschichte. Aber in seiner Befriedigung lag jetzt etwas anderes als Geschichte. Seine Bestimmung war immer noch da, aber nur, wie ein altes Buch beiseite geschoben; jetzt war er leibhaftig hier, in diesem Augenblick. Er lachte in die Sonne, nachdem er eine ganze Meute wilder junger Tiere in ihrem eigenen Spiel geschlagen hatte, nur durch seine Intelligenz und sein Gefühl für den Mars, seine lung-gom-pa-Technik und seine kräftigen Beine. Er war immer ein Läufer gewesen. Sie sah im Geiste, als ob es gestern gewesen wäre, wie er hinter Peter her über den Strand sauste. Die anderen zwei waren schneller gewesen; aber er hatte jeden Tag Runde um Runde um den kleinen See gedreht, ohne daß jemand sagen konnte, warum. »O Nirgal!« Sie beugte sich vor, küßte sein staubiges Haar und fühlte, wie er sie an sich zog. Sie lachte und sah ringsum all die schönen Riesen auf dem Platz, die Athleten, rötlich im Sonnenuntergang und fühlte, wie wieder Leben in sie einströmte. Nirgal war dazu imstande, es ihr einzuflößen.

Aber später an diesem Abend, nach einem Bankett unter freiem Himmel in der kühlen Abendluft, nahm sie Nirgal beiseite und erzählte ihm alle ihre Befürchtungen wegen des jüngsten Konfliktes zwischen Erde und Mars. Michel war fort und sprach mit Leuten. Sax saß ihnen gegenüber auf der Bank und hörte schweigend zu.

»Jackie und die Führung des Freien Mars befürworten eine harte Linie, aber das wird nicht funktionieren. Die Terraner werden sich nicht aufhalten lassen. Es könnte zum Krieg kommen, sage ich dir, zum Krieg!«

Nirgal schaute sie an. Er nahm sie immer noch ernst — Gott segne seine edle Seele! — und Maya legte den Arm um ihn, als wäre er ihr eigener Sohn und drückte ihn ganz fest.

»Was meinst du, das wir tun sollten?« fragte er.

»Wir müssen den Mars offen halten. Wir müssen dafür kämpfen, und du mußt dabei mitmachen. Wir brauchen dich mehr als sonst jemanden. Du warst derjenige, der bei unserem Besuch auf der Erde den stärksten Eindruck gemacht hat. Im Grunde bist du wegen jenes Besuches der wichtigste Marsianer in der terranischen Geschichte. Sie schreiben immer noch Bücher und Artikel über das, was du tust. Wußtest du das? In Nordamerika und Australien kommt eine wilde Bewegung auf und wächst überall. Die Leute der Schildkröteninsel haben den amerikanischen Westen fast völlig reorganisiert. Er besteht jetzt aus Dutzenden wilder Kooperativen. Die hören auf dich. Und hier ist es dasselbe. Ich tue schon, was ich kann. Wir haben gerade bei der Wahlkampagne auf der ganzen Länge des Großen Kanals gegen sie gekämpft. Und ich habe versucht, Jackie ein bißchen zu widersprechen. Ich denke, das hat etwas gewirkt. Aber die Sache ist größer als Jackie. Sie ist nach Irishka gegangen; und natürlich ist es für die Roten sinnvoll, sich der Einwanderung zu widersetzen. Sie denken, das wird helfen, ihre kostbaren Steine zu schützen. Darum können sich der Freie Mars und die Roten zunächst im gleichen Lager befinden. Sie werden sehr schwer zu schlagen sein. Aber wenn sie nicht... «