»Stimmt.«
Inzwischen hatte man sich auf das Niveau des Meeresspiegels von Hellas geeinigt. Das war ein legislativer Akt, und die Bemühungen rund um das Becken wurden koordiniert, um sicherzustellen, daß das Meer dem Gesetz gehorchte. Die ganze Sache war phantastisch kompliziert, wenn auch im Prinzip einfach. Man maß den hydrologischen Zyklus mit all. seinen Variationen an Regen und Schnee, der schmolz und in den Boden sickerte über die Oberfläche in Bächen und Flüssen lief, hinab in Seen und dann in das Hellas-Meer, wo es im Winter gefror, dann im Sommer verdunstete, um die ganze Runde wieder von vorn zu beginnen... So taten sie mit diesem immensen Zyklus das, was nötig war, um den Meeresspiegel dieses Ozeans zu stabilisieren, der ungefähr die Größe der Karibik hatte. Wenn es zu viel Wasser gab und sie den Meeresspiegel senken wollten, gab es die Möglichkeit, etwas davon in die leeren Reservoire im Amphitrites-Gebirge nach Süden zu pumpen. Aber dem waren recht enge Grenzen gesetzt, weil die Reservoire aus porösem Gestein bestanden, das dazu neigte zusammenzubrechen, wenn das Wasser erst entfernt worden war. Darum war es schwer oder unmöglich, sie wieder zu füllen. Tatsächlich waren solche Möglichkeiten des Überlaufens eines der Hauptprobleme, mit denen das Projekt noch konfrontiert war. Die Balance halten...
Diese Art von Bemühung gab es auf dem ganzen Mars. Es war verrückt. Aber sie wollten es machen. Diana sprach jetzt über die Anstrengungen zur Trockenhaltung des Argyre-Beckens, die auf ihre Art ebenso groß waren wie die, Hellas zu füllen. Sie hatten riesige Rohrleitungen gebaut, um Wasser von Argyre nach Hellas zu leiten, wenn es dort benötigt wurde, oder andernfalls zu Flußsystemen, die in das Nordmeer führten.
»Was ist mit dem Nordmeer selbst?« fragte Maya.
Diana schüttelte mit vollem Mund den Kopf. Offenbar war man sich einig, daß das Nordmeer keine Regulierung brauchte, sondern im Grunde stabil war. Man mußte nur aufpassen und verfolgen, was geschah; und die Küstenstädte dort würden ihre Chance ergreifen. Viele glaubten, daß das Niveau des Nordmeeres schließlich ein bißchen fallen würde, wenn Wasser in den Permafrost zurückkehrte oder in den Tausenden von Kraterseen im südlichen Hochland gefangen würde. Erst dann war wieder Niederschlag und der Ablauf ins Nordmeer wichtig. Dieses Thema würde sich im südlichen Hochland entscheiden, wie Diana sagte. Koops, die Wasserscheiden bauten, zogen noch umher und richteten Drainagen ein, ließen Wasser in Gebirgsbäche laufen, verstärkten Flußbetten und räumten Flugsand aus, der in manchen Fällen unter dem Schotter die Reste von Bachbetten erkennen ließ. Aber zumeist mußten ihre neuen Flüsse auf Lavagestein oder Abbruche der Canyons oder zufällige kurze Kanäle gegründet werden. Das Resultat war ganz anders als die geäderte Klarheit irdischer Wassersysteme. Eine Konfusion kleiner runder Teiche, gefrorener Sümpfe, Trockencanyons und langer gerader Flüsse mit scharfen rechtwinkligen Wendungen oder plötzlichem Verschwinden in Senklöcher oder Pipelines. Nur die wieder gefüllten alten Flußbetten sahen auch für terranische Augen richtig aus. Überall anderswo sah das Gelände aus wie ein Bombenübungsplatz nach einem Gewitter.
Viele Veteranen von Deep Waters, die sich nicht direkt dem Institut für das Hellas-Meer angeschlossen hatten, hatten eine eigene assoziierte Koop gegründet, welche die Grundwasserbecken um Hellas herum kartierte, den Wasserspiegel in Reservoiren und unterirdischen Flüssen maß, ausrechnete, welches Wasser gespeichert und wiedergewonnen werden konnte und so weiter. Diana war Mitglied dieser Kooperative, wie auch viele andere Leute aus Mayas altem Büro. Nach ihrem Lunch ging Diana zu dem Rest der Gruppe und erzählte ihnen von Mayas Rückkehr in die Stadt. Als sie hörten, das Maya daran interessiert war, zu ihnen zu stoßen, boten sie ihr eine Stellung in der Koop mit reduzierter Eintrittsgebühr an. Erfreut über das Kompliment beschloß sie, dabei mitzumachen.
So arbeitete sie nun am Ägäischen Wassertisch, wie die Kooperative hieß. Sie stand morgens auf, machte Kaffee und aß etwas Toast, ein Brötchen oder Croissant, Teegebäck oder Fladenbrot. Bei schönem Wetter aß sie draußen auf ihrem Balkon. Noch öfter jedoch nahm sie ihr Frühstück am Erkerfenster an dem runden Eßtisch und las den Odessa Messenger auf dem Schirm und beachtete jedes kleine Ereignis, das etwas über die sich verfinsternde Situation gegenüber der Erde aussagte. Die Legislatur in Mangala wählte den neuen Exekutivrat, und Jackie gehörte nicht zu den sieben. An ihre Stelle war Nanedi gerückt. Maya jubelte, las alle Berichte, die sie finden konnte und verfolgte die Interviews. Jackie behauptete, sie hätte abgelehnt zu kandidieren, und sagte, sie wäre nach so vielen m-Jahren erschöpft und würde eine Pause einlegen, wie sie das früher schon öfters getan hatte, und später wiederkommen (bei dieser letzten Bemerkung funkelten ihre Augen kurz). Nanedi wahrte über diesen Punkt diskretes Schweigen, hatte aber die zufriedene und leicht erstaunte Miene des Mannes, der den Drachen getötet hat. Und obwohl Jackie erklärte, sie würde ihre Arbeit für den Parteiapparat fortsetzen, war ihr Einfluß dort deutlich verblaßt, sonst hätte sie dem Rat noch angehört.
So! Sie hatte Jackie auf der globalen Kegelbahn besiegt, aber die gegen die Einwanderung gerichteten Kräfte waren noch an der Macht. Der Freie Mars hielt seine Gegner mit seiner überwältigenden Mehrheit unangenehm in Schach. Es hatte sich nichts Wichtiges geändert. Das Leben ging weiter. Die Meldungen von der sich rasch vermehrenden Erdbevölkerung waren immer noch alarmierend. Diese Leute würden sie eines Tages heimsuchen, dessen war sich Maya sicher. Sie würden unter sich gute Fortschritte machen, konnten abwarten, Pläne machen und ihre Anstrengungen koordinieren. Es war wirklich besser zu frühstücken, ohne den Schirm einzuschalten, wenn sie sich ihren Appetit bewahren wollte.
Sie nahm die Gewohnheit an, in die Stadt zu gehen und an der Corniche mit Diana oder später mit Nadia und Art oder Besuchern der Stadt ein größeres Frühstück einzunehmen. Danach ging sie zu den AWT-Büros nahe dem östlichen Ende der Seefront. Das war ein schöner Spaziergang, in einer Luft, die gerade in diesem Jahr ein ganz klein wenig salziger war. Bei AWT hatte sie ein Büro mit Fenster und tat das, was sie schon für Deep Waters gemacht hatte, indem sie als Verbindung zu dem Institut des Hellas-Meeres diente und ein wechselndes Team von Areologen, Hydrologen und Ingenieuren koordinierte und ihre Forschungsarbeiten hauptsächlich in den Bergen von Hellespontus und Amphitrites lenkte, wo sich die meisten Wasserreservoirs befanden. Sie machte Reisen um den Bogen der Küste, um einige Plätze und Einrichtungen zu inspizieren. Sie ging oft ins Gebirge und hielt sich häufig in der kleinen Hafenstadt Montepulciano, an der Süd-Westküste der See, auf. Wieder zurück in Odessa arbeitete sie tagsüber, machte frühzeitig Schluß, wanderte in der Stadt herum und kaufte in den kleinen Läden für gebrauchte Möbel oder Kleider ein. Sie fand Interesse an den neuen Moden und deren Veränderungen im Laufe der Jahreszeiten. Odessa war eine elegante Stadt, die Leute waren gut gekleidet, und die letzten Stile gefielen ihr. Sie selbst sah aber eher wie eine etwas klein geratene ältliche Eingeborene mit aufrechter, königlicher Haltung aus...
Sie richtete es oft ein, daß sie am späten Nachmittag draußen an der Corniche war und dann in ihr Apartment heimkehrte oder im Sommer in einem Restaurant an der Küste ein frühes Abendessen einnahm. Im Herbst legte eine kleine Schiffsflotte am Pier an, legte Gangplanken zwischen den Booten und veranstaltete gegen Eintrittsgebühr ein Weinfest mit Feuerwerk über dem Wasser nach Einbruch der Dunkelheit. Im Winter wurde es auf dem Wasser früh dunkel, und das Wasser an der Küste war manchmal mit Eis bedeckt und schimmerte in Pastelltönen von jeder Farbe, die an dem betreffenden Abend gerade der Himmel aufwies. Eisläufer und schnelle flache Eisboote punkteten die Küste.