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Er ging, sich von Michel zu verabschieden. Michels ganze Aufgabe war es, Leute Dinge sehen zu lassen. Das war ohne Zweifel die Ursache für seine innere Frustration, wenn er über Ann sprach. Sie war vor jetzt mehr als einem Jahrhundert eine seiner Patientinnen gewesen und hatte sich noch nicht verändert oder ihm viel über sich erzählt. Sax mußte ein wenig lächeln, wenn er daran dachte. Obwohl das für Michel quälend war, der Ann offenbar liebte. Wie alle seine alten Patienten und Freunde, einschließlich Sax. Es lag in der Natur professioneller Verantwortung, wie Michel sie sah, daß er sich in alle Objekte seines wissenschaftlichen Studiums‹ verliebte. Jeder Astronom liebt die Sterne. Nun gut, wer wußte das schon...

Sax ergriff Michels Oberarm, der bei diesem Sax gar nicht ähnlichen Verhalten glücklich lächelte, über diese Veränderung im Denken‹. Liebe, ja; und um so mehr, wenn das Studienobjekt eine Frau war, die man seit vielen Jahren kannte und mit der Intensität reiner Wissenschaft studiert hatte — ja, das würde ein wunderbares Gefühl sein! Eine große Intimität, ob sie in der Untersuchung kooperierte oder nicht. Tatsächlich könnte es noch verlockender sein, wenn sie das nicht täte, wenn sie sich überhaupt weigerte, Fragen zu beantworten. Schließlich wollte Michel doch Antworten auf seine Fragen haben, und zwar sehr ausführlich, selbst wenn sie gar nicht gestellt worden waren. Er hatte immer Maya, Maya, die allzu menschliche, die Michel in einem harten Rennen über das limbische System führte, einschließlich dessen, daß sie Dinge nach ihm warf, wenn man Spencer glauben konnte. Nach dieser Art von Symbolismus könnte sich Anns Schweigen als sehr liebenswert erweisen. Michel sagte: »Sei vorsichtig!« Der glückliche Gelehrte liebte wie ein Bruder, wenn eines seiner Studienobjekte vor ihm stand.

Sax nahm einen Solorover und fuhr damit den steilen kahlen Südhang von Pavonis Mons hinunter und dann quer über den Sattel zwischen Pavonis und Arsia Mons. Er umrundete den großen Kegel von Arsia Mons auf seiner trockenen Ostseite. Danach fuhr er die Südflanke von Arsia hinab und auf den Tharsis-Buckel selbst, bis er sich auf dem zerklüfteten Hochland von Daedalia Planitia befand. Diese Ebene war der Rest eines riesigen alten Einschlagbeckens, jetzt durch die unablässigen Winde fast völlig abrasiert, bis nichts davon geblieben war außer einer Anzahl areologischer Beobachtungen und Schlußfolgerungen, schwachen radialen Anordnungen von Auswurfschrammen und dergleichen, die auf Karten zu sehen waren, aber nicht in der Landschaft.

Wenn man darüberfuhr, sah es für das Auge dem Rest der südlichen Hochländer sehr ähnlich. Rauhes, buckliges, löchriges, zerklüftetes Land. Eine wilde Felsenlandschaft. Die alten Lavaströme waren als glatte, gelappte Kurven dunklen Gesteins zu erkennen wie auf und ab wogende Gezeiten. Helle und dunkle Windstriche markierten das Land und zeigten Staub verschiedener Gewichte und Konsistenzen an. Es gab helle lange Dreiecke auf den Südostseiten von Kratern und Felsblöcken, dunkle Zickzackbänder nordwestlich davon und dunkle Flecken an den Innenseiten der vielen randlosen Krater. Der nächste große Sturm würde alle diese Muster abändern.

Sax fuhr mit großem Vergnügen über die losen Steinwellen immer weiter nach unten und dann wieder hoch. Er las die Sandbilder der Staubstreifen wie eine Windkarte. Er reiste nicht in einem Felsenwagen mit seinem niedrigen Raum und seinem Hasten von einem Versteck zum nächsten, sondern im großen kastenartigen Wohnwagen eines Areologen, mit Fenstern auf allen vier Seiten des dreistöckigen Fahrerabteils. Es war wirklich ein sehr großes Vergnügen, in dem schwachen hellen Tageslicht dahin zu rollen, auf und ab, auf und ab über die von Sand gestreifte Ebene mit für den Mars sehr entfernten Horizonten. Es gab niemanden, vor dem er sich verstecken müßte, oder der ihn verfolgte. Er war ein freier Mann auf einem freien Planeten; und wenn er Lust hatte, könnte er mit seinem Wagen rund um die Welt fahren. Oder wohin er sonst wollte.

Es dauerte etwa zwei Tage, bis er den vollen Eindruck dieses Gefühls erkannte. Selbst dann war er sich noch nicht sicher, es verstanden zu haben. Es war eine Empfindung von Leichtigkeit, einer seltsamen Leichtigkeit, die ihn veranlaßte, den Mund wiederholt zu leichtem Lächeln ohne deutlichen Grund zu verziehen. Vorher war er sich nicht ausdrücklich eines Gefühls von Bedrängnis oder Angst bewußt gewesen, aber ihm schien, daß es das vielleicht seit 2061 gegeben hätte — vielleicht sogar in den Jahren davor. Sechsundsechzig Jahre der Furcht, ignoriert und vergessen, aber immer vorhanden — eine gewisse Spannung in der Muskulatur, eine kleine vergessene Angst im Kern der Dinge. »Sechsundsechzig Flaschen voller Furcht an der Wand — man reiche sie herum! — Sechsundsechzig Flaschen voller Furcht!«

Jetzt war das vorbei. Er war frei, seine Welt war frei. Er fuhr die vom Wind gezeichnete abschüssige Ebene hinunter; und früher an diesem Tage war Schnee in den Spalten erschienen und schimmerte wäßrig auf eine Weise, wie Staub das nie tat. Und dann Flechten. Er fuhr in die Atmosphäre hinunter. Und es gab jetzt keinen Grund, warum das Leben nicht so weitergehen könnte, indem es alle Tage in seinem Weltenlabor herumtrödelte und alles andere ebenso frei war wie das!

Das war ein tolles Gefühl.

Oh, sie konnten sich auf Pavonis streiten und würden das auch sicher tun. Tatsächlich überall. Sie waren ein höchst ungewöhnlich zanksüchtiger Haufen. Welche Soziologie konnte das erklären? Schwer zu sagen. Und auf jeden Fall hatten sie trotz ihres Haders kooperiert. Es hätte nur ein zeitweiliges Zusammenfallen von Interessen sein können; aber alles war jetzt nur zeitweilig, da so viele Traditionen gebrochen oder verschwunden waren. Es war nur geblieben, was John die Notwendigkeit des Schaffens‹ zu nennen pflegte; und Schaffen war hart. Nicht jedermann war darin so gut, wie sie es waren, während sie sich beklagten.

Aber sie hatten jetzt als Gruppe gewisse Fähigkeiten, als eine... Zivilisation. Der angesammelte Schatz wissenschaftlicher Kenntnisse wuchs in der Tat rapide; und dieses Wissen gab ihnen eine Menge von Kräften, die durch ein einzelnes Individuum kaum begreifbar waren, selbst in Umrissen nicht. Aber es waren große Kräfte, ob man sie verstand oder nicht. Gottgleiche Kräfte, wie Michel sie nannte, obwohl es nicht notwendig war, sie zu übertreiben oder das Problem zu verwirren. Es waren Kräfte in der materiellen Welt, real, aber durch die Realität beschränkt. Was nichtsdestoweniger erlauben könnte — so sah Sax es als möglich an —, daß sie, recht angewandt, schließlich dennoch eine anständige menschliche Zivilisation hervorbringen konnten. Nach all den Jahrhunderten des Versuchens. Und warum auch nicht? Warum nicht? Warum nicht das ganze Unternehmen auf dem höchstmöglichen Niveau ansiedeln? Sie konnten für einen jeden gerecht sorgen, sie konnten Krankheiten heilen, sie konnten das Greisenalter verzögern, bis sie tausend Jahre lang lebten, sie konnten das Universum verstehen von der Planckschen Länge bis zur kosmischen Distanz, vom Urknall bis zur Endzeit. All das war möglich und technisch zu erreichen. Und was jene anging, die meinten, daß die Menschheit den Ansporn des Leidens brauchte, um groß zu werden; nun, sie konnten ausziehen und aufs neue die Tragödien finden, die es, dessen war sich Sax gewiß, immer geben würde — verlorene Liebe, Betrug durch Freunde, Tod, schlechte Resultate im Labor. Inzwischen konnte der Rest von ihnen das Werk fortführen und an der Schaffung einer anständigen Zivilisation arbeiten. Das würden sie tun können! Es war wirklich erstaunlich. Sie hatten den Moment in der Geschichte erreicht, an dem es möglich war. Wirklich sehr schwer zu glauben. Das machte Sax mißtrauisch. In der Physik bekam man sofort Zweifel, wenn eine Situation irgendwie außergewöhnlich oder einzigartig zu sein schien. Die Chancen waren dagegen. Es schien auf eine manipulierte Perspektive hinzudeuten. Man sollte annehmen, daß die Dinge mehr oder weniger konstant sind und man in normalen Zeiten leben würde nach dem sogenannten Prinzip des Mittelmaßes. Sax hatte dieses Prinzip nie für besonders attraktiv gehalten. Vielleicht besagte es nur, daß Gerechtigkeit immer zu erzielen gewesen war. Auf jeden Fall gab es das, ein außergewöhnliches Moment, direkt unter seinen vier Fenstern, gebräunt unter der leichten Berührung der natürlichen Sonne. Mars und seine Menschenwesen, frei und mächtig.