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Etwas holperig kam ihr Gespräch in Gang, aus Verlegenheit leerte er das Glas mit dem herrlichen Wein zu schnelclass="underline" Wetterlagen in Süddeutschland; über Mannheim war ein verheerendes Gewitter niedergegangen, vielleicht knackte es davon noch in der Leitung, dann gerieten die Worte eleganter in Fluß, sie kamen vom Hölzchen aufs Stöckchen, kamen auf Heideggers kindlich geründete Handschrift — er sprach das Wort geründet absichtlich mit frivol gespitzten Lippen aus —, Handschrift, die auf die Herde der Heideggerianer bestimmt großen Eindruck machte, weil sie zur Unmittelbarkeit des Hirten gehörte, wobei Blumenberg von der fellbekleideten Herde des Seinsspinners aus dem Schwarzwald sprach, was dem Redakteur seltsam vorkommen mußte, der aber lachte nur, und seiner Stimme war nichts Ungewöhnliches anzumerken; sie redeten von den Scheinradikalitäten Heideggers, von den Stockungen, den Sackgassen, in denen sich die Philosophie immer wieder verfing, wobei Blumenberg sich mit ungewohnt metallisch klingender Stimme sagen hörte, eine Leistungspause täte der Philosophie gut, Leistungspause, wie sie auch große Säugetiere manchmal einlegten. Ruhig mehrere Jahre oder Jahrzehnte, vielleicht ganze Jahrhunderte. Dabei blickte er auf den Löwen, der zielgerichteter als sonst zu ihm hersah, wobei es ihm so vorkam, als flackerten in dessen Augen die inzwischen wohlbekannten ironischen Flämmchen auf.

Legen wir die Philosophie eine Weile auf Eis, sagte Blumenberg und erntete dafür ein leicht gequältes Lachen von der anderen Seite.

Der Löwe. Warum erhob er sich eigentlich nie und wanderte im Arbeitszimmer herum, kein einziges Mal bisher? Warum lag er immerzu derartig präzis an derselben Stelle auf dem Teppich, neunzehn Elefantentapfen bedeckend? Wie hingenagelt? Kopf vom Schreibtisch aus gesehen auf der linken Seite? Er hatte plötzlich den Wunsch, dem Löwen tüchtig in den Hintern zu treten, um ihn endlich aufzutummeln. Alles würde dadurch umgestürzt.

Der Löwe entblößte sein Gebiß, was aber mehr einem Grinsen glich als einer Drohung.

Blumenberg ritt der Teufel, daß er nun wie unter Zwang, in einer abrupten Wendung, auf den sterbenden Edmund Husserl zu sprechen kam, wie dieser ewig lang im Bett gelegen habe, ein Mann, der mit der Wesensschau seine Philosophie eröffnet hatte, um sein Leben ausgerechnet mit der Schau von etwas zu beschließen, was keiner je erfahren sollte. Wahrscheinlich einem Löwen, setzte er allen Ernstes hinzu, aber gottlob schien der Redakteur den Nebensatz entweder gar nicht oder nicht richtig gehört zu haben, jedenfalls ging er nicht darauf ein.

Dann verwirrte sich das Gespräch. Sie kamen zurück aufs Gewitter, vom Gewitter auf die gräßliche Langeweile des Strandlebens, wofern man nicht im Meer schwamm oder allein war, vom Strandleben auf die Landung der britischen Truppen auf den Falklandinseln, von den Falklandinseln auf Maggie Thatcher, von Maggie Thatcher auf Helmut Schmidt (zwischen beiden wollte der Redakteur eine heimliche Sympathie entdeckt haben) und schließlich von Helmut Schmidt auf die verzwickten Probleme der Gerechtigkeit. Hoffnungslos, diese lösen zu wollen, ein Politiker konnte es nicht, obwohl er ständig so tun mußte als ob, nicht einmal die Philosophen waren dafür zuständig; kein Philosoph, der bei Verstand war, würde sich zutrauen, auch nur ein einziges Problem wirksam zu lösen, das die Gerechtigkeit aufwarf.

Am linken Ohr des Löwen zeigte sich ein kleiner Makel im Fell, offenbar eine Verletzung, die Blumenberg bisher noch gar nicht aufgefallen war.

Um sich vom Löwen abzulenken, erzählte er von seinen Kindern. Kinder verlangten nach Gerechtigkeit. Sie dürsteten danach, brennender, ungestümer als die Erwachsenen. Dennoch, als seine Kinder klein waren, war er schnell davon abgekommen, ihnen den gerechten Vater vorspielen zu wollen. Eine solche Farce vor ihnen aufzuführen war ihm gründlich mißlungen; dann hatte er es gar nicht mehr versucht. Dabei hatte er auf die Erfahrung vertraut, daß sich über eine längere Zeitdistanz hinweg manche Ungerechtigkeit von selbst ausgleichen würde. Was einmal ein Vorteil gewesen war, konnte sich zum Nachteil auswachsen; umgekehrt konnte eine Zurückweisung, die als bohrende Ungerechtigkeit empfunden wurde — war nur genügend Zeit verstrichen —, späten Lohn eintragen.

Der Redakteur fragte ihn, ob er vielleicht eine Glosse schreiben wolle zu seiner Weigerung, über Gut und Böse im moralischen Sinn zu philosophieren.

Auf keinen Fall.

Blumenberg wunderte sich für einen Moment, weshalb der Redakteur, der ihn doch inzwischen gut genug kennen mußte, um zu wissen, daß so etwas nie und nimmer in Frage kam, ihm den Vorschlag überhaupt angetragen hatte. Wahrscheinlich war der Löwe im Spiel. Der Löwe sorgte für Irritationen, die der Redakteur durch die Leitung hindurch gespürt haben mußte, ohne die leiseste Ahnung davon zu haben, wer sich im Arbeitszimmer des Philosophen befand und mithörte.

Die Raumbeschränkung einer Glosse für ein solches Thema! Weshalb er sich weigerte, über Gut und Böse zu philosophieren, ließ sich unmöglich darin unterbringen. Die gnostischen Dualismen waren ihm von jeher suspekt gewesen; er hatte sie immer bekämpft. Das absolut Böse hatte er zwar am eigenen Leib erfahren, dennoch waren ihm der rigorose Moralismus, die Selbstgerechtigkeitswogen, auf denen viele Studenten schwammen, unerträglich. Da wurde immer haarscharf gewußt, wer zu welchem Lager zu zählen war, was bei einem Mann wie zum Beispiel Ernst Jünger zu grotesken Fehldeutungen führte. Die jungen Leute, die diese Zeit nicht erlebt hatten, wollten nichts davon hören, was Auf den Marmorklippen damals, 1939, als das Buch erschienen war, bedeutet hatte.

Die junge Generation war von Abscheu und Neid erfüllt. Vage wußten seine Studenten davon, welche Drohungen über ihren Eltern und Großeltern geschwebt hatten und wie jämmerlich diese sich angesichts der Risiken betragen hatten. Das erfüllte sie mit Abscheu gegenüber dem Versagen und mit Neid gegenüber der sich ihnen niemals bietenden Möglichkeit, Gewißheit über sich selbst zu finden.

Aber er verspürte nicht die geringste Lust, solche Themen auszuwalzen oder auch nur anzureißen, schon gar nicht in einer Zeitungsglosse.

Ungewohnt heftig war er gewesen. Der Redakteur mochte sich wundern, womit er eine solche Abfuhr verdient hatte. Blumenberg war normalerweise bestrebt, sich höflich zu äußern, feinfühlig und äußerst zuvorkommend, wenn er einen Wunsch nicht erfüllen konnte. Unangemessen scharf war sein Tonfall gewesen. Es tat ihm leid. Verkorkst. Das Gespräch war durch und durch verkorkst, weil das einzige, wovon er brennend gern gehandelt hätte, nicht erwähnt werden durfte.

Alles in ihm drängte, schob, verlangte, ja, schrie fast danach, endlich, endlich vom Löwen zu sprechen.

In einer melodramatischen Aufwallung, die er sonst nicht an sich kannte, überkam Blumenberg das Gefühl, gerade die einzige Gelegenheit zu verpassen, mit einem Menschen von scharfem Verstand, der in wesentlichen Dingen seines Sinnes war, über das Ungeheuerliche zu reden, das ihm widerfahren war und noch immer widerfuhr.

Die ausgefaserte Schwanzquaste des Löwen zuckte leicht.

Es war schwerer als gedacht, ohne Zeugen auszukommen. Die Nonne — jaja, ohne Zweifel, sie war eine handfeste Zeugin, eine beeindruckende sogar. Trotzdem hätte er den Fall liebend gern mit einem belesenen Kopf besprochen, der die beweiskräftigen Indizien kannte, die der Löwe im Verlauf seines jahrhundertelangen Auftauchens und Wiederverschwindens hinterlassen hatte, ein Mann, der klug genug war, gemeinsam mit ihm darüber zu spekulieren.