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Richard, der zarte Richard mit den feinen blonden Haaren, hatte die Weltgunst aber bald verloren und war übergewechselt in einen Zustand, in dem er seine Eltern haßte und nicht recht wußte, wohin mit sich selbst. Und dieses leidige Nichtwissen hatte ihn jahrelang begleitet, bis er es später glänzenden Auges seinem Professor angetragen hatte, damit der ihm sage, wozu er in der Welt sei, wobei der Professor von seinen Nöten nicht das Geringste bemerkt, ja, wohl nur in einem entlegenen Gedächtniswinkel registriert hatte, daß es ihn überhaupt gab. Aus dem erbärmlichen Richard, der seinen Jammer mehr und mehr im Alkohol ersäuft hatte, war nun ein bedeutendes Wesen geworden, das auf der Mittellinie der Erde dahintrieb und mit den Toten in ebenso flüssigen Gedankenplaudereien in Verbindung trat wie mit den zungenfertigen Panthern seiner Kindheit.

Er fühlte sich ins Glück gerückt. Lau und warm, niemals heiß oder brennend war das Wetter, manchmal ging ein warmer Regen auf ihn nieder, den er ebenso genoß wie das anschließende Trockenwerden. Spektakulär waren die Sonnenauf- und Sonnenuntergänge. Rote Feuerzungen loderten abends über einer kompakten schwarzen Waldmasse, roséfarbener Frühnebel hüllte den scheu sich zeigenden Zartwald in ein morgendliches Negligé. Am meisten verblüffte ihn der schlagartig einsetzende Chor der Frösche und Kröten. Kaum waren die letzten Sonnenstrahlen vom Wasser zurückgewichen, ging auf die Sekunde genau dieser Chor los. Laut! Aus abertausend Froschkehlen wurde gequakt und geknarrt und gequarrt, was das Zeug hielt, einige Minuten lang, und genauso abrupt, wie der Lärm losgebrochen war, herrschte wieder absolute Stille, in die hinein sich nur der vertraute Motor des Schiffes zu hören gab.

Alles Unangenehme rückte in weite Ferne. Die Bundesrepublik, dies krampfige kleine Land mit seinen krampfigen Politikern, den krampfigen Terroristen, den krampfigen Feministinnen, war bloß komisch, ein Ländchen, das sich wichtig nahm, weiter nichts. Zu Richards Heiterkeit trug der Kapitän bei, der ihn üppig mit Marihuana versorgte und überhaupt ein höchst angenehmer Gesellschafter war. Es war einfach, sich mit ihm zu verständigen. Richard sprach in seinem argentinischen Spanisch, der Kapitän antwortete in einem spanisch-portugiesischen Mischmasch, welchem er durch Augenrollen, Brauenzusammenziehen sowie unter Zuhilfenahme flinker Hände, mit denen er Luftmalerei betrieb, deutenden Nachdruck verlieh.

Richard tat gar nichts, er lag einfach nur da, selbst dem Lesen, das sonst immer sein Tröster gewesen war, fühlte er sich nicht mehr gewachsen; Sein und Zeit schlummerte in der Tiefe seiner Tasche. Morgens erwachte er mit einem großen Plan, den der gleichgültige Strom in ein schwimmendes Ungefähr trug und in tausend glitzernde Tröpfchen zerlöste, was kein Schade war, denn Richard wachte am nächsten Morgen mit einem ebenso herrlichen anderen Plan wieder auf.

Nächtliche Begegnung

Eines Abends in der Dämmerung steuerte der Frachter das Ufer an, obwohl von weitem keine Siedlung zu erkennen war. Doch siehe da, es gab einen Landungssteg. Der Froschlärm war gerade mit den letzten Strahlen der Sonne erloschen, von den Bäumen, von denen einige tief ins Wasser hineinragten, flogen Vögel auf. Jetzt erkannte Richard, daß es sich doch um eine kleine Siedlung handelte, nicht aus festen Häusern, sondern aus Hütten und Blockhäusern zusammengewürfelt, die meisten von ihnen standen auf Pfählen. Der Kapitän bedeutete ihm, daß sie hier übernachten müßten, warum, sagte er nicht, aber es sei für alles gesorgt, Richard könne in einer der Hütten unterkommen.

Es war eine Siedlung von Holzfällern. Halbnackte Träger kletterten über ein dünnes Brett an Deck und luden sich Säcke auf die Schultern, mit denen sie in einer geordneten Marschkolonne, von deren schweren Tritten das Brett sich bedrohlich bog, den Rückweg antraten. In der Siedlung brannten schon einige Karbidlampen. Es gab Weiße und Indianer, indianische Frauen kochten an offenen Feuerstellen. Richard wurde vom Kapitän in eine kleine Hütte gewiesen, die ebenfalls auf Pfählen stand. Ein, was die Reinheit der Fingernägel anlangte, nicht ganz vertrauenswürdiges junges Mädchen servierte ihm das Essen in einem Blechteller, Bohnen mit ein bißchen Fleisch, dazu reichte sie ihm mit einem schüchternen Lächeln etwas Wasser und einen schwarzen Kaffee in einem Blechbecher. Das Lächeln schwebte noch lange in der Hütte, nachdem sich das Mädchen längst wieder zurückgezogen hatte, und Richard ertappte sich dabei, daß er wieder und wieder zurücklächelte, allerdings nur für die hölzerne Wand, an der Bilder mit Badeschönheiten aus einer Illustrierten hingen.

Er entschloß sich zu einem Abendspaziergang, der ihn auf eine Zigarettenlänge um die Siedlung führte; allzu viel war dabei nicht zu erkennen, da es schon dunkel war und die wenigen Lampen nur die Eingänge der Hütten beleuchteten. Letzte Wasservögel, die auf ihre Schlafnester zusteuerten, durchzogen als schwarze Klumpen das ufernahe Gewässer. Als er wieder vor seiner Hütte landete, hörte er es oben rumoren. Eine schwärzliche Affengestalt saß auf dem Dach und ruderte mit den langen Armen, worin Richard eine Einladung erblickte, er solle doch bitte zu ihr aufs Dach klettern. Von hinten zupfte etwas an seinen Hosenbeinen; als er sich umwandte, erschrak er nicht wenig, da er einen Ameisenbären vor sich hatte, der an ihm emporstieg, indem er die Vorderkrallen in Richards Hose hängte und mit der langen Schnauze Taschen, Falten und Höhlungen seiner Kleider absuchte. Daß der Bär freundlich gesonnen war, merkte Richard schnell, trotzdem blieb es unheimlich, von einem ihm bisher gänzlich unbekannten Tier einer Leibesvisitation unterzogen zu werden. Abrupt wandte sich der Bär von ihm ab und trollte sich in die Nacht. Auch der Affe war verschwunden. Ein verwunderter Richard drückte die Zigarette mit der Schuhspitze in den Sand und erstieg das Treppchen zu seiner Hütte.

Er schätzte sich glücklich, weil darin eine Hängematte aufgehängt war und er nicht auf ebener Erde schlafen mußte. An einem Deckenhaken war ein Moskitonetz befestigt, das sich wie ein Zelt um die Matte breiten ließ. Er löschte das Licht und legte sich hin. Nicht mehr daran gewöhnt, in einem Gehäus zu liegen, konnte er ewig nicht einschlafen; er vermißte die Bewegung des Schiffes, vermißte das Brummen des Motors und den Fahrtwind.

Etwas wischte unter ihm durch, es mußte unter dem Boden der Hütte sein, zwischen den Pfählen. Richard horchte mit gespitzten Ohren — da: das Wischen wiederholte sich. Ein Tier streifte umher und bog im Streifen die Zweige, dazu tönten merkwürdige Rufe aus der Ferne, die er nicht zuordnen konnte. In unregelmäßigen Abständen war das Wischen zu hören. Um sich zu beruhigen, mußte Richard dem Tier, das sich den Hüttenuntergrund als Platz erkoren hatte, von dem aus es in die Nacht streunte und zu dem es immer wieder zurückkehrte, einen Namen und eine Gestalt geben. Er verfiel auf den sprechenden Panther seiner Kindheit, der zwar im Moment schweigend herumschlich, weil ihm die Meder, Elamiter und Kyrener fehlten, aber vielleicht konnte Richard, wenn er sich aus seiner Matte beugte und durch die Bodenritzen das Wort an den hingekauerten Panther richtete, eine kleine Konversation mit ihm anknüpfen?