Выбрать главу

«Über den Daumen gepeilt, gibt es nur vier Sorten von uns: die guten Guten, die bösen Bösen, die bösen Guten und die guten Bösen. Die guten Guten und die bösen Bösen bleiben, was sie waren, die sind selten, aber langweilig. Ebenso die bösen Guten, die sind eine Weile die lieben Kinder braver Eltern mit Häuschen und Garten, doch sie werden größer und wollen die Häuschen und die Gärten und machen alles, damit sie alles bekommen, wovon sie meinen, es stünde ihnen zu. Die einzigen, die zählen, das sind die guten Bösen, die ziehen die Arschkarte schon am Tag ihrer Geburt und lernen, wie die bösen Bösen, nichts als lügen und betrügen und prügeln und rauben, bis sie ein paar Jahre Knast abgreifen und auf dem Zahnfleisch kriechen und manchmal unter die Röcke einer Religion oder einer Ideologie. Dann tun sie nicht einmal mehr einander Gewalt an, sondern nur noch sich selber, aus Angst vor Strafe und davor, rückfällig zu werden, also böse Böse — für den Rest des Lebens — wieder und wieder hinter Gittern.«

Keine Woche später hattest du eine Wohnung gefunden, somit die vorvorletzte Therapieauflage erfüllt. Und da ich wußte, daß es nicht anders ging, daß du anders nicht wirklich freikämst, nahm ich einen kleinen Kredit auf, lieh dir das Geld für die Kaution, die niedrig war, denn diese weit von meiner entfernte Unterkunft in der Emser Straße an der Peripherie des Stadtbezirks Neukölln und nahe dem Flughafen Tempelhof erwies sich als miese Bruchbude, als selbst im Sommer finsteres, fußkaltes Erdgeschoßloch; und ich trennte mich um so leichter von den paar Kröten. Über kurz oder lang, da war ich sicher, würdest du ja doch wieder bei mir landen und mich bis dahin mindestens jeden zweiten Tag besuchen, schon wegen Friede.

Es kam aber eher umgekehrt; ich besuchte dich, sooft der Fortbildungskurs zum Lichtsetzer, den mir das Arbeitsamt aufs Auge gedrückt hatte, und die seltsame, sich schleichend meiner bemächtigende Lethargie, von der ich mich bedroht fühlte wie von der Krankheit, dies zuließen. Manchmal nahm ich mir mitten in der Nacht ein Taxi, glaubte, dich überraschen zu wollen, und war froh, daß es nicht möglich war, dich vorher zu fragen, ob es dir recht sei, denn du hattest ja noch kein Telefon. Ich schlief schlecht ohne dich. Ich hielt es kaum aus, nicht genau zu wissen, was du treibst, und redete mir ein, das ganze Geld nur zu verfahren, weil dir doch jemand helfen mußte, und dieser jemand war ich, wer sonst. Ich stand dann, bepackt mit Haushaltskram, Fressalien und Rotweinflaschen, Friede in einer Jackentasche, in der anderen Zigaretten für dich, vor deiner Tür und klingelte und klopfte, so lange, bis du mich verschlafen lächelnd einließest. Du hattest behauptet, von deiner Hausverwaltung lediglich einen Schlüssel bekommen zu haben und daß ein zweiter» schon noch gemacht «würde, aber wenn ich dich, immer mal wieder, nach diesem zweiten Schlüssel fragte, sprachst du von einer schriftlichen Genehmigung des Vermieters, die der» ganz bestimmt «bald vorbeibrächte.

Ich war, wie sich herausstellte, nicht die einzige, die das Bedürfnis hatte, dir zu helfen. Eines Abends, als ich, eben erst angekommen, deinem Klo zustrebte, begegnete ich in deiner Küche dem roten Plüschsofa, das bei Juli dein Gästebett gewesen war. Ja, meintest du, die habe sich einen Futon zugelegt und das alte Teil dir angeboten.

Wie, sagte ich, die war hier?

«Nee, ich war bei Juli«, gabst du kleinlaut zu.»Nur mal so, guten Tag und auf Wiedersehen. Hab gleich von ihr aus ein paar Kumpels angerufen und den Transport organisiert.«

Was für Kumpels, fragte ich ehrlich erstaunt.

«Na, Kumpels eben, Jungs von der Triade und vom Karateclub. Du kennst die nicht. Warum auch?«

Mehr war dir in der Angelegenheit nicht zu entlocken und ich nicht in der Stimmung weiterzubohren, obgleich ich es schon eigenartig fand, daß zwischen dir und Juli wieder Kontakt bestand, du dein Training wieder aufgenommen und sogar irgendwelche Kumpels hattest.

Du borgtest dir von Frank eine Bohrmaschine und jede Menge Werkzeug, erwirktest ohne mein Zutun beim Sozialamt einen Einrichtungsvorschuß, kauftest Trödellampen und im Baumarkt Bretter und warst tagelang am Basteln. Ich handwerklich unbegabte Linkshänderin konnte dir dabei nicht nützlich, sondern nur im Wege sein und merkte, daß dir meine Infiziert-oder-nicht-infiziert-Monologe ziemlich auf die Nerven gingen, obwohl du dich bemühtest, sie gefaßt über dich ergehen zu lassen. Außer dem an Friede und den Doors hatten wir kaum mehr gemeinsame Interessen; du sägtest und schraubtest dir dein» neues, freies Leben «zusammen, das in meinen Augen nur ein freies Sterben war, und ich fürchtete mich, weil ich nicht wußte, wohin die Reise ging, davor, erst dich, dann mich zu verlieren, und davor, bald wieder richtig arbeiten zu müssen, auch davor, daß du mir womöglich mein Geld nicht zurückgeben würdest …, eigentlich vor allem, was Menschen von deiner Art nie, aber Menschen wie ich damals üblicherweise Zukunft nannten.

Noch eine Woche drauf, dein letzter Triade-Monat war gerade mal zur Hälfte um, hattest du über deinen Bewährungshelfer sogar schon einen Job, nicht direkt als Setzer, die wurden, wie ich aus eigener Erfahrung wußte, eh kaum mehr gebraucht, doch immerhin bei einer Druckerei, einer kleinen Klitsche in Schöneberg, die Remakes von alten Werbepostern und Reklametafeln herstellte,»die ganze Palette, von Persil — Weibern und Sarotti — Mohr bis Erdal — Frosch und Lurchi«. Sei nicht gerade dein Traum, so was zu machen, und gut bezahlt würde es auch nicht, und lieber, hättest du zum» verdutzten «Joe gesagt, wärst du» Drogenberater «geworden, weil du davon ja wirklich was verstündest; aber egal, entscheidend sei, daß»der Arsch nun gar keinen Wind mehr in den Segeln «und dein» Bewährungsfuzzi «den» Erlaß der Reststrafe aus gesundheitlichen Gründen «beantragt habe.

Du warst verdammt gut gelaunt, als ich dich an jenem Tage aufsuchte, ohne Friede und ohne daß wir verabredet gewesen wären, eigentlich nur, um dir mitzuteilen, wie beschissen ich mich fühlte seit dem Morgen, seit ich bei mir grippeähnliche Symptome diagnostiziert hatte, die allerdings auch die ersten Anzeichen für eine HIV–Infektion sein konnten. Das hatte ich dir klagen und mich von dir beschwichtigen, wenn nicht trösten lassen wollen. Aber ich wußte nicht, wie ich beginnen sollte, denn du strahltest mich an, stelltest Kerzen auf den Küchentisch, köpftest eine Flasche Sekt, setztest mir eine große Schüssel Fruchtquark vor und sagtest:»Ach Baby, nun guck nicht immer wie ne Domina mit Latexallergie. Läuft doch alles bestens, und spätestens Ende nächsten Monat hast du deine Piepen zurück. Wirst sehen, Haary macht das schon.«— Wieder fiel mir auf, daß du deinen Namen neuerdings anders betontest; du sagtest, wenn du in der dritten Person von dir sprachst, nicht Harry, sondern mit gesenkter Stimme das a dehnend:»Haary«. Als ich fragte, warum, lachtest du mutwillig laut, was auch neu war, und meintest, so ausgesprochen passe der Name besser zu dir. Dieses komische Argument wäre noch eine Recherche wert gewesen, doch ich ließ mich von deinem Optimismus mitreißen, zumal du mir deine» neueste Errungenschaft «vorführtest, einen Sony-Plattenspieler, den dir, wie du erklärtest, einer deiner neuen Kumpels überlassen hatte. Du warst gerade dabei,»Waiting for the Sun «von den Doors aus dem Cover zu ziehen, da klingelte es, mehrmals hintereinander. Du schautest etwas überrascht, und ich ärgerte mich ein wenig, obwohl ich schon neugierig war auf die Wesen, die um diese Zeit, immerhin war es elf Uhr abends, Einlaß begehrten, und außerdem hatte ich bislang weder bei mir noch bei dir erlebt, daß jemand, den ich womöglich nicht kannte, dich besuchen wollte.

Du gingst zur Wohnungstür; ich blieb auf Julis Sofa sitzen, hörte drei fremde Stimmen, eine etwas nölige dialektfreie und zwei berlinernde Bässe. Und dann standen sie in deiner Küche, die Gebrüder Kling, die du mir in jenem Moment allerdings einzeln vorstelltest, sehr zu meinem durchaus skeptischen Erstaunen, denn ich fragte mich, anhand welcher Merkmale du die beiden, falls du sie nicht sehr lange und ganz genau kanntest, zu unterscheiden wußtest. Elmar und Eginhard, wie du sie nur dieses eine Mal nanntest, danach nie mehr anders als Elmi und Eggi oder einfach die Klingsbrüder, waren eineiige Zwillinge, die eineiigsten (verzeih den falschen Superlativ), die ich je sah. Habe ich dir irgendwann einmal gesagt, wie irre ich die fand? Die Klingsbrüder waren nicht kleinwüchsig, aber klein, richtiger kurz, was ihrer fast würfelförmigen Statur wegen besonders auffiel. Wirklich, sie sahen aus, als hätten sie Modell für die Lego-Männchen gestanden; doch im Unterschied zu diesen war an den Klingsbrüdern gar nichts rund, nicht einmal die Köpfe. Sie hatten, unter eckig geschnittenen, etwas verwilderten Prinz-Eisenherz-Frisuren, eckige, ausdrucksarme, aber nicht stupide wirkende Gesichter, kleine breite Hände mit gleich langen Fingern und kleine quadratische Füße, die, ehe sie sich ihrer entledigten, in klobigen Plateausohlenturnschuhen gesteckt hatten. Selbst die Bewegungen der Zwillinge und ihre Art zu sprechen wirkten eckig; absolut zutreffend hattest du deine beziehungsweise ihre Vorstellung mit der Bemerkung» die ecken auch immer mal wieder an «beendet.