Wie das, fragte ich, Eggi ist von Hause aus Ringer und sein Bruder Fälscher.
«Ja«, meintest du,»deswegen hat er auch genug Kohle, der Elmi. «Und dann erzähltest du von Elmi Kling, der nicht so jung sei, wie ich vielleicht dächte, und sozusagen unser» besserer «Kollege, ein gelernter Noten- und Kupferstecher, der zudem alle Stahlstichtechniken beherrsche und vor dem Knast bei der Münchner Firma Giesecke & Devrient eine» bombig gut bezahlte Vertrauensstellung im Banknotensektor «gehabt habe.»Der Kleine ist ein absolutes As am Griffel, das glaubst du nicht. Wir beide und noch zwei, ein Buchdrucker und ein Reprofotograf, haben in Tegel die Druckwerkstatt bewirtschaftet, die Anstaltszeitung Lichtblick fabriziert und jede Menge Blödsinn. War eine prima Zeit mit Elmi. «Einen Tag nachdem sein Bruder entlassen worden sei, erzähltest du weiter, habe der» sonst so doofe Eggi «dem Elmi in einer Kneipe neben dem Oyama eine» konspirative Privatausstellung «unter dem schönen Titel »Elmis Kassiber« organisiert,»eigentlich nur für betuchte Extegelianer«, doch die hätten ein paar Sammler im» Schlepptau «gehabt. Du wärst auch da gewesen, zusammen mit Frank, und der» völlig von den Socken. Und die Kunstheinis erst, die hättest du mal sehen sollen. Denen sind vor Staunen die Lupen aus den Augen gefallen, haben sich zum Schluß fast gekloppt um die Sachen. «Noch am selben Abend hätte Eggi jede der etwa dreihundert Briefmarken» an den Mann gebracht, mal mit, mal ohne Kuvert, aber mit war teurer. Und nun muß Elmi ackern wie eine Hafennutte, um die Bestellungen abzuarbeiten. Der kommt gar nicht hinterher. Hat sich schon bei Frank erkundigt, ob er nicht einsteigen will.«
Wie, Briefmarken, fragte ich. Was ist der Witz dabei?
Und du erläutertest mir detailliert, daß Elmi die Mitteilungen für seine Kumpels draußen eben gerade nicht versteckt, sondern direkt in die Briefmarken hineingeschrieben und — gezeichnet hätte, mit den feinsten, zuvor in diverse Tinten getauchten Kanülen. Richtige, durchlaufend numerierte Comicserien seien so entstanden, und die hätten natürlich den größten Wert für die Elmi-Kling-Fans, die es selbst in Japan gäbe. Etwas derart» Geniales «sei den» stumpfsinnigen Postzensoren logischerweise nicht aufgefallen«, die hätten sich damit begnügt, die Kuverts umzustülpen und die Brieftexte zu deuten.
Wir lachten in dieser Nacht soviel wie seither nie mehr, ich, weil du lachtest, und du über deinen tollen Freund Elmi, von dem du mir einige Tage später vier unter» c/o Eginhard Kling «an dich adressierte Briefkuverts samt den wirklich sehr listig und komisch manipulierten Marken einer Berlin-Serie der Deutschen Post aus dem Jahr 1986 schenktest, die bis heute, professionell gerahmt hinter eins zu fünf vergrößerndem Spezialglas, zwischen den beiden Fenstern meines Zimmers hängen und die ich als eine Art Notgroschen betrachte, denn sie sind, wie ich herausgefunden habe, mittlerweile so um die fünftausend Mark wert, obwohl oder gerade weil Elmar Kling schon lange tot ist. Woran er starb, weiß ich nicht, auch nicht, ob sein Bruder noch lebt. Als ich vor etwa zwei Jahren mal in der Nähe der auf den Kuverts angegebenen Schierker Straße war, erwog ich, Eginhard zu besuchen, und fand auch gleich die völlig heruntergekommene Nummer 44, doch sein Name stand nicht am Klingelbrett und ebensowenig auf den Briefkästen, weder auf denen im Vorderhausflur noch auf denen in den beiden Hinterhausfluren, und der Seitenflügel war baupolizeilich gesperrt.
XV
«Drauf Sein«; der Ausdruck ist einfach nur flapsig und befremdet mich bis heute. Und immer noch wäre es sprachregelwidrig, wenn man Drauf Sein wie Dasein schriebe, obwohl es ein Dasein ist, das Drauf Sein — mit dem einen oder dem gegenteiligen Adjektiv davor;»gut drauf, schlecht drauf«, Hauptsache drauf. Nach dieser — sachlich und bildlich falschen — Idiotenlogik warst du also wieder» drauf auf der Nadel«, wie das hieß, wenn einer Opiate, vorzugsweise Heroin,»drückte«,»schoß«,»ballerte«… Dabei warst du ja gerade nicht drauf, nicht einmal schlecht, sondern drunter, standest von Tag zu Tag mehr unter dem Einfluß der Droge, womöglich schon seit jenem, an dem du bei der Triade die letzte Urinprobe abgegeben hattest.
Nein, du benahmst dich zunächst nicht auffällig, jedenfalls nicht auffälliger als zuvor. Du tatest nichts von dem, wovon ich später in Ratgeberbüchern — etwa für Eltern suchtgefährdeter Kinder — las. Ich entdeckte keine Einstiche oder Hämatome in deinen Armbeugen, weil du dort längst keine Vene mehr fandest und dir den Stoff meistens in die Leisten injiziertest; aber auch das erfuhr ich erst viel später und nicht von dir. Möglich, daß es mir generell an Beobachtungsgabe mangelt, wahrscheinlicher, daß ich deine wortkarge Zurückhaltung, deine Ruhe, dein geringes Interesse an dir, an mir, an den alltäglichen Dingen, deine gemimte oder tatsächliche Furchtlosigkeit einerseits als deine Wesensart interpretierte und andererseits verdächtigte: Dein zunehmendes Bedürfnis, dich bei mir» anzuwanzen«, wie du es nanntest, wenn du mich in der Nacht kindlich, ohne sexuelles Verlangen, umarmtest, der kalte Schweiß auf deiner Stirn, die Schatten unter deinen rotumrandeten Augen, dein angewidertes Rumstochern in der Quark-Bananen-Pampe, deiner» Sportlerdiät«, die du dir manchmal selbst machtest, manchmal mich zusammenrühren ließest und dann doch meistens an Friede oder mich verfüttertest, das anfallartige Gähnen, das sekundenkurze Weg nicken, alles mögliche hielt ich für Symptome der Krankheit. Du konntest dagegenhalten, was du wolltest, das anstrengende Training, die Hitze, schlechte Laune …, ich glaubte dir nicht, tat bloß so, als hättest du mich überzeugt oder wenigstens beruhigt.
Und tendenziell stabilisierte sich dein physischer und seelischer Zustand, wenngleich auf niedrigem Niveau, du wurdest sogar ein wenig aktiver. Erinnerst du dich daran, wie du Ende August, während ich in Halensee Blumen verkaufte, mal schnell meine Küche renoviert, genauer jene Wandsegmente überstrichen hast, an denen keine Regale, kein Kühlschrank, keine Duschkabine standen? Ich freute mich, aber nicht, weil die Fettflecke verschwunden waren, sondern weil etwas anderes noch da war, etwas, das du, wenn du gründlicher gewesen wärst, sicher gefunden hättest.
Harry, ich weiß nicht, wie ich es sagen soll; womöglich erinnere ich mich auch nicht besonders gut, aus Gründen, die endlich mal genannt sein wollen und für die ich trotzdem etwas Anlauf brauche.
Du wirktest über jene Sommerwochen, obwohl du nachts wie ein Klammeräffchen warst, um einiges sicherer und erwachsener, als kenntest du dich allmählich wieder aus im Leben. Wohl wahr, du gingst deine eigenen Wege, ließest dir nicht in die Karten gucken, doch wenn du dich mir zeigtest, also deine Tür öffnetest oder zu Besuch kamst, dann gleichbleibend gelassen, fast souverän. Vielleicht jammerte ich deshalb weniger, vielleicht hatte ich nur gelernt, die Angst besser zu verdrängen. Oder reizte mich gerade dein Hang zur sexuellen Abstinenz, den ich für einen Ausdruck von Neuorientierung, Heranreifen, Anderes-im-Kopf-Haben hielt? Jedenfalls wollte ich manchmal wieder und verließ mich darauf, daß du mich schon in der gewohnten Weise schützen würdest. Und wirklich, du hast mich nicht einmal zurückgewiesen, allerdings auch nie mehr von dir aus die Initiative ergriffen. — Ich nahm es nicht allzu schwer, denn es war etwas geschehen — und auch das wiederholte sich nicht, obwohl ich später mit System und bedeutend höheren Einsätzen spielte.