»National Security Agency sagten Sie?« meinte Garrison.
»Sie nehmen doch sicherlich nicht an, daß ich im Dienst des KGB stehe?«
Johnson lächelte dünn. »Sie haben für Nora Devon gearbeitet?«
Er hob die Brauen. »Nora? Ist das Ihr Ernst? Nun, ich kann Ihnen versichern, daß Nora nicht die Frau ist, die ...«
»Dann sind Sie also ihr Anwalt?« fragte Johnson.
Garrison sah den jüngeren der beiden, den mit den Sommersprossen, Soames, an und hob erneut die Brauen, als wollte er fragen, ob Johnson immer so unnahbar sei. Soames starrte ausdruckslos durch ihn hindurch und wartete offenbar darauf, daß sein Boß ihm ein Stichwort liefere.
O Mann, mit den beiden wird es Ärger geben, dachte Garrison.
Nach der enttäuschenden und erfolglosen Befragung Dil-worths schickte Lem Cliff Soames mit ein paar Aufträgen aus: Er sollte die gerichtliche Erlaubnis einholen, den Privatapparat und die Bürotelefone des Anwalts anzuzapfen; die seinem Büro und die seinem Haus am nächsten gelegenen drei Telefonautomaten feststellen und veranlassen, daß auch diese sämtlich angezapft würden; die Aufzeichnungen der Telefongesellschaft über alle Ferngespräche beschaffen, die von Dilworths Haus- und Bürotelefonen aus geführt wurden; und schließlich zusätzliche Männer aus dem Büro in Los Angeles anfordern, um Dilworth rund um die Uhr zu beschatten. Und zwar sollte die Aktion binnen drei Stunden beginnen.
Während Cliff sich um alle diese Dinge kümmerte, schlen-derte Lem im Hafen herum und hoffte, die Geräusche der See und der beruhigende Anblick des bewegten Wassers würden ihm helfen, seinen Verstand wieder klarzumachen und seine Gedanken auf seine Probleme zu konzentrieren. Weiß Gott, er hatte es verzweifelt nötig, sich zu konzentrieren. Mehr als sechs Monate waren verstrichen, seit der Hund und der Outsider aus Banodyne entkommen waren, und Lem hatte bei ihrer Verfolgung inzwischen fast sieben Kilo verloren. Er hatte seit Monaten nicht mehr gut geschlafen, wenig Appetit, und selbst sein Sexualleben hatte gelitten.
Man kann sich auch zu sehr bemühen, sagte er sich. Was dann zu einer Art Verstopfung des Geistes führte.
Aber derlei Ermahnungen nützten ihm nichts. Er war immer noch blockiert wie ein Leitungsrohr voll Beton.
Seit drei Monaten, seit sie Cornells Airstream am Tag nach dem Mord an Hockney auf dem Schulparkplatz gefunden hatten; wußte Lem, daß Cornell und die Frau in jener Augustnacht von einer Reise nach Vegas, Tahoe und Monterey zurückgekehrt waren. Sie hatten in dem Wohnwagen und dem Pick-up Tischkarten von Las Vegas, Hotelbriefbogen, Streichholzbriefchen und Benzinquittungen gefunden, die jeden Haltepunkt auf ihrer Route auswiesen. Wer die Frau war, wußte er nicht, nahm aber an, sie sei eine Freundin, nicht mehr. Aber er hätte sich natürlich nicht mit einer solchen Annahme begnügen dürfen. Erst vor ein paar Tagen, als einer seiner Mitarbeiter nach Vegas gefahren war, um dort zu heiraten, war Lem schließlich der Gedanke gekommen, Cornell und die Frau könnten zu demselben Zweck nach Vegas gefahren sein. Plötzlich hatte ihre Reise wie eine Flitterwochenreise ausgesehen. Und dann hatte er binnen Stunden herausgebracht, daß Cornell tatsächlich am 11. August in Clark County, Nevada, mit Nora Devon aus Santa Barbara die Ehe eingegangen war.
Als er Nachforschungen nach der Frau betrieb, stellte sich heraus, daß ihr Haus vor sechs Wochen verkauft worden war, kurz nachdem sie mit Cornell verschwunden war. Und als er den Verkauf näher überprüfte, entdeckte er, daß ihr Anwalt, Garrison Dilworth, sie dabei vertreten hatte.
Lem hatte gedacht, er habe es Cornell erschwert, ein Leben auf der Flucht zu führen, indem er seine Konten sperrte; jetzt fand er heraus, daß Dilworth mitgeholfen hatte, zwanzigtausend aus Cornells Bank herauszuholen, und daß auch der gesamte Erlös aus dem Verkauf des Hauses irgendwie an die Frau überwiesen worden war. Außerdem hatte sie vor vier Wochen durch Dilworth ihre Konten bei der hiesigen Bank auflösen lassen, und auch dieses Geld befand sich in ihren Händen. Sie und ihr Mann und der Hund verfügten jetzt möglicherweise über hinreichende Mittel, um jahrelang versteckt zu bleiben.
Lem stand auf dem Pier und starrte auf die sonnenbeschienene See hinaus, die rhythmisch gegen die Poller klatschte.
Die Bewegung machte ihm übel.
Er blickte zu den kreisenden, krächzenden Möven empor.
Doch statt daß ihn ihr eleganter Flug beruhigte, wurde er eher noch gereizter.
Garrison Dilworth war intelligent, schlau, der geborene Kämpfer. Jetzt, da die Verbindung zwischen ihm und den Cornells aufgedeckt worden war, hatte der Anwalt versprochen, er werde die NSA gerichtlich dazu zwingen, Travis' Konten freizugeben. »Sie haben gegen den Mann keine Anklage erhoben«, hatte Dilworth gesagt. »Was für ein Jammerlappen von Richter hat Ihnen die Vollmacht gegeben, seine Konten zu sperren? Die Gesetz zu manipulieren und einem unschuldigen Bürger Schwierigkeiten zu machen, ist gewissenlos.«
Lem hätte Anklage gegen Travis und Nora Cornell erheben können - wegen Verletzung aller möglichen Gesetze, die zum Schutz der nationalen Sicherheit existieren, und es so Dil-worth unmöglich machen können, den Flüchtlingen weiterhin zu helfen. Aber eine solche Anklage hätte auch bedeutet, daß die Medien aufmerksam wurden. Und dann würde die hanebüchene Geschichte vom Panther, den Cornell sich als Haustier hielt - und vielleicht die ganze Tarnaktion der NSA - in sich zusammenbrechen wie ein Kartenhaus in einem Gewitter. Seine einzige Hoffnung bestand darin, daß Dilworth versuchen würde, mit den Cornells Verbindung aufzunehmen, um ihnen mitzuteilen, daß seine Beziehung zu ihnen jetzt aufgedeckt worden sei und etwaige Kontakte in Zukunft sehr viel vorsichtiger stattfinden müßten. Wenn Lem Glück hatte, würde er dann die Cornells über deren Telefonnummer ausfindig machen können. Aber große Hoffnung, daß es so leicht gehen würde, hatte er nicht. Dilworth war kein Narr.
Lem sah sich im Jachthafen von Santa Barbara um und versuchte sich zu entspannen, denn er wußte genau, daß er gelöst und frisch sein mußte, wenn er den alten Anwalt übertölpeln wollte. Hunderte von Booten an den Piers mit eingerollten oder verstauten Segeln tänzelten sanft in der Dünung, andere Boote mit gehißten Segeln schwebten ruhig auf die offene See hinaus, Menschen in Badeanzügen sonnten sich auf den Decks oder nahmen den ersten Cocktail zu sich. Die Möven huschten wie die Nadeln einer Stickerin über die blauweiße Decke des Himmels, und Männer standen am steinernen Wellenbrecher und fischten. Die Szene war so beschaulich, daß es einem beinahe weh tat, aber zugleich war es auch ein Bild der Muße, einer ungeheuren, geplanten Muße, mit der Lem Johnson sich nicht identifzieren konnte. Für Lem war zuviel Muße eine gefährliche Ablenkung von den kalten, harten Realitäten des Lebens, von der Welt des Wettbewerbs. Jede Muße, die länger als ein paar Stunden dauerte, machte ihn nervös und erzeugte in ihm den Drang, zur Arbeit zurückzukehren. Hier gab es Muße, die sich in Tagen, in Wochen messen ließ; hier, auf diesen teuren und liebevoll gepflegten Booten, herrschte Muße, meßbar an monatelangen Segelausflügen die Küste hinauf und hinunter, so viel Muße, daß Lem in Schweiß ausbrach und den Wunsch verspürte, laut aufzuschreien.
Und dann hatte er noch etwas, worüber er sich Sorge machen mußte: den Outsider. Seit dem Tag, an dem Travis Cornell in seinem gemieteten Haus auf ihn geschossen hatte, Ende August, war keine Spur mehr von ihm aufgetaucht. Drei Monate war das jetzt her. Was hatte das Ding in diesen drei Monaten getan? Wo hatte es sich versteckt? War es immer noch hinter dem Hund her? War es tot?
Vielleicht hatte irgendwo draußen in der Wildnis eine Klapperschlange es gebissen, oder vielleicht war es von einer Klippe gestürzt.
Herrgott, dachte Lem, laß es tot sein, tu mir den einen Gefallen: Laß es tot sein.
Aber er wußte, daß der Outsider nicht tot war, denn das wäre zu einfach gewesen. Nichts im Leben war so einfach. Das verdammte Ding war irgendwo dort draußen, immer noch hinter dem Hund her. Wahrscheinlich hatte es den Drang unterdrückt, die Menschen zu töten, denen es begegnete, weil es wußte, daß jeder Mord Lem und seine Leute näher herbeirief, und weil es nicht gefunden werden wollte, ehe es den Hund getötet hatte. Erst wenn die Bestie den Hund und die Cornells in blutige Fetzen gerissen hatte - aber erst dann -, würde es wieder anfangen, seine Wut an den Menschen im allgemeinen auszulassen, und jeder Tod würde schwer auf Lem Johnsons Gewissen lasten.