Er ließ ihr Zeit, und nach ein paar Straßen sagte Della: »Der grüne Ford, nicht wahr?«
»Das sind sie.«
»Worauf hast du dich denn da eingelassen. Liebster?«
»Fahr nicht direkt zum Hafen. Fahr zum Farmer's Market, dort kaufen wir dann etwas frisches Obst. Anschließend fährst du zu einem Spirituosenladen, dort kaufen wir etwas Wein.
Bis dahin habe ich dir alles erzählt.«
»Du führst wohl ein Doppelleben, von dem ich nie etwas geahnt habe?« fragte sie und grinste ihn an. »Bist du eine Art greiser James Bond?«
Tags zuvor hatte Lem Johnson in einem beengend kleinen Büro im Gerichtsgebäude von Santa Barbara sein provisorisches Hauptquartier von neuem aufgeschlagen. Der Raum hatte ein einziges schmales Fenster. Die Wände waren dunkel, die Dek-kenleuchten so schwach, daß in den Ecken die Schatten hingen wie deplacierte Vogelscheuchen. Das ausgeliehene Mobiliar bestand aus Dingen, die andere Büros nicht mehr haben wollten. Er hatte nach dem Hockney-Mord von hier aus gearbeitet, aber eine Woche später, als es in der Gegend nichts mehr zu tun gab, hatten sie das Büro geschlossen. Jetzt eröff-nete Lem, in der Hoffnung, Dilworth werde sie zu den Cornells führen, das winzige Feldhauptquartier wieder, stöpselte die Telefone ein und wartete dann darauf, daß etwas passierte.
Er teilte das Büro mit einem Assistenten, Jim Vann, einem beinahe zu ernsten, zu diensteifrigen Fünfundzwanzigjährigen.
Im Augenblick leitete Cliff Soames das aus sechs Mann bestehende Team im Hafen, wobei er nicht nur als Vorgesetzter der in der Gegend verstreuten NSA-Agenten füngierte, sondern gleichzeitig auch die Überwachung Garrison Dilworths mit der Hafenstreife und der Küstenwache koordinierte. Offenbar wußte der schlaue alte Mann, daß man ihn beschattete, und deshalb rechnete Lem damit, daß er einen Ausbruchsversuch machen werde, daß er versuchen werde, seine Überwacher lange genug abzuschütteln, um die Cornells unbeobachtet anrufen zu können. Die logischste Methode, mit der Garrison seine Beschatter abschütteln konnte, war die, auf See hinauszufahren, hierauf entlang der Küste hinauf oder hinunter, dann mit einem Beiboot an Land zu gehen und Cornell anzurufen, ehe seine Verfolger ihn wieder entdecken konnten. Da stand ihm freilich eine Überraschung bevor: Die hiesige Hafenstreife würde ihn aus dem Hafen nach draußen begleiten; und auf See würde ihm ein Kutter der Küstenwache folgen, der sich für diesen Zweck bereithielt.
Um fünfzehn Uhr vierzig rief Cliff an, um zu berichten, Dilworth und seine Begleiterin säßen an Deck der >Amazing Gra-ce<, äßen dort Obst, sprächen dem Wein zu, schwelgten in alten Erinnerungen und lachten viel. »Nach allem, was wir mit Richtmikrofonen mithören können, und nach allem, was wir sehen können, glaube ich nicht, daß sie die Absicht haben, irgendwohin zu gehen. Höchstens vielleicht ins Bett. Ein richtig unternehmungslustiges altes Paar ist das.«
»Bleiben Sie dran«, sagte Lem. »Ich traue dem Burschen nicht.«
Ein weiterer Anruf kam von dem Team, das sich, nachdem Dilworth sein Haus verlassen hatte, in dieses eingeschlichen hatte. Sie hatten nichts gefunden, was in irgendeiner Weise auf die Cornells oder den Hund hindeutete.
Dilworths Büro war schon in der vergangenen Nacht sorgfältig durchsucht worden, und auch dort war nichts gefunden worden. Auch eine genaue Überprüfung seiner Telefonaufzeichnungen brachte die Nummer der Cornells nicht zutage; falls er sie in der Vergangenheit angerufen hatte, war das immer von einer Telefonzelle aus geschehen. Eine Überprüfung seiner AT&T-Kreditkartenaufzeichnungen förderte keine solchen Gespräche zutage. Falls er also wirklich ein öffentliches Telefon benutzt hatte, hatte er sich das Gespräch nicht berechnen lassen, sondern ein R-Gespräch mit den Cornells geführt oder bar bezahlt, so daß es jedenfalls keine Spuren gab. Was kein gutes Zeichen war. Offenbar war Dilworth schon vor dem Zeitpunkt, da er wußte, daß man ihn beobachtete, ausnehmend vorsichtig gewesen.
Am Samstag machte Travis sich Sorgen, der Hund könnte sich erkältet haben, und behielt ihn im Auge. Aber der Retriever nieste nur ein paarmal und hustete überhaupt nicht. Im übrigen schien er völlig fit.
Eine Spedition lieferte zehn große Kartons mit sämtlichen Gemälden Noras, die diese in Santa Barbara zurückgelassen hatte. Garrison Dilworth hatte vor ein paar Wochen die Gemälde auf den Weg gebracht und dazu als Absender die Adresse eines Freundes benutzt, um sicherzustellen, daß es keine Verbindung zwischen ihm und Nora >Aimes< gab.
Beim Auspacken der Gemälde, dabei im Wohnzimmer Unmengen von Seidenpapier auftürmend, schwebte Nora in höheren Sphären. Travis wußte, daß diese Arbeit viele Jahre lang ihr ganzer Lebensinhalt gewesen war, und konnte sehen, daß es ihr nicht nur große Freude bereitete, die Gemälde jetzt wieder bei sich zu haben, sondern daß es sie wahrscheinlich dazu anspornen würde, sich mit erneuter Begeisterung den neuen Bildern in ihrem Extra-Schlafzimmer zuzuwenden.
»Willst du Garrison anrufen und ihm danken?« fragte er.
»Ja, unbedingt!« sagte sie. »Aber zuerst wollen wir sie alle auspacken und uns vergewissern, daß keines davon beschädigt ist.«
Als Jachtbesitzer und Fischer verkleidet und überall im Hafen verteilt, beobachteten Cliff Soames und die anderen NSA-Leu-te Dilworth und Della Colby und belauschten sie elektronisch, während der Tag langsam verblaßte. Das Zwielicht senkte sich herab, und noch immer deutete nichts daraufhin, daß Dilworth vorhatte, aufs Meer hinauszufahren. Dann kam die Nacht, und immer noch machten der Anwalt und die Frau in seiner Begleitung keine Anstalten, irgend etwas zu unternehmen.
Eine halbe Stunde nach Einbruch der Dunkelheit war Cliff es leid, so zu tun, als würde er vom Heck einer Cheoy-Lee-Sportjacht von Sechsundsechzig Fuß Länge, die vier Schlippen von der Dilworths entfernt lag, fischen. Er ging die Treppe hinunter in die Steuerkabine und nahm Hank Gorner, dem Agenten, der das Gespräch der beiden alten Leute durch ein Richtmikrofon überwachte, die Kopfhörer ab. Er lauschte selbst.
»... Damals in Acapulco, als Jack das Fischerboot mietete ...« »... ja, die ganze Mannschaft hat ausgesehen wie Piraten!«
»... wir dachten schon, die würden uns die Hälse abschneiden und uns dann ins Meer werfen... «
»,.. und dann stellte sich raus, daß sie alle Theologiestudenten waren... «
»... die Missionare werden wollten ... und Jack sagte ...«
Cliff gab die Kopfhörer zurück und sagte: »Die quatschen ja immer noch!«
Der andere nickte. Die Kabinenbeleuchtung war ausgeschaltet, und Hanks Gesicht wurde nur von einer kleinen, mit Schirm versehenen Arbeitslampe über dem Kartentisch beleuchtet, so daß seine Gesichtszüge in die Länge gezogen und fremd wirkten. »So geht das jetzt schon den ganzen Tag. Zumindest haben sie 'ne Menge zu erzählen.«
»Ich geh' mal aufs Klo«, sagte Cliff müde. »Bin gleich zurück.«
»Meinetwegen können Sie sich zehn Stunden Zeit lassen.
Die laufen uns nicht weg.«
Als Cliff ein paar Minuten später zurückkam, nahm Hank Corner die Kopfhörer ab und sagte: »Die sind unter Deck gegangen.«
»Ist was?«
»Nicht das, was wir erwarten. Die geh'n jetzt ins Heu.«
»Oh.«
»Cliff, Mann, ich will mir das nicht anhör'n.«
»Doch«, beharrte Cliff.
Hank hielt sich einen der beiden Kopfhörer ans Ohr.
»Mann, jetzt zieh'n die einander aus, und dabei sind sie so alt wie meine Großeltern. Richtig peinlich ist das.«
Cliff seufzte.
»Jetzt sind sie still«, sagte Hank, und er runzelte die Stirn angewidert. »Jetzt fangen die jeden Augenblick zu stöhnen an, Cliff.«
»Sie sollen zuhören«, beharrte Cliff. Er schnappte sich sein Jackett vom Tisch und ging wieder hinaus, damit er nicht zuzuhören brauchte.