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Er bezog Position am Heck und griff wieder nach seiner Angel.

Die Nacht war kühl genug, daß er das Jackett brauchte, aber ansonsten hätte sie nicht besser sein können. Die Luft war klar und süß, roch schwach nach Meer. Der mondlose Himmel war sternenübersät. Das Wasser klatschte einschläfernd gegen die Poller und die Rümpfe der vertäuten Boote. Irgendwo im Hafen auf einem anderen Boot spielte jemand Liebeslieder aus den vierziger Jahren. Eine Maschine arbeitete - wumm, wumm, wumm -, und an dem Geräusch war etwas Romantisches. Cliff dachte darüber nach, wie schön es doch wäre, ein Boot zu besitzen und eine lange Reise durch den südlichen Pazifik zu machen, zu Inseln, von Palmen beschattet...

Plötzlich brüllte diese vor sich hintuckernde Maschine auf, und Cliff begriff; daß es die >Amazing Grace< war. Während er sich aus seinem Stuhl erhob und die Angel fallen ließ, sah er, wie Dilworths Boot mit rücksichtslosem Tempo rückwärts aus seiner Schlippe schoß. Es war ein Segelboot, und Cliff hatte unbewußt nicht damit gerechnet, daß es sich mit eingerollten Segeln bewegen würde. Aber das Boot hatte einen Hilfsmotor; das wußten sie, darauf waren sie vorbereitet, und dennoch verblüffte es ihn. Er eilte in die Kabine zurück. »Hank, sehen Sie zu, daß Sie die Hafenstreife erreichen. Dilworth hat sich in Bewegung gesetzt.«

»Aber die sind doch in der Klappe.«

»Den Teufel sind sie!«

Cliff rannte auf das Vorderdeck hinaus und sah, daß Dil-worth die >Amazing Grace< bereits herumgedreht hatte und jetzt auf die Hafenmündung zustrebte. Keine Lichter achtern, am Ruder, nur ein kleines Licht ganz vorn. Herrgott, der wollte abhauen!

Als sie sämtliche hundert Leinwände ausgepackt, ein paar aufgehängt und den Rest in das unbenutzte Schlafzimmer getragen hatte, waren sie am Verhungern.

»Garrison ißt jetzt wahrscheinlich zu Abend«, sagte Nora.

»Ich will ihn nicht stören. Rufen wir ihn nach dem Essen an.« In der Kammer holte Einstein Buchstaben aus den Plastikschächten und buchstabierte ihnen eine Nachricht: ES IST DUNKEL.

Überrascht und über seine ganz untypische Sorglosigkeit beunruhigt, hastete Travis von Zimmer zu Zimmer, schloß die Läden und schob die Bolzen vor. Von Noras Gemälden fasziniert und von der Freude, die deren Ankunft bewirkte, mitgerissen, war ihm nicht einmal aufgefallen, daß die Nacht hereingebrochen war.

Auf halbem Weg zur Hafenmündung und überzeugt, die Distanz und das Dröhnen der Maschine schütze sie jetzt vor elektronischen Lauschern, sagte Garrison: »Bring mich dicht an die äußere Spitze des nördlichen Wellenbrechers am Rand des Hafenbeckens.«

»Bist du auch ganz sicher?« fragte Della besorgt. »Schließlich bist du kein Teenager mehr.«

Er tätschelte ihren Po und sagte: »Nein, ich bin besser.« »Träumer.«

Er küßte sie auf die Wange, schob sich an der Steuerbordreling nach vorne und machte sich sprungbereit. Er trug eine dunkelblaue Badehose. Eigentlich hätte er einen Taucheranzug anhaben sollen, weil das Wasser wahrscheinlich kalt sein würde; aber um den Wellenbrecher würde er wohl herumschwimmen können, und dann würde er sich an der Nordseite aus dem Wasser ziehen, wo man ihn vom Hafen aus nicht sehen konnte. Das alles würde in wenigen Minuten vorbei sein, lange bevor das kalte Wasser ihm zuviel Körperwärme entzogen hatte.

»Wir bekommen Gesellschaft!« rief Della vom Steuer aus.

Er blickte nach hinten und sah, daß ein Boot der Hafenstreife sich von der südlichen Pier löste und auf der Backbordseite auf sie zukam.

Die werden uns nicht aufhalten, dachte er, dazu haben sie kein Recht.

Aber er mußte von Bord gehen, ehe die Streife achtern Stellung bezog; von hinten würden sie es sehen, wenn er über die Reling sprang. Solange sie backbord waren, deckte die >Ama-zing Grace< sein Von-Bord-Gehen, und das phosphoreszierende Kielwasser des Bootes würde die ersten paar Sekunden auch nicht erkennen lassen, daß er um die Spitze des Wellenbrechers herumschwamm. So lange würde die Streife wohl ihre Aufmerksamkeit auf Dellas Weiterfahrt konzentrieren.

Sie fuhren mit der höchsten Geschwindigkeit, die Della sich zutraute, nach draußen. Das Boot arbeitete sich mit genügend Wucht durch die leicht kabbelige See, so daß Garrison sich an der Reling festhalten mußte. Trotzdem schien es, als bewegten sie sich enttäuschend langsam an der Steinmauer des Wellenbrechers entlang. Und die Hafenstreife rückte näher. Aber Garrison wartete. Er wartete, weil er nicht hundert Meter vor dem Ende des Hafenbeckens ins Wasser wollte. Wenn er zu bald sprang, konnte er nicht bis zur äußeren Spitze des Wellenbrechers schwimmen und ihn umrunden. Vielmehr mußte er dann geradenwegs auf den Wellenbrecher zuschwimmen und über ihn klettern, und die Beobachter würden ihn sehen können. Jetzt war die Streife auf hundert Meter herangekommen - er konnte sie sehen, wenn er sich aus seiner geduckten Stellung erhob und über das Kabinendach hinwegspähte. Jetzt schwang sie hinten herum, und Garrison konnte nicht länger warten ...

»Die Spitze!« rief Della vom Steuer aus.

Er warf sich über die Reling ins dunkle Wasser, weg vom Boot.

Die See war kalt, so kalt, daß sie ihm den Atem aus den Lungen preßte. Er sank, konnte die Oberfläche nicht finden, wurde von Panik erfaßt, schlug um sich und brach schließlich wieder zur Oberfläche durch, rang nach Luft.

Die >Amazing Grace< war noch überraschend nahe. Es kam ihm vor, als wäre er eine Minute oder länger unter der Wasseroberfläche gewesen, aber vermutlich hatte es nur ein oder zwei Sekunden gedauert, weil sein Boot noch nicht weit weg war. Auch die Hafenstreife war nahe, und er erkannte, daß selbst das aufgewühlte Kielwasser der >Amazing Grace< ihm nicht genügend Deckung bot; also holte er tief Luft und tauchte wieder, blieb unten, so lange er konnte. Als er wieder heraufkam, waren Della und ihre Verfolger an der Hafenmündung vorbei, schwenkten nach Süden, und er war vor Beobachtern sicher.

Die vom Land weggehende Gezeitenströmung trug ihn an der Spitze des Wellenbrechers vorbei, einer Mauer aus einzelnen Felsbrocken und Steinen, die sich mehr als sechs Meter über die Wasserlinie erhob und in der Nacht wie ein fleckiges, grauschwarzes Bollwerk wirkte. Er mußte nicht nur um das Ende der Barriere herumschwimmen, sondern dann gegen die Strömung auf das Land zu. Ohne weitere Verzögerung begann er zu schwimmen und fragte sich, warum in aller Welt er eigentlich gedacht hatte, dies wäre ein Kinderspiel.

Du bist fast einundsiebzig, sagte er sich, als er an der von einem Warnlicht für die Schiffahrt beleuchteten Felsspitze vorbeikraulte. Was ist eigentlich in dich gefahren, daß du den Helden spielst?

Aber er wußte, was es war: die feste Überzeugung, daß der Hund in Freiheit bleiben mußte, nicht als Eigentum der Regierung behandelt werden durfte. Wenn wir so weit gekommen sind, daß wir erschaffen können, so wie Gott erschafft, dann müssen wir auch lernen, mit der Gerechtigkeit und der Barmherzigkeit Gottes zu handeln. Das war es, was er Nora und Travis -und Einstein - gesagt hatte, in jener Nacht, als Ted Hockney ermordet worden war, und dabei war ihm jedes Wort bitterer Ernst gewesen.

Salzwasser brannte in seinen Augen, nahm ihm die Sicht.

Etwas davon war ihm in den Mund geraten und brannte an einer kleinen offenen Wunde an seiner Unterlippe.

Er kämpfte gegen die Strömung an, arbeitete sich an der Spitze des Wellenbrechers vorbei, war jetzt vom Hafen aus unsichtbar, kämpfte sich auf die Felsen zu. Als er sie endlich erreicht hatte, klammerte er sich am ersten Steinbrocken fest, den er greifen konnte, keuchte, hatte im Augenblick nicht die Kraft, sich aus dem Wasser zu ziehen.

In den Wochen, die verstrichen waren, seit Nora und Travis ihre Flucht angetreten hatten, hatte Garrison viel Zeit gehabt, über Einstein nachzudenken, und war jetzt noch überzeugter, daß es ein Akt höchster Ungerechtigkeit war, ein intelligentes Geschöpf einzusperren, das sich keines Verbrechens schuldig gemacht hatte, auch wenn der Gefangene nur ein Hund war. Garrison hatte sein Leben der Durchsetzung der Gerechtigkeit gewidmet, was die Gesetze einer Demokratie möglich machten, und damit hatte er auch für die Erhaltung jener Freiheit gekämpft, die aus dieser Gerechtigkeit erwuchs. Wenn ein Mann mit Idealen zu dem Schluß kommt, er sei zu alt, für das, woran er glaubt, alles zu riskieren, dann ist er nicht länger ein Mann der Ideale. Möglicherweise ist er dann nicht einmal mehr ein Mann. Diese harte Wahrheit hatte ihn trotz seiner Jahre dazu getrieben, die nächtliche Strapaze auf sich zu nehmen. Seltsam - daß ein langes, nach Idealen ausgerichtetes Leben nach sieben Jahrzehnten am Schicksal eines Hundes auf seine letzte Probe gestellt wurde.