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Einige Minuten danach kam er zu einem Paar großer kalifornischer Sykomoren, die sich zueinander neigten und so eine Art Bogen bildeten, durchschritt diesen und erreichte eine Stelle, wo das Sonnenlicht in eine Waldschneise flutete. Am anderen Ende der Lichtung führte die Spur in weiteres Gehölz, wo Rottannen, Lorbeerbäume und Sykomoren dichter standen als irgendwo sonst. Vor ihm fiel der Boden steil ab, strebte der Canyonsohle zu. Er stand am Rande des Lichteinfalls, die Spitzen seiner Stiefel bereits im Schatten, und schaute den abschüssigen Pfad hinunter. Nur etwa fünfzehn Meter weit konnte er sehen, dann fiel fugenloses Dunkel über die Fährte.

Travis wollte eben seinen Weg fortsetzen, als ein Hund aus dem dürren Gebüsch zu seiner Rechten brach und keuchend und hechelnd geradewegs auf ihn zurannte. Es war ein Golden Retriever, dem Aussehen nach sogar reinrassig. Ein Rüde. Er schätzte ihn auf wenig älter als ein Jahr, denn obwohl bereits nahezu ausgewachsen, hatte er doch noch etwas von der Munterkeit des Welpen an sich. Sein dickes Fell war feucht, kotig, verfilzt, zerzaust und voll Kletten und abgerissenem Strauchwerk. Der Hund blieb vor ihm stehen, ließ sich auf die Hinterbeine nieder, legte den Kopf seitlich und blickte ihn mit unzweifelhaft freundlichem Ausdruck an.

So schmutzig der Hund war, so anziehend wirkte er nichtsdestoweniger. Travis beugte sich hinunter, tätschelte ihm den Kopf und kraulte ihn hinter den Ohren.

Halb rechnete er damit, daß der Besitzer jeden Augenblick keuchend und vielleicht erbost über den Ausreißer aus dem Busch auftauchen werde. Niemand kam. Als ihm einfiel, nach Halsband und Hundemarke zu suchen, fand er nichts.

»Du bist doch nicht etwa ein wilder Hund - oder. Junge?«

Der Retriever schniefte.

»Nein, für einen wilden bist du zu freundlich. Doch wohl nicht verlaufen, oder?«

Er stieß mit der Schnauze gegen seine Handfläche.

Jetzt entdeckte er, außer dem schmutzigen, zerzausten Fell, auch noch eingetrocknetes Blut am rechten Ohr. An den Vorderpfoten war frisches Blut zu sehen, als wäre er längere Zeit über felsiges Gelände gerannt, so daß die Ballen aufgeplatzt waren.

»Scheinst 'ne schwere Reise hinter dir zu haben. Junge.«

Der Hund winselte leise, als wolle er dem zustimmen.

Er fuhr fort, ihn am Rücken zu streicheln und hinter den Ohren zu kraulen, aber nach ein paar Minuten wurde ihm klar, daß er bei dem Hund etwas suchte, das er ihm nicht geben konnte: Sinn und Ziel, Trost in seiner Verzweiflung.

»So, und jetzt geh!« Er verpaßte dem Retriever einen leichten Klaps auf die Flanke, richtete sich auf und streckte sich. Der Hund blieb vor ihm stehen.

Er schritt an ihm vorbei, auf den schmalen Pfad zu, der in die Dunkelheit hinunterführte.

Der Hund schoß um ihn herum, blockierte den Pfad.

»Beweg dich. Junge.«

Der Retriever zeigte die Zähne und gab ein tiefes, kehliges Knurren von sich.

Travis runzelte die Stirn. »Beweg dich. So ist's brav.«

Als er versuchte, an dem Retriever vorbeizugehen, knurrte dieser, schnappte nach seinen Beinen.

Travis tänzelte zwei Schritte zurück. »He, was ist denn in dich gefahren?«

Der Hund hörte zu knurren auf und hechelte bloß.

Er machte wieder einen Schritt vorwärts, aber diesmal sprang der Hund ihn noch wilder an als zuvor, immer noch ohne zu bellen, aber sein Knurren wurde jetzt lauter, er schnappte ein paarmal nach seinen Beinen und trieb ihn rückwärts über die Lichtung. Travis machte auf dem schlüpfrigen Teppich aus abgefallenen Tannen- und Fichtennadeln acht oder zehn ungeschickte Schritte, stolperte dann über die eigenen Füße und fiel auf sein Hinterteil.

Im Augenblick, da Travis am Boden war, wandte der Hund sich von ihm ab. Er trottete quer über die Lichtung zum Rand des nach unten führenden Pfads und spähte in die Dunkelheit hinab. Seine Schlappohren hatten sich so weit aufgerichtet, wie die eines Retrievers das vermögen.

»Verdammter Hund!« sagte Travis.

Der Hund ignorierte ihn.

»Was, zum Teufel, ist mit dir los, du Köter?«

Doch der Hund stand im Schatten und starrte weiter den Pfad hinunter, in die Schwärze am Grunde des von Bäumen bestandenen Canyonhanges. Sein Schweif hing herab, war fast zwischen die Beine geklemmt.

Travis griff sich ein halbes Dutzend kleiner Steine vom Boden, stand auf und schleuderte einen nach dem Retriever. An der Hinterpartie getroffen, daß es sicherlich weh tat, japste der Hund nicht etwa, sondern fuhr überrascht herum.

Jetzt hab' ich's geschafft, dachte Travis. Jetzt geht er mir an die Kehle.

Aber der Hund sah ihn nur anklagend an - und versperrte weiterhin den Zugang zum Wildpfad.

Irgend etwas im Verhalten des zerzausten Hundes - im Blick der weit auseinanderliegenden dunklen Augen oder in der Art, wie er den großen Kopf hielt - ließ Travis Reue darüber empfinden, daß er einen Stein nach ihm geworfen hatte. Der schäbige, verdammte Hund sah ihn enttäuscht an, und er schämte sich.

»He, hör zu«, sagte er. »Du hast schließlich angefangen, das weißt du.«

Der Hund starrte bloß.

Travis ließ die anderen Steine los.

Der Hund warf einen Blick auf die fallengelassenen Wurfgeschosse und hob dann erneut die Augen. Travis hätte schwören mögen, daß er in dem Hundegesicht Billigung entdeckte. Travis hätte umkehren können. Oder sich einen anderen Weg hinunter in den Canyon suchen können. Aber jetzt hatte ihn jenseits aller Vernunft eine Entschlossenheit gepackt, seinen Weg fortzusetzen, dorthin zu gehen, wohin er gehen wollte, bei Gott. An diesem Tag, ausgerechnet an diesem, würde er sich von einer Nebensächlichkeit wie diesem widerspenstigen Hund nicht abhalten oder gar behindern lassen.

Er richtete sich auf, schubste den Rucksack mit den Schultern wieder in die richtige Lage, atmete tief die würzige, nach Fichtennadeln duftende Luft ein und schritt entschlossen quer über die Lichtung.

Der Retriever begann wieder zu knurren, nicht besonders laut, aber drohend. Seine Lefzen gaben die Zähne frei.

Schritt für Schritt verließ Travis der Mut, und als er noch etwa einen Meter von dem Hund entfernt war, entschied er sich für ein anderes Vorgehen. Er blieb stehen, schüttelte den Kopf und redete mit sanfter Stimme tadelnd auf den Hund ein: »Böser Hund. Ein wirklich böser Hund bist du. Weißt du das? Was ist denn nur in dich gefahren? Hm? Siehst gar nicht so aus wie ein böser Hund - eher wie ein braver Hund.«

Während er so den Retriever zu beschwichtigen suchte, hörte der zu knurren auf. Sein buschiger Schweif wedelte probeweise ein-, zweimal.

»So ist's brav«, schmeichelte Travis. »So ist's besser. Wir zwei können doch Freunde sein, hm?«

Der Hund gab ein versöhnliches Winseln von sich, jenes vertraute, einschmeichelnde Geräusch, mit dem alle Hunde ihrem natürlichen Wunsch, geliebt zu werden, Ausdruck geben. »So, jetzt kommen wir miteinander klar«, sagte Travis und machte einen weiteren Schritt auf den Retriever zu, in der Absicht, sich hinunterzubeugen und ihn zu streicheln.

Sofort sprang der Hund ihn knurrend an und trieb ihn über die Lichtung zurück. Seine Zähne verbissen sich in das eine Bein seiner Jeans, er schüttelte wütend daran. Travis trat nach ihm, verfehlte ihn. Als er durch den Tritt ins Leere das Gleichgewicht verlor und ins Taumeln geriet, schnappte der Hund nach dem anderen Hosenbein, rannte im Kreis um ihn herum und zog ihn mit sich. Er hopste verzweifelt, um mit seinem Widersacher Schritt zu halten, stolperte aber und krachte wieder zu Boden.

»Scheiße!« sagte er und kam sich dabei maßlos albern vor.