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Noch nie war Vince Nasco so emsig gewesen. Und so glücklich.
Als er die übliche Nummer in Los Angeles anrief, um seinen Erfolg im Haus der Yarbecks zu melden, verwies man ihn an eine andere öffentliche Telefonzelle. Diese stand zwischen einem Yoghurteis-Laden und einem Fischrestaurant auf Baiboa Island in Newport Harbor.
Dort rief ihn die Kontaktperson mit der kehligen, sinnlichen Kleinmädchenstimme an. Sie sprach in Umschreibungen von Mord, gebrauchte nie belastende Worte, sondern exotische Euphemismen, die vor Gericht nicht von Gewicht sein konnten.
Sie sprach von einer anderen Telefonzelle aus, einer, die sie willkürlich gewählt hatte, so daß buchstäblich nicht die geringste Chance bestand, eines der beiden Telefone könnte angezapft sein. Aber dies hier war eine Welt des Großen Bruders, in der man nicht wagen durfte, Risiken einzugehen.
Die Frau hatte einen dritten Auftrag für ihn. Drei an einem Tag!
Während Vince beobachtete, wie der abendliche Verkehr sich auf der schmalen Inselstraße stockend an ihm vorbeibewegte, gab die Frau - die er nie im Leben gesehen hatte und deren Name er nicht kannte - ihm die Adresse von Dr. Albert Hudston in Laguna Beach. Hudston wohnte da mit seiner Frau und seinem sechzehnjährigen Sohn. Dr. Hudston und seine Frau sollten beide erledigt werden; was mit dem Jungen geschah, war Vince überlassen. Wenn man den Jungen heraushalten konnte, so war das in Ordnung. Aber wenn er Vince sah und als Zeuge auftreten könnte, mußte auch er beseitigt werden.
»Liegt ganz in Ihrem Ermessen«, sagte die Frau.
Vince wußte bereits, daß er den Jungen auslöschen würde, denn Töten nützte ihm mehr, brachte ihm mehr Energie ein, wenn das Opfer jung war. Es war lange her, daß er einen wirklichen Jungen weggeblasen hatte, und die Aussicht darauf erregte ihn.
»Ich kann nur betonen«, sagte die Kontaktperson und trieb Vince mit ihren Pausen, in denen nur ihr Atem zu hören war, halb zum Wahnsinn, »daß vom Optionsrecht entsprechend schnell Gebrauch gemacht werden muß. Wir wollen, daß das Geschäft bis heute abend getätigt ist. Bis morgen weiß die Konkurrenz, was für ein Ding wir schaukeln wollen, und wird uns in die Quere kommen.«
Vince wußte, daß die >Konkurrenz< die Polizei sein mußte. Man bezahlte ihn dafür, an einem einzigen Tag drei Ärzte zu töten - Ärzte, wo er doch bisher nie einen Arzt getötet hatte. Also wußte er auch, daß es zwischen ihnen eine Verbindung gab, die die Bullen herausfinden würden, wenn sie Weatherby im Kofferraum seines Wagens und Elisabeth Yarbeck zu Tode geprügelt in ihrem Schlafzimmer fanden. Vince wußte nicht, was das für eine Verbindung war, weil er nie etwas über die Leute wußte, für deren Ermordung man ihn bezahlte. In Wahrheit wollte er gar nichts wissen. Es war sicherer so. Aber die Bullen würden Weatherby mit Yarbeck und diese beiden mit Hudston in Verbindung bringen. Wenn Vince also heute abend nicht an Hudston herankam, würde die Polizei den Mann ab morgen schützen.
Vince sagte: »Die Frage ist... wollen Sie das Optionsrecht auf dieselbe Weise ausgeübt wissen wie bei den beiden anderen Geschäften heute? Wünschen Sie, daß nach einem bestimmten Schema vorgegangen wird?«
Er dachte daran, das Haus der Hudstons mitsamt seinen Bewohnern niederzubrennen, um die Morde zu tarnen »Ja, wir wollen unbedingt, daß man ein Schema erkennt«, sagte die Frau. »Genauso wie bei den anderen Wir wollen, daß sie wissen, daß wir tätig sind.«
»Ich verstehe.«
»Wir wollen sie in die Ohren kneifen«, sagte sie und lachte halblaut. »Wir wollen Salz in ihre Wunden reiben."
Vince legte auf und ging ins >Jolly Roger<, um dort zu Abend zu essen. Er nahm Gemüsesuppe, einen Hamburger, Pommes frites. Zwiebelringe, Krautsalat, Schokoladekuchen mit Eiskrem und - als Draufgabe - Apfelkuchen und spülte alles mit fünf Tassen Kaffee hinunter. Er hatte stets einen gesunden Appetit, aber dieser Appetit nahm nach einem erledigten Job noch erheblich zu. In der Tat, auch nach dem Apfelkuchen war er noch nicht voll. Verständlich. An einem einzigen, arbeitsreichen Tag hatte er die Lebensenergien von Davis Weatherby und die der Yarbecks in sich aufgenommen; er war zu hoch aufgeladen, eine im Schnellgang laufende Maschine. Sein Stoffwechsel lief auf vollen Touren; er würde eine Weile lang mehr Treibstoff brauchen, bis sein Körper die überschüssigen Lebensenergien für künftigen Gebrauch in biologischen Batterien gespeichert hatte.
Seine Fähigkeit, die Lebenskraft seiner Opfer zu absorbieren, war eine Gabe, die ihn von allen anderen Menschen unterschied. Dank dieser Gabe würde er immer stark, vital und voll auf dem Posten sein. Und ewig leben.
Das Geheimnis dieser herrlichen Gabe hatte er der Frau mit der kehligen Stimme nie verraten, und auch sonst keinem der Leute, für die er arbeitete. Nur wenige Menschen besaßen genügend Fantasie und Aufgeschlossenheit, ein solch erstaunliches Talent ernsthaft für möglich zu halten. Vince behielt es für sich, weil er Angst hatte, man könnte denken, er sei verrückt.
Draußen vor dem Restaurant blieb er eine Weile auf dem Gehsteig stehen und atmete tief durch, genoß die würzige Seeluft. Eine kühle Nachtbrise blies vom Hafen herein und fegte Papierfetzen und purpurfarbene Jakarandablüten über das Pflaster.
Vince fühlte sich prächtig. Er hielt sich für eine Elementargewalt wie Wind und Meer.
Von Baiboa Island fuhr er in südlicher Richtung nach Laguna Beach. Um zwanzig nach elf parkte er seinen Lieferwagen vor dem Hudston-Haus auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Das Haus lag in den Hügeln, ein einstöckiger Bau, der sich an die steile Hügelflanke schmiegte und sicherlich einen herrlichen Ausblick auf das Meer bot. Hinter ein paar der Fenster war Licht zu sehen.
Er kletterte zwischen den Sitzen durch und in den hinteren Teil des Lieferwagens, wo er nicht gesehen werden konnte, um abzuwarten, bis alle Hudstons zu Bett gegangen waren. Bald nach Verlassen des Hauses der Yarbecks hatte er seinen blauen Anzug mit einer grauen Hose, einem weißen Hemd, einem braunem Pullover und einer dunkelblauen Nylonjacke vertauscht. Jetzt hatte er in der Dunkelheit nichts zu tun, als seine Waffen aus einer Pappschachtel zu holen, in der sie unter zwei Laib Brot, einer Viererpackung Toilettenpapier und anderen Dingen, die den Eindruck vermitteln sollten, er hätte gerade Einkäufe gemacht, versteckt gewesen waren.
Die Walther P-38 war voll geladen. Nach dem Job im Haus der Yarbecks hatte er einen frischen Schalldämpfer auf den Lauf geschraubt, einen von den neuen, kurzen, die dank der Fortschritte der Technik nur halb so lang waren wie die älteren Modelle. Er legte die Waffe beiseite.
Er hatte ein Klappmesser mit einer sechszölligen Klinge.
Das steckte er in die rechte vordere Hosentasche.
Als er die Drahtgarrotte zu einem kleinen Knäuel zusammengerollt hatte, stopfte er sie in die linke Innentasche seiner Jacke.
Dann hatte er noch einen mit Bleikugeln beschwerten Totschläger; dieser wanderte in die rechte Außentasche seines Jacketts.
Vince rechnete nicht damit, eine andere Waffe als die Pistole einsetzen zu müssen. Aber er liebte es, auf jede Eventualität vorbereitet zu sein.
Bei manchen Jobs hatte er eine Uzi-Maschinenpistole verwendet. Aber der gegenwärtige Auftrag erforderte keine schwere Waffen.
Er hatte auch noch ein kleines Lederetui bei sich. etwa halb so groß wie ein Reisenecessaire, in dem sich ein paar einfache Einbrecherwerkzeuge befanden. Er machte sich nicht die Mühe, diese Instrumente näher zu inspizieren. Vielleicht würde er sie gar nicht brauchen, weil eine Menge Leute in bezug auf die Sicherheit ihrer Häuser erstaunlich lasch waren und Türen und Fenster nachts unversperrt ließen, gerade so als glaubten sie, in einem Quäkerdorf des neunzehnten Jahrhunderts zu leben.
Um elf Uhr vierzig beugte er sich zwischen den Sitzen hindurch nach vorne und schaute durch die Seitenfenster zum Haus hinüber. Alle Lichter waren ausgeschaltet. Gut. Sie waren zu Bett gegangen.