Sie atmete schnell und kräftig und hatte doch das Gefühl, ersticken zu müssen. In ihren Ohren dröhnte es, und doch konnte sie jedes seiner Worte nur zu deutlich hören. Sie dachte daran, nach ihm zu schlagen, ihm die Augen auszukratzen, und war doch wie gelähmt, nah daran, zuzuschlagen, aber unfähig, es zu tun, von Wut getrieben, zugleich von Furcht geschwächt. Sie wollte schreien, nicht um Hilfe, sondern im Gefühl ihrer Hilflosigkeit.
»Also«, sagte er, »jetzt hast du einen richtigen netten Spaziergang gemacht, im Park hübsch zu Mittag gegessen und bist entspannt. Weißt du, was jetzt nett wäre? Weißt du, womit du diesen Tag krönen kannst. Hübsche? Einen besonderen Tag daraus machen kannst? Wir gehen jetzt zu meinem Wagen, fahren zu deinem Haus, gehen hinauf in dein gelbes Zimmer und steigen in dein Himmelbett... «
Er war in ihrem Schlafzimmer gewesen! Gestern. Als er im Wohnzimmer den Fernseher hätte reparieren sollen, mußte er sich nach oben geschlichen haben, dieser Schweinehund, und hatte den allerpersönlichsten Raum, den sie besaß, durchforscht, ihr Heiligtum betreten und in ihren Habseligkeitcn gewühlt.
»... in dieses riesige alte Bett. Und dann werd' ich dich ausziehen, Honey, nackt ausziehn und dich ficken ...«
Ob ihr plötzlicher Mut aus der schrecklichen Erkenntnis wuchs, daß er ihren Zufluchtsort entweiht hatte, oder daher kam, weil er zum erstenmal in ihrer Gegenwart ein obszönes Wort gebraucht hatte, oder aus beidem, hätte Nora nie sagen können. Aber ihr Kopf fuhr plötzlich in die Höhe, sie schaute ihn durchdringend an und spuckte ihm den Plätzchenklumpen mitten ins Gesicht. Speichelfäden und feuchte Teigmasse klebten an seiner rechten Wange, seinem rechten Auge und der Nase. Haferflockenstücke hingen in seinem Haar und an seiner Stirn. Als sie sah, wie die Wut seine Augen aurblitzen ließ und sein Gesicht verzerrte, spürte Nora eine Aufwallung von Schrecken über das, was sie getan hatte. Gleichzeitig war sie stolz darauf, daß sie imstande gewesen war, lähmende Fesseln zu zerreißen, selbst wenn das, was sie getan hatte, ihr Leid einbringen sollte, selbst wenn Streck zurückschlug,
Und er schlug zurück, schnell und brutal. Er hielt immer noch ihre linke Hand fest, und Nora war außerstande, sich loszureißen. Er drückte zu, wie er das schon einmal getan hatte quetschte ihre Knochen gegeneinander. Es tat weh, Herrgott es tat weh. Aber sie wollte ihm nicht die Genugtuung verschalten, sie weinen zu sehen, war fest entschlossen, weder zu betteln noch zu wimmern. Also biß sie die Zähne zusammen und erduldete den Schmerz. Schweiß trat aus ihrer Kopfhaut, einen Augenblick lang dachte sie, ohnmächtig zu werden.
Aber der Schmerz war nicht das Schlimmste. Am schlimmsten war es, in Strecks erschreckende eisblaue Augen sehen zu müssen. Während er ihre Finger zusammenpreßte, hielt er sie nicht nur mit der Hand fest, sondern auch mit seinem Blick der kalt und unendlich fremd war. Er versuchte sie einzuschüchtern, ihr Angst zu machen, und es funktionierte - weiß Gott, das tat es -, weil sie in ihm einen Wahnsinn sah, dem sie nie gewachsen sein würde.
Als er ihre Verzweiflung sah, die ihm offenbar mehr Vergnügen bereitete als ein Schmerzensschrei, hörte er auf, ihre Hand zu quetschen, ließ sie aber nicht los. »Dafür wirst du mir bezahlen«, sagte er, »dafür, daß du mir ins Gesicht gespuckt hast. Und du wirst es genießen, dafür zu bezahlen.«
Ohne rechte Überzeugung sagte sie: »Ich werde mich bei Ihrem Chef beschweren, und dann verlieren Sie bestimmt Ihren Job.«
Streck lächelte nur. Nora fragte sich, warum er keine Anstalten machte, sich die Plätzchenreste aus dem Gesicht zu wischen. Aber während sie noch darüber nachdachte, wurde ihr der Grund klar: Er würde sie dazu zwingen, es zu tun. Doch vorher sagte er: »Meinen Job verlieren? Aach, ich hab' die Stellung bei Wadlow TV schon aufgegeben. Gestern nachmittag habe ich Schluß gemacht. Um für dich Zeit zu haben, Nora.« Sie senkte die Augen. Sie konnte ihre Furcht nicht verbergen, war so geschüttelt von Furcht, daß sie glaubte, ihre Zähne würden zu klappern anfangen.
»Ich bleib' nie besonders lang in einer Stellung. Ein Mann wie ich, voll Energie, langweilt sich leicht. Ich muß in Bewegung bleiben. Außerdem ist das Leben zu kurz, um es einzig und allein mit Arbeit zu vergeuden, meinst du nicht auch? Also behalt' ich einen Job eine Zeitlang, bis ich etwas Geld gespart habe, und dann lass' ich mich, solang es geht, treiben.
Hier und da stoße ich dabei auf eine Lady wie dich, eine, die mich dringend braucht, eine, die geradezu nach einem Mann wie mir schreit, und dann helf ich ein wenig aus.«
Gib ihm einen Tritt, beiß ihn, kratz ihm die Augen aus, dachte sie.
Sie tat nichts.
Ihre Hand schmerzte dumpf. Der brennende, durchdringende Schmerz von vorhin fiel ihr ein.
Seine Stimme änderte sich, wurde weich, einschmeichelnd, besänftigend, aber das machte ihr noch mehr Angst. »Und ich helf dir aus, Nora. Ich werde für eine Weile bei dir einziehen.
Es wird uns Spaß machen. Du bist meinetwegen noch ein wenig nervös, sicher, das versteh' ich, echt, das versteh' ich. Aber glaub' mir, du brauchst das, Mädchen. Es wird dein ganzes Leben verändern, nichts wird mehr so sein wie früher, und das ist das beste, was dir passieren konnte.«
2
Einstein liebte den Park.
Als Travis ihm die Leine abnahm, trottete der Retriever zum nächsten Blumenbeet - große, gelbe Ringelblumen, umgeben von purpurfarbenen Polyantharosen - und umkreiste es langsam, sichtlich fasziniert. Dann ging er an ein Beet mit spätblühenden Ranunkeln, danach zu einem mit Vergißmeinnicht, und sein Schweif wedelte bei jeder Entdeckung schneller. Es hieß immer, Hunde könnten nur Schwarz und Weiß erkennen, aber Travis hätte nicht wetten mögen, Einstein könne nicht alle Farben sehen. Der Hund beschnüffelte alles - Blumen, Sträucher, Bäume, Steine, Abfalleimer, den Sockel eines Wasserspeiers und jeden Fußbreit Boden, über den er ging -, dabei zweifellos Geruchs>bilder< von Menschen und Hunden aufnehmend, die vorher hier vorbeigekommen waren, Bilder, so klar, wie es für Travis Fotografien gewesen wären.
Während des ganzen Vormittags und auch des frühen Nachmittags hatte der Retriever nichts Außergewöhnliches getan. Tatsächlich war sein Ich-bin-nur-ein-ganz-gewöhnlicher-dummer-Hund-Verhalten so überzeugend, daß Travis sich fragte, ob die nahezu menschliche Intelligenz des Tieres etwa nur in kurzen Schüben auftrete, ähnlich epileptischen Anfällen. Nach allem, was gestern geschehen war, stand Einsteins Außergewöhnlichkeit, auch wenn sie sich nur selten offenbarte, jedenfalls nicht mehr zur Debatte.
Während sie um den Teich schlenderten, erstarrte Einstein plötzlich, hob den Kopf, stellte seine Schlappohren ein wenig auf und starrte ein Paar an, das etwa zwanzig Meter entfernt auf einer Parkbank saß. Der Mann trug Turnhosen, die Frau ein sackartiges graues Kleid; er hielt ihre Hand, und sie schienen ins Gespräch vertieft.
Travis wollte sich wieder von ihnen abwenden und in die Richtung der weiten Grünflächen gehen, um sie nicht zu stören.
Aber Einstein bellte einmal und rannte geradenwegs auf das Paar zu.
»Einstein! Hierher! Komm sofort zurück!«
Der Hund beachtete ihn nicht, näherte sich dem Paar und begann wütend zu bellen.
Als Travis die beiden erreichte, war der Mann in Turnhosen aufgestanden. Er hielt abwehrend die Arme von sich gestreckt und die Hände geballt, während er sich vorsichtig einen Schritt von dem Retriever zurückzog.
»Einstein!«
Der Retriever hörte zu bellen auf, wich Travis aus, ehe der die Leine wieder an seinem Halsband einhaken konnte, ging zu der Frau auf der Bank und legte seinen Kopf in ihren Schoß. Der Wechsel vom knurrenden Hund zum Schoßhündchen erfolgte so plötzlich, daß alle verblüfft waren.