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Der Hund hingegen, wieder in freundliche Stimmung verfallen, winselte und leckte ihm eine Hand.

»Du bist schizophren«, sagte Travis.

Der Hund kehrte zum anderen Ende der Lichtung zurück.

Stand da, den Rücken ihm zugewendet, und starrte den Wildpfad hinunter, der durch die kühlen Schatten der Bäume in die Tiefe führte. Jäh senkte er den Kopf und machte einen Buckel. Die Muskeln an Rücken und Höcker spannten sich sichtbar, als bereite er sich darauf vor, loszurennen.

»Was siehst du denn?« Plötzlich war Travis bewußt, daß den Hund nicht etwa der Pfad selbst in seinen Bann zog, sondern möglicherweise irgend etwas auf dem Pfad. »Berglöwe?« fragte er laut, während er aufstand. In seiner Jugend hatten Kuguare, eine Berglöwenart, diese Wälder unsicher gemacht, und er nahm an, daß einige immer noch an ihren Revieren festhielten. Der Retriever gab ein grollendes Geräusch von sich, das diesmal nicht Travis galt, sondern dem, was seine Aufmerksamkeit auf sich lenken mochte. Es war ein leises, kaum hörbares Grollen, und Travis schien es, als empfände der Hund zugleich Zorn und Angst.

Kojoten? Davon trieb sich in den Vorbergen eine ganze Menge herum. Ein Rudel hungriger Kojoten könnte sogar einem kräftigen Tier wie diesem Golden Retriever Angst machen.

Erschreckt aufjapsend, vollführte der Hund eine schnelle Drehung, weg von dem im Schatten liegenden Pfad. Er hetzte auf ihn zu, an ihm vorbei und zum gegenüberliegenden Gehölz. Travis dachte, er werde gleich im Wald verschwinden. Aber an dem Bogen, den die zwei Sykomoren bildeten und durch den Travis erst vor wenigen Minuten gekommen war, verhielt der Hund und schaute erwartungsvoll zurück. Mit allen Anzeichen der Enttäuschung und Angst hastete er wieder in Travis' Richtung, umkreiste ihn schnell, schnappte nach seinem Hosenbein und bewegte sich windend rückwärts, ihn mit sich zu zerren versuchend.

»Langsam, langsam!« sagte er. »Okay.«

Der Retriever ließ los. »Wuff!« machte er, eher ein heftiges Ausatmen als ein Bellen.

Offenbar - und erstaunlicherweise - hatte der Hund ihn ganz mit Absicht davon abgehalten, den im Düstern liegenden Teil des Wildpfads zu betreten, weil dort unten etwas war. Etwas Gefährliches. Und jetzt wollte der Hund, daß er floh, weil diese gefährliche Kreatur näher rückte.

Irgend etwas kam. Aber was?

Travis war nicht beunruhigt, nur neugierig. Was auch immer näher kam, es mochte einen Hund ängstigen; aber nichts, was in diesen Wäldern lebte, nicht einmal ein Kojote oder ein Kuguar, würde einen erwachsenen Menschen angreifen.

Mit ungeduldigem Winseln versuchte der Retriever aufs neue, eines von Travis' Hosenbeinen zu packen.

Sein Verhalten war ungewöhnlich. Wenn er Angst hatte, warum rannte er dann nicht einfach weg und vergaß ihn? Er war nicht sein Herr; der Hund schuldete ihm nichts, weder Zuneigung noch Schutz. Streunende Hunde haben kein Pflichtgefühl Fremden gegenüber, kein Gefühl für Moral, kein Gewissen. Wofür hielt dieses Tier sich eigentlich - für eine Art Samariter wie Lassie?

»Schon gut, schon gut«, sagte Travis und schüttelte den Retriever ab. Er folgte ihm zu dem Sykomorenbogen.

Der Hund hetzte voraus, den ansteigenden Weg hinauf, der zum Canyonrand führte, durch dünner werdenden Baumbestand und helleres Licht.

Travis blieb bei den Sykomoren stehen. Mit gerunzelter Stirn blickte er quer über die in praller Sonne liegende Lichtung auf das nachtschwarze Loch im Gehölz, wo der Pfad seinen Abstieg begann. Was kam da?

Die schrillen Schreie der Zikaden verstummten gleichzeitig, als hätte man die Nadel eines Grammophons von der Platte gehoben. Eine unnatürliche Stille lag über dem Wald.

Und dann hörte Travis etwas den lichtlosen Pfad heraufstürmen. Ein Scharren. Ein Klappern wie von losgetretenen Steinen. Ein schwaches Rascheln von trockenem Buschwerk. Das Ding klang näher, als es wahrscheinlich war, denn das Geräusch wurde durch das Echo im engen Tunnel der Bäume verstärkt. Nichtsdestoweniger kam das Geschöpf schnell näher. Sehr schnell.

Zum erstenmal hatte Travis das Gefühl, ernsthaft in Gefahr zu sein. Er wußte, daß im Wald nichts groß oder mutig genug war, ihn anzugreifen. Aber sein Verstand wurde vom Instinkt glatt überfahren. Sein Herz hämmerte.

Über ihm, auf dem höher liegenden Pfad, hatte der Retriever sein Zögern bemerkt. Er bellte aufgeregt.

Vor Jahren hätte er vielleicht gedacht, ein wütender Schwarzbär rase den Pfad herauf, durch Krankheit oder Schmerz zum Wahnsinn getrieben. Aber die Hüttenbewohner und die Wochenendausflügler, Vorreiter der Zivilisation, hatten die wenigen übriggebliebenen Bären weiter hinein in die Santa-Ana-Berge getrieben.

Dem Geräusch nach zu schließen, würde das unbekannte Tier in Sekunden die Lichtung zwischen dem oberen und unteren Pfad erreichen.

Schauer wanderten über Travis' Rückgrat, gleich schmelzenden Hagelschloßen, die an einer Fensterscheibe herunterrinnen.

Er wollte sehen, was das für ein Ding war, gleichzeitig aber hatte ihn eiskalte Angst gepackt, rein instinktive Furcht.

Weiter oben im Canyon bellte der Golden Retriever drängend.

Travis drehte sich um und rannte.

Er war in ausgezeichneter Verfassung, hatte kein Pfund Übergewicht. Angeführt von dem keuchenden Retriever, winkelte Travis die Arme an und hetzte den Wildpfad hinauf, die wenigen tiefhängenden Äste geduckt passierend. Die genagelten Sohlen seiner Wanderstiefel gaben guten Halt; zwar kam er auf lockeren Steinen und glitschigen Schichten trockener Fichtennadeln ins Gleiten, aber er fiel nicht hin. Und während er durch ein Scheinfeuer aus flackerndem Sonnenlicht und Schatten rannte, begann ein anderes Feuer in seinen Lungen zu brennen.

Travis Cornells Leben war reich an Gefahren und tragischem Geschehen gewesen, aber nie war er vor etwas zurückgeschreckt. Kam es zum Ärgsten, stellte er sich ruhig dem Verderben, dem Schmerz, der Furcht. Jetzt aber geschah etwas Eigenartiges: Er verlor die Kontrolle über sich. Zum ersten Mal in seinem Leben erfaßte ihn Panik. Furcht durchdrang ihn, rührte an einen Urtrieb tief im Inneren, an den noch nie etwas herangekommen war. Und während er rannte, spürte er, wie ihn eine Gänsehaut überlief und ihm der kalte Schweiß ausbrach, und wußte doch nicht, warum der unbekannte Verfolger ihm solch urtümlichen Schrecken einjagte.

Er blickte sich nicht um. Anfangs wollte er die Augen nicht von dem gewundenen Pfad wenden, aus Angst, gegen einen tiefhängenden Ast zu stoßen. Aber während er rannte, schwoll die Panik in ihm an, und als er ein paar hundert Meter zurückgelegt hatte, war der Grund, weshalb er sich nicht umsah, die Angst vor dem, was er vielleicht sehen würde.

Er wußte, daß seine Reaktion gegen jede Vernunft war. Das Prickeln im Genick, die Eiseskälte in seinen Gedärmen waren Anzeichen einer rein abergläubischen Furcht. Der zivilisierte, gebildete Mensch Travis Cornell hatte die Zügel an den verängstigten, kindlichen Wilden, der in jedem menschlichen Wesen steckt - das genetische Gespenst dessen, was wir einmal waren - abgegeben und konnte nicht ohne weiteres die Kontrolle zurückgewinnen, obwohl ihm die Absurdität seines Verhaltens bewußt war. Der nackte Instinkt herrschte jetzt, und dieser Instinkt sagte ihm, daß er rennen mußte, rennen, zu denken aufhören und einfach rennen.

Nahe dem oberen Ende des Canyons bog der Pfad nach links und wand sich die steile Nordwand hinauf bis zum Kamm. Travis hetzte um eine Biegung, sah einen Baumstamm im Weg liegen, sprang, verfing sich aber mit einem Fuß im modernden Holz. Er fiel vornüber platt auf den Bauch. Benommen lag er da, ohne Atem, konnte sich nicht bewegen, erwartete, etwas werde sich auf ihn stürzen und ihm die Kehle zerfetzen.

Der Retriever hetzte den Pfad zurück, übersprang Travis, landete sicher hinter ihm. Er bellte wild an, was immer ihnen nachjagte, viel drohender jetzt als vorhin, als er Travis auf der Lichtung angegriffen hatte.