Выбрать главу

Ihre Begegnung mit Streck hatte sie nicht nur in Schrecken versetzt, sondern in ihr auch das Gefühl hinterlassen, schmutzig zu sein. Sie wünschte sich jetzt mehr als alles andere eine lange, heiße Dusche.

Aber ihre Beine waren plötzlich zitterig und schwach, und ein Schwindelanfall überkam sie. Sie mußte sich am Küchentisch festhalten, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Wenn sie jetzt versuchte, die Treppe ins Obergeschoß hinaufzugehen, würde sie fallen, das wußte sie; also setzte sie sich, verschränkte die Arme auf dem Tisch, legte den Kopf darauf und wartete, bis sie sich besser fühlte.

Als der ärgste Schwindel vorüber war, erinnerte sie sich an die Flasche Cognac in der Anrichte neben dem Kühlschrank und fand, daß ein Schluck davon ihr jetzt guttun würde. Sie hatte den Cognac, einen Remy Martin, gekauft, nachdem Violet gestorben war, weil Violet keinerlei alkoholische Getränke duldete, die stärker waren als leicht vergorener Apfelmost. In einem Akt des Aufbegehrens hatte Nora sich ein Glas Cognac eingeschenkt, als sie vom Begräbnis ihrer Tante nach Hause kam. Sie hatte kein Vergnügen daran gehabt und den größten Teil davon in den Ausguß geschüttet. Aber jetzt schien es, als würde ein Schluck ihr helfen, das Zittern loszuwerden.

Zuerst ging sie an den Ausguß und wusch sich die Hände, so heiß sie es ertragen konnte, zuerst mit Seife, dann mit Ivory-Spülmittel, um jede Spur von Streck wegzuschrubben. Als sie fertig war, waren ihre Hände rot und wundgerieben.

Sie nahm die Cognacflasche und ein Glas mit zum Tisch.

Sie hatte Romane gelesen, in denen sich die Akteure mit einer Flasche Schnaps und ihrer Verzweiflung hinsetzten, fest entschlossen, erstere zu benutzen, um letztere wegzuspülen. Für die Romanfiguren funktionierte das manchmal, also würde es vielleicht auch bei ihr funktionieren. Wenn Cognac ihren Gemütszustand bloß um einen Hauch verbesserte, war sie bereit, die ganze verdammte Flasche auszutrinken.

Aber zur Säuferin war sie nicht geboren. Sie verbrachte die nächsten zwei Stunden damit, an einem einzigen Glas Remy Martin zu nippen.

Wenn sie versuchte, ihre Gedanken von Streck abzuwenden, plagten sie gnadenlos die Erinnerungen an Tante Violet, und wenn sie versuchte, nicht an Violet zu denken, führte sie das gleich wieder zu Streck. Wenn sie sich zwang, beide aus ihrem Bewußtsein zu verdrängen, dachte sie an Travis Cornell, den Mann im Park, und sich mit ihm zu befassen, verschaffte ihr auch keine innere Ruhe. Er hatte nett auf sie gewirkt, sanft, höflich, besorgt, und er hatte es zuwege gebracht, daß Streck sie in Ruhe ließ. Aber wahrscheinlich war er genauso schlimm wie Streck. Ließ man ihm auch nur die geringste Chance, Cornell würde sie ebenso zu nutzen versuchen wie Streck. Tante Violet war ein Tyrann gewesen, krank und verdreht, aber mehr und mehr schien es, daß sie bezüglich der Gefahren des Umgangs mit anderen Leuten recht gehabt hatte.

Aber der Hund. Das war eine andere Geschichte. Vor dem Hund hatte sie sich nicht gefürchtet; auch nicht, als er auf sie zugerannt kam und wie wild bellte. Irgendwie hatte sie gewußt, daß der Retriever - >Einstein< hatte sein Herrchen ihn gerufen - nicht sie anbellte, sondern daß sein Zorn vielmehr Streck galt. Indem sie sich an Einstein klammerte, hatte sie sich sicher gefühlt, beschützt, obwohl Strecks Gestalt immer noch drohend neben ihr aufragte.

Vielleicht sollte sie sich ebenfalls einen Hund anschaffen. Violet hatte die bloße Vorstellung von Haustieren abscheulich gefunden. Aber Violet war tot, für immer tot, und es gab nichts, was Nora daran hindern konnte, einen eigenen Hund zu haben.

Nur...

Nun, sie hatte die seltsame Vorstellung, kein Hund außer Einstein würde ihr das tiefe Gefühl von Sicherheit geben. Zwischen ihr und dem Retriever hatte sofort Einverständnis geherrscht.

Es war natürlich möglich, daß sie dem Hund, weil er sie vor Streck gerettet hatte, Eigenschaften zuschrieb, die er gar nicht besaß. Es lag nahe, daß sie ihn als ihren Retter, ihren tapferen Beschützer ansah. Aber sosehr sie sich auszureden versuchte, daß Einstein nur ein ganz gewöhnlicher Hund sei wie jeder andere, hatte sie doch das Gefühl, er sei etwas Besonderes, und war überzeugt, kein anderer Hund würde ihr das Maß an Schutz und Gesellschaft bieten.

Das Glas Remy Martin, im Laufe zweier Stunden geleert, und die Gedanken an Einstein halfen tatsächlich, ihre Stimmung zu heben. Und was noch wichtiger war: Der Cognac und die Erinnerung an den Hund verhalfen ihr zu soviel Mut, daß sie ans Telefon in der Küche ging, um Travis Cornell anzurufen und ihm anzubieten, seinen Retriever zu kaufen. Schließlich hatte er gesagt, er besitze den Hund erst seit einem Tag. Er konnte sich also noch nicht besonders zu ihm hingezogen fühlen. Vielleicht verkaufte er ihn, wenn ihm der Preis zusagte. Sie blätterte im Telefonbuch, fand Cornells Nummer und wählte sie.

Er meldete sich beim zweiten Klingeln: »Hallo?«

Als sie seine Stimme hörte, wurde ihr klar, daß jeder Versuch, ihm den Hund abzukaufen, ihm einen Hebel verschaffte, sich in ihr Leben zu drängen.

»Hallo?« wiederholte er.

Nora zögerte.

»Hallo? Ist da jemand?«

Sie legte auf, ohne ein Wort zu sagen.

Bevor sie mit Cornell über den Hund sprach, mußte sie sich eine Vorgangsweise überlegen, bei der er nicht auf den Gedanken kam, einen Annäherungsversuch zu machen, für den Fall, daß er tatsächlich so geartet war wie Streck.

5

Als ein paar Minuten vor fünf das Telefon klingelte, war Travis gerade damit beschäftigt, eine Dose Alpo in Einsteins Schüssel zu leeren. Der Retriever beobachtete ihn interessiert, leckte sich die Lefzen, wartete aber; bis die letzten Reste aus der Dose gekratzt waren, um zu zeigen, wie sehr er Zurückhaltung zu üben verstand.

Travis ging ans Telefon, und Einstein machte sich über sein Fressen her. Als sich am anderen Ende niemand meldete, sagte Travis noch einmal Hallo, und der Hund blickte von seiner Schüssel auf. Als Travis noch immer keine Antwort bekam, fragte er, ob jemand in der Leitung sei, was Einstein offensichtlich neugierig machte, denn er trottete durch die Küche und blickte zum Hörer auf, den Travis in der Hand hielt.

Travis legte auf und drehte sich um. Aber Einstein blieb stehen und starrte das an der Wand befestigte Telefon an.

»Wahrscheinlich die falsche Nummer.«

Einstein schaute zuerst ihn, dann wieder das Telefon an.

»Oder Kinder, die sich einen Spaß machen wollten.«

Einstein winselte unglücklich.

»Was ist dir über die Leber gelaufen?«

Einstein stand beim Telefon wie angewurzelt.

Seufzend meinte Travis: »Nun, die Überraschungen, die ich erlebt habe, reichen mir für einen Tag. Wenn du weiter rätselhaft sein willst, dann ohne mich.«

Er wollte sich die Nachrichten ansehen, bevor er das Abendessen bereitete, also holte er ein Diät-Pepsi aus dem Kühlschrank, ging ins Wohnzimmer und ließ den Hund allein zurück, der immer noch vom Telefon fasziniert zu sein schien. Er schaltete den Fernseher ein, setzte sich in den großen Lehnsessel, riß den Verschluß seiner Pepsi-Dose auf und hörte, wie Einstein in der Küche irgendwelches Unheil anrichtete.

»Was machst du denn dort drüben?«

Ein Klirren, ein Klappern. Das Geräusch von Krallen, die an etwas Hartem scharrten. Ein dumpfer Knall, dann noch einer.

»Was du auch anrichtest«, warnte Travis, »du wirst dafür bezahlen müssen. Und wie willst du das Geld verdienen? Vielleicht schick' ich dich nach Alaska, dort kannst du dann als Schlittenhund arbeiten.«