Tracy fragte sich, ob es irgendwelche Geistesgestörte gebe, die in Orange Park Acres herumstrichen und Katzen und andere Haustiere töteten - eine Vorstellung, die ihr unheimlich war und bei der ihr fast übel wurde. Plötzlich kam ihr der Gedanke, daß Menschen, die so abartig waren, rein zum Spaß Katzen abzuschlachten, auch genügend verdreht sein würden, daran Spaß zu finden, Pferde zu töten.
Beim Gedanken an Goodheart, der hier draußen ganz allein in seinem Stall stand, durchzuckte sie Furcht wie ein stechender Schmerz. Einen Augenblick war sie unfähig, sich zu bewegen.
Rings um sie schien die Nacht jetzt noch lautloser als bisher.
Sie war lautloser. Die Grillen hatten aufgehört zu zirpen. Auch die Frösche hatten ihr Quaken eingestellt.
Die Wolken-Galeonen schienen am Himmel Anker gesetzt zu haben, und im eisfahlen Schein des Mondes schien die Nacht gefroren zu sein.
Etwas bewegte sich im Buschwerk.
Der Großteil des riesigen Grundstücks war von Rasen bedeckt, aber es gab ein gutes Dutzend Bäume, in geschmackvollen Gruppen angeordnet, hauptsächlich Indianerlorbeer, Ja-carandas und ein paar Korallenbäume, außerdem Azaleenbeete, Fliederbüsche und Geißblatt.
Tracy vernahm ganz deutlich das Rascheln in den Büschen, wie sich etwas unsanft und schnell durch sie hindurcharbeitete. Aber als sie die Taschenlampe anknipste und den Lichtkegel über die Pflanzung wandern ließ, konnte sie nichts sehen.
Die Nacht war wieder verstummt. Zum Schweigen gebracht. In Erwartung von etwas.
Sie überlegte, ob sie zum Haus zurückkehren, ihren Vater wecken und ihn bitten sollte, nachzusehen. Oder besser zu Bett zu gehen, bis morgen zu warten und dann die Lage selbst zu erkunden. Wenn nun das im Busch nur ein Kojote war? In diesem Fall war sie nicht in Gefahr. Ein hungriger Kojote würde zwar ein sehr kleines Kind angreifen, aber vor jemandem von Tracys Größe die Flucht ergreifen. Außerdem war sie jetzt zu sehr in Sorge um ihren edlen Goodheart, um noch mehr Zeit zu vergeuden. Sie mußte sicher sein, daß dem Pferd nichts fehlte.
Sie benutzte jetzt ihre Taschenlampe, um etwaigen weiteren herumliegenden toten Katzen auszuweichen, und strebte der Stallung zu. Sie hatte nur wenige' Schritte zurückgelegt, als sie das Rascheln wieder hörte und, was noch schlimmer war, ein unheimliches Knurren, ganz anders als irgendeiner von der Tierlauten, die sie kannte.
Sie drehte sich um, wäre wohl in dem Augenblick zum Haus gerannt, doch jetzt wieherte Goodheart im Stall, schrill, als hätte er Angst, und trat nach den Wänden seiner Box. Sie sah in ihrer Fantasie einen satanisch grinsenden Geistesgestörten, der es mit widerwärtigen Folterinstrumenten auf Goodheart abgesehen hatte. Die Sorge um ihr eigenes Wohlergehen war nicht halb so stark wie ihre Furcht, ihrem geliebten Erzeuger von Champions könnte etwas Schreckliches zustoßen. Also rannte sie ihm zu Hilfe.
Der arme Goodheart begann jetzt noch verzweifelter um sich zu keilen. Seine Hufe krachten mehrere Male gegen die Wände, trommelten wie wild, und die Nacht schien vom Gedonner eines herannahenden Sturms widerzuhallen.
Sie war noch etwa fünfzehn Meter vom Stall entfernt, als sie wieder das seltsame, kehlige Knurren hörte und erkannte, daß etwas hinter ihr war, sich ihr von hinten näherte. Sie geriet auf dem feuchten Gras ins Rutschen, wirbelte herum und hob die Taschenlampe.
Was da auf sie zurannte, war eine Kreatur, die ganz sicher aus der Hölle kam. Jetzt stieß das Wesen einen kreischenden Schrei aus, in dem sich Wut und Wahnsinn mischten.
Trotz des Strahls der Taschenlampe konnte Tracy den Angreifer nicht deutlich erkennen. Der Lichtkegel bewegte sich zittrig hin und her, die Nacht wurde dunkler, als der Mond hinter eine Wolke glitt. Die widerliche Bestie bewegte sich schnell, Tracy hatte zu große Angst, um zu begreifen, was sie sah. Aber soviel sah sie, um zu wissen, daß es etwas war, was sie noch nie zuvor gesehen hatte. Sie glaubte, einen dunklen, mißgestalteten Kopf mit asymmetrischen Vorsprüngen und Einbuchtungen erkennen zu können, mächtige Kinnladen voll scharfer, gebogener Zähne und bernsteinfarbenen Augen, die im Kegel ihrer Taschenlampe glühten, wie die Augen eines Hundes oder einer Katze im Scheinwerferbündel eines Wagens. Tracy schrie.
Der Angreifer stieß erneut einen schrillen, kreischenden Schrei aus und sprang sie an.
Er prallte mit solcher Wucht gegen Tracy, daß ihr der Atem aus den Lungen gepreßt wurde. Die Taschenlampe entfiel ihrer Hand und purzelte zu Boden. Sie stürzte, die Kreatur warf sich auf sie, und sie wälzten sich zusammen auf dem Boden in Richtung Stall. Während sie dahinrollten, hämmerte sie verzweifelt mit ihren kleinen Fäusten auf das Ding ein und spürte, wie seine Klauen sich an ihrer rechten Seite in ihr Fleisch bohrten. Das aufgerissene Maul war vor ihrem Gesicht, sie spürte, wie heißer, fauliger Atem über sie hinwegstrich. Sie roch Blut und Fäulnis und Schlimmeres, fühlte, wie das Maul ihre Kehle suchte - ich bin tot, dachte sie, o Gott, es wird mich töten, ich bin tot wie die Katze -, und wäre sicher binnen Sekunden tot gewesen, wenn Goodheart, weniger als fünf Meter entfernt, nicht die verriegelte Halbtür seiner Box weggetreten hätte und in seiner Panik geradewegs auf sie zugeschossen wäre.
Der Hengst wieherte, bäumte sich auf, als er sie sah, als wollte er sie zertrampeln.
Tracys monströser Angreifer stieß wieder einen Schrei aus, diesmal nicht aus Wut, sondern vor Schreck und Überraschung. Er ließ sie los, warf sich zur Seite, unter dem Pferd weg.
Goodhearts Hufe rammten sich wenige Zentimeter neben Tracys Kopf in die Erde, er bäumte sich erneut auf, seine Vorderbeine schlugen die Luft, er wieherte, und sie wußte, er würde ihren Schädel in seinem Schrecken, ohne es zu wollen, zu Brei zerquetschen. Sie wälzte sich unter ihm weg, auch weg von der bernsteinäugigen Bestie, die auf der anderen Seite des Hengstes in der Dunkelheit verschwunden war.
Goodheart wieherte, immer noch hoch aufgebäumt, auch Tracy schrie, ringsum heulten Hunde in der Nachbarschaft, und jetzt gingen im Haus Lichter an, und das machte ihr Hoffnung, diesen Schrecken vielleicht doch noch zu überleben.
Aber sie fühlte auch, daß der Angreifer nicht bereit war, aufzugeben, daß er bereits im Begriff war, den in Panik geratenen Hengst zu umkreisen, um einen weiteren Angriff auf sie zu versuchen. Sie hörte ihn knurren und speien, wußte, er würde sie zu Boden reißen, ehe sie das ferne Haus erreichte. Also stürzte sie in Richtung Stall, zu einer der leeren Boxen. Dabei hörte sie sich fast eintönig leiern: »Jesus, o Jesus, Jesus, Jesus ...«
Die beiden Hälften der Boxentür waren fest aneinandergeriegelt. Ein weiterer Bolzen hielt die ganze Tür am Rahmen fest. Diesen zweiten Bolzen zog sie zurück, öffnete die Tür, ha-itete in die nach Stroh riechende Finsternis, stieß die Tür zu und hielt sie mit aller Kraft, die sie hatte, zu, denn von innen verriegeln konnte man sie nicht.
Im nächsten Augenblick prallte ihr Widersacher von der anderen Seite gegen die Tür, versuchte sie einzudrücken, aber das verhinderte der Rahmen. Die Tür ließ sich nur nach außen bewegen, und Travy hoffte, die bernsteinäugige Kreatur wäre nicht schlau genug, herauszufinden, wie die Tür sich öffnete.
Aber sie war schlau genug ...
(Lieber Gott im Himmel, warum war die Bestie nicht ebenso dumm wie häßlich!)
... und nachdem sie sich lediglich zweimal gegen die Barriere geworfen hatte, begann sie zu ziehen, statt zu drücken. Die Tür wurde Tracy fast aus den Händen gerissen.
Sie wollte um Hilfe schreien, aber sie brauchte jedes Quentchen Energie, um die Absätze in den Boden zu graben und die Boxentür festzuhalten. Sie schlug und klapperte gegen den Rahmen, während der dämonische Widersacher mit ihr rang. Zum Glück wieherte Goodheart die ganze Zeit schrill und schreckerfüllt, und auch ihr Angreifer gab schrille Laute von sich - Töne, die menschlich und zugleich seltsam tierisch klangen -, so daß für ihren Vater kein Zweifel bestehen konnte, wo Hilfe nötig war.