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»Es ist nicht aus Banodyne ausgebrochen, verdammt«.

»Von Banodyne zum Holy Jim Canyon, von dort nach Irvine Park und von dort heute nacht zum Haus der Keeshans. Beständig in nördlicher oder nordnordwestlicher Richtung. Ich nehme an, du weißt, was das bedeutet, welches Ziel es haben Mannte, aber ich wage natürlich nicht, dich danach zu fragen, sonst steckst du mich geradenwegs ins Gefängnis und läßt mich dort verfaulen.«

»Ich habe dir in bezug auf Banodyne die Wahrheit gesagt.«

»Sagst du.«

»Walt, du bist unmöglich.«

»Sagst du.«

»Sagt jeder. Würdest du mich bitte jetzt nach Hause fahren lassen? Ich bin müde.«

Lächelnd schloß Walt endlich die Tür.

Lem fuhr aus der Krankenhausgarage zur Main Street, dann auf die Autobahn in Richtung Placentia, nach Hause. Er hoffte, spätestens zur Dämmerung wieder im Bett zu liegen.

Während er den NSA-Wagen durch die Straßen steuerte, die ebenso leer waren wie Schiffahrtswege auf dem Meer, dachte er darüber nach, daß der Outsider nordwärts zog. Ihm war das ebenfalls aufgefallen. Und er glaubte sicher zu wissen, was er suchte, selbst wenn er nicht exakt wußte, wohin sein Weg ihn rührte. Der Hund und der Outsider hatten von Anfang an ein ganz besonderes Wahrnehmungsvermögen füreinander gehabt, eine geradezu unheimliche, instinktive Wahrnehmung der Stimmungen und Aktivitäten des anderen, selbst wenn sie nicht im selben Raum waren. Davis Weatherby hatte halb im Scherz gemeint, die Beziehung dieser beiden Geschöpfe habe etwas Telepathisches an sich. Und jetzt gab es im Outsider höchstwahrscheinlich immer noch einen gewissen Gleichklang mit dem Hund, also folgte er ihm, und irgendein sechster Sinn wies ihm den Weg.

Lem hoffte um des Hundes willen, daß es nicht so war.

Im Labor war offenkundig gewesen, daß der Hund den Outsider stets fürchtete, und aus gutem Grund. Die beiden waren das Yin und das Yang des Francis-Projekts - das Scheitern und der Erfolg, das Böse und das Gute. So böse und schlecht der Outsider war - nun, so gut und wunderbar war der Hund, und die Forscher hatten erkannt, daß der Outsider den Hund nicht fürchtete, sondern ihn mit einer Leidenschaft haßte, die niemand hatte verstehen können. Jetzt, da sie beide

in Freiheit waren, konnte es sein, daß der Outsider nichts anderes im Sinn hatte, als den Hund zu verfolgen, denn er hatte sich nie etwas mehr gewünscht, als den Retriever Stück für Stück zu zerreißen.

Lem bemerkte, daß er in seiner Besorgnis zu heftig auf das Gaspedal getreten war. Der Wagen schoß wie eine Rakete auf der Autobahn dahin. Er nahm den Fuß etwas zurück.

Wo immer der Hund sein, bei wem immer er Zuflucht gefunden haben mochte, er war in Gefahr. Und die, die ihm Zuflucht gewährt hatten, waren es ebenfalls.

SECHS 

1

Die letzte Maiwoche und die erste Juniwoche waren Nora und Travis - und Einstein - beinahe jeden Tag zusammen.

Anfangs fürchtete sie, Travis sei irgendwie gefährlich; nicht so gefährlich wie Art Streck, aber doch jemand, den man zu fürchten hatte. Aber diese Phase von Verfolgungswahn hatte sie bald hinter sich. Jetzt mußte sie über sich selbst lachen, wenn sie daran dachte, wie sie ihn beargwöhnt hatte. Er war freundlich und nett und damit genau die Sorte Mann, die nach Meinung ihrer Tante Violet nirgends auf der Welt existierte. Sobald Nora ihre Verfolgungsangst überwunden hatte, war sie zunächst überzeugt, der einzige Grund, weshalb Travis sich mit ihr abgebe, sei sein Mitleid. Mitfühlender Mensch, der er sei, bringe er es einfach nicht fertig, jemandem den Rücken zu kehren, der sich in einer verzweifelten Lage befinde. Die meisten Leute, die Nora kennenlernten, kamen nicht auf den Gedanken, sie sei verzweifelt - absonderlich vielleicht und scheu und gedrückt, nicht aber verzweifelt. Und doch war sie in verzweifeltem Maße unfähig - oder war es gewesen -, sich der Welt außerhalb ihrer eigenen vier Wände zu stellen, hatte verzweifelte Angst vor der Zukunft und war verzweifelt einsam. Travis, ebenso empfindsam wie nett, sah diese Verzweiflung und reagierte darauf. Und während der Mai langsam in den Juni überging und die Tage unter der Sommersonne heißer wurden, wagte sie es langsam, die Möglichkeit in Betracht zu ziehen, er helfe ihr nicht aus Mitleid, sondern weil er sie wirklich gern hatte.

Was ein Mann wie er in einer Frau wie sie sehen mochte, war ihr allerdings nicht klar. Sie hatte nichts, aber auch schon §ar nichts zu bieten.

Nun gut, sie hatte Probleme mit ihrem Eigenbild. Vielleicht war sie in Wirklichkeit gar nicht so hoffnungslos fade und nichtssagend, wie sie sich vorkam. Dennoch, Travis verdiente klarerweise bessere weibliche Gesellschaft, als sie sie ihm bieten konnte - und hätte sie auch bestimmt bekommen.

Sie beschloß, sein Interesse nicht näher zu erforschen. Was sie tun mußte, war jetzt einfach, sich zu entspannen und es zu genießen.

Weil Travis nach dem Tod seiner Frau seine Makleragentur verkauft hatte und daher praktisch in einer Art Ruhestand lebte, und weil auch Nora keinen Beruf ausübte, hatten sie beide die Freiheit, den größten Teil des Tages zusammen zu sein, wenn sie das wollten - und sie wollten. Sie gingen in Galerien, durchstöberten Buchläden, machten lange Spaziergänge oder noch längere Ausflugsfahrten in das malerische Santa-Ynez-Tal oder entlang der grandiosen Pazifikküste.

Zweimal brachen sie am frühen Morgen nach Los Angeles auf und verbrachten einen ganzen Tag dort, und Nora war allein von der Größe der Stadt ebenso überwältigt wie von dem, was sie unternahmen: eine Besichtigung der Filmstudios, einen Besuch im Zoo, den Besuch einer Vormittagsvorstellung eines erfolgreichen Musicals.

Eines Tages überredete Travis sie, sich einen neuen Haarschnitt zuzulegen. Er ging mit ihr in einen Schönheitssalon, den seine verstorbene Frau regelmäßig aufgesucht hatte. Nora war so nervös, daß sie zu stottern begann, als sie mit der Friseuse, einer munteren Blondine namens Melanie, sprach. Violet hatte Nora das Haar immer zu Hause geschnitten, und nach Violets Tod hatte Nora das selbst getan. Von einer Kosmetikerin betreut zu werden, war eine neue Erfahrung, ebenso nervenaufreibend wie das erste Essen in einem Restaurant. Melanie tat etwas, das sie als >Effilieren< bezeichnete: Sie schnitt Nora eine Menge Haare weg, ohne daß sie dabei an Haarfülle verlor. Sie erlaubten Nora nicht, im Spiegel zuzusehen, ließen es nicht zu, daß sie auch nur einen einzigen Blick auf ihr Spiegelbild warf, ehe sie trockengefönt und ausgekämmt war. Dann drehten sie sie im Sessel herum und konfrontierten sie mit sich selbst. Als sie sich sah, war sie überwältigt.

»Sie sehen großartig aus«, sagte Travis.

»Eine totale Verwandlung«, sagte Melanie.

»Großartig!!« wiederholte Travis.

»Sie haben ein so hübsches Gesicht und einen prima Knochenbau«, sagte Melanie. »Die glatten langen Haare haben Ihr Gesicht in die Länge gezogen und spitz erscheinen lassen. So hat Ihr Gesicht die vorteilhafteste Einrahmung.«

Selbst Einstein schien die Veränderung zu mögen. Als sie den Schönheitssalon verließen, wartete der Hund an der Stelle, wo sie ihn an eine Parkuhr angebunden hatten. Erst nach einer typischen Hunde-Spätzündung erkannte er sie, sprang auf und legte ihr die Vorderpfoten auf die Schultern. Er beschnüffelte ihr Gesicht und ihr Haar und winselte dann glücklich und schwanzwedelnd.

Sie haßte ihr neues Aussehen. Als man sie zum Spiegel herumdrehte, sah sie vor sich eine bedauernswerte alte Jungfer, die versuchte, als lebhaftes junges Ding aufzutreten. Das gestylte Haar war einfach nicht sie - es betonte bloß, daß sie im Grunde langweilig und nichtssagend aussah. Sie würde niemals begehrenswert, charmant, modern oder irgend etwas von dem sein, was die neue Frisur von ihr behauptete. Es war, als steckte man einem Truthahn einen bunten Federwisch an und versuchte ihn als Pfau auszugeben.