Weil sie Travis' Gefühle nicht verletzen wollte, tat sie, als gefiele ihr, was man mit ihr gemacht hatte. Aber am Abend wusch sie sich das Haar, bürstete es aus, zog daran, bis das sogenannte Styling glattgezerrt war. Wegen des Schnittes lag es nicht mehr so gerade und schlaff wie früher, aber sie tat, was sie konnte, um den alten Zustand wiederherzustellen.
Als Travis sie am nächsten Tag zum Mittagessen abholte, war er sichtlich betroffen, daß sie zu ihrem früheren Aussehen zurückgekehrt war. Aber er sagte nichts, stellte keine Fragen. Ihr war es derart peinlich, sie hatte solche Angst, seine Gefühle verletzt zu haben, daß sie in den ersten zwei Stunden unfä-nig war, ihm länger als ein oder zwei Sekunden lang in die Augen zu sehen.
Trotz ihres wiederholten und immer heftiger werdenden Sträubens bestand Travis darauf, mit ihr etwas zum Anziehen kaufen zu gehen, ein buntes, sommerliches Kleid, das sie zum Abendessen im Talk-of-the-Town tragen könnte, einem eleganten Restaurant an der West Gutierrez, wo man, wie er ihr sagte, gelegentlich die Filmstars sehen könne, die in der Gegend lebten, Leute von der Filmkolonie, die an Prominenz nur der in Beverly Hills/Bel Air nachstehe. Sie gingen in einen teuren Laden, wo sie ein Dutzend Kleider anprobierte, sich in jedem Travis zeigte, um seine Reaktion zu sehen, dabei rot wurde und sich gedemütigt vorkam. Die Verkäuferin schien echt zufrieden, wie alles an Nora aussah, und sagte ihr immer wieder, ihre Figur sei perfekt. Aber Nora wurde einfach das Gefühl nicht los, die Frau mache sich über sie lustig.
Das Kleid, das Travis am besten gefiel, stammte aus der Diane-Freis-Kollektion. Nora konnte nicht leugnen, daß es reizend aussah: im wesentlichen in Rot und Gold, aber mit geradezu wildem Hintergrund aus einem Gemisch anderer Farben, die besser zusammenpaßten, als das eigentlich hätte der Fall sein sollen (offenbar das Besondere an Preis' Designs). Es war ein höchst feminines Kleid. An einer schönen Frau wäre es einfach umwerfend gewesen. Aber es paßte nicht zu ihr.
Dunkle Farben, formlose Schnitte, einfaches Material, keinerlei Dekor - das war ihr Stil. Sie versuchte ihm klarzumachen, was für sie das beste sei, erklärte, daß sie nie ein Kleid wie dieses tragen könne. Aber er sagte: »Sie sehen einfach großartig darin aus, wirklich - großartig.«
Sie ließ es ihn kaufen. Ja, bei Gott, sie ließ es wirklich zu.
Sie wußte, es war ein großer Fehler, es war falsch, und sie würde es nie tragen. Als das Kleid eingepackt wurde, fragte sich Nora, weshalb sie nachgegeben habe, und dabei wurde ihr klar, daß sie sich zwar gedemütigt vorkam, es ihr aber doch schmeichelte, daß ein Mann Kleider für sie kaufte, sich für ihr Aussehen interessierte. Daß so etwas geschehen könnte, davon hätte sie nie zu träumen gewagt, und sie war überwältigt. Die Röte wich nicht aus ihrem Gesicht. Ihr Herz schlug wie wild. Sie fühlte sich schwindelig, aber es war ein wohltuender Schwindel.
Als sie das Geschäft verließen, erfuhr sie, daß er fünfhundert Dollar für das Kleid bezahlt hatte. Fünfhundert Dollar!
Sie hatte vorgehabt, es in den Schrank zu hängen und oft anzusehen, gleichsam als Ausgangspunkt für angenehme Tagträume, was schön und in Ordnung gewesen wäre, hätte es fünfzig Dollar gekostet. Aber für fünfhundert würde sie es tragen müssen, selbst wenn sie sich darin lächerlich vorkam, selbst wenn sie richtig aufgedonnert damit aussah, eine Putzfrau, die sich als Prinzessin ausgab.
Am folgenden Abend, bevor Travis sie zum Essen im Talk-of-the-Town abholte, zog sie zwei Stunden lang das Kleid ein halbes Dutzend mal an und wieder aus. Sie durchstöberte mehrmals den Inhalt ihres Kleiderschranks, suchte verzweifelt nach etwas anderem. Vernünftigerem. Aber sie hatte nichts, weil sie bisher nie Garderobe für teure Restaurants gebraucht hatte.
Mit finsterem Blick ihr Bild im Badezimmerspiegel betrachtend, sagte sie: »Du siehst aus wie Dustin Hoffman in >Toot-sie<.«
Sie mußte plötzlich lachen, denn ihr war klar, daß sie zu streng über sich urteilte. Aber zarter ging's einfach nicht; so fühlte sie sich eben: wie ein Mann in Frauenkleidern. Und in diesem Fall waren Gefühle wichtiger als Tatsachen. Ihr Lachen schmeckte plötzlich bitter.
Zweimal begann sie zu heulen, überlegte, ob sie ihn anrufen und ihre Verabredung absagen solle. Aber sie wollte ihn sehen, ganz gleich, wie erniedrigend der Abend sein würde. Sie wusch sich die roten Ränder aus den Augen, probierte das Kleid erneut an - und zog es aus.
Ein paar Minuten nach sieben traf er ein und sah sehr gut aus in seinem dunklen Anzug.
Nora trug ein formloses blaues Hemdblusenkleid und dunkelblaue Schuhe.
»Ich werde warten«, sagte er.
Und sie: »Hm? Worauf?«
»Sie wissen schon«, sagte er, was nichts anderes bedeutete als: Gehen Sie sich umziehen,
Sie sprudelte es in nervöser Hast heraus, und ihre Ausrede hinkte ordentlich: »Travis, tut mir leid, es ist wirklich schrecklich, aber ich habe Kaffee über das Kleid gegossen.«
»Ich werde hier drinnen warten«, sagte er und ging auf das Wohnzimmer zu.
»Einen vollen Topf Kaffee«, sagte sie.
»Sie beeilen sich besser. Wir haben für halb acht reserviert.«
Sich innerlich gegen das amüsierte Flüstern, wenn nicht sogar Gekichere der Leute stählend, sich vorsagend, die Meinung Travis' sei die einzige, auf die es ankomme, zog sie das Diane-Freis-Kleid an. Sie wünschte, sie hätte die Frisur nicht zerstört, die Melanie ihr vor ein paar Tagen gemacht hatte.
Vielleicht hätte das geholfen. Nein, wahrscheinlich würde sie damit noch lächerlicher aussehen.
Als sie wieder die Treppe herunterkam, lächelte Travis und sagte: »Sie sehen reizend aus.«
Sie konnte nicht feststellen, ob das Essen im Talk-of-the-Town so gut war wie sein Ruf. Sie schmeckte überhaupt nichts. Später konnte sie sich auch nicht mehr an die Innenausstattung des Lokals erinnern, dafür hatten sich die Gesichter der Gäste - darunter auch das des Schauspielers Gene Hackman - in ihre Erinnerung eingebrannt, weil sie sicher war, daß diese Leute sie den ganzen Abend über voll Staunen und Verachtung angestarrt hatten.
Das Essen war in vollem Gange, als Travis, dem ihr Unbehagen sichtlich bewußt war, sein Weinglas hinstellte, sich zu ihr beugen und leise sagte: »Sie sehen wirklich reizend aus, Nora, ganz gleich, was Sie denken. Hätten Sie die Erfahrung, solche Dinge zu bemerken, dann wüßten Sie, daß die meisten Männer im Saal hingerissen sind von Ihnen.«
Aber sie kannte die Wahrheit, konnte sich dieser Wahrheit stellen. Wenn die Männer sie tatsächlich anstarrten, dann nicht, weil sie hübsch war. Man mußte schließlich damit rechnen, daß die Leute einen Truthahn anstarrten, der sich mit Hilfe eines Federbuschs als Pfau auszugeben versuchte.
»Sie sehen ohne eine Spur von Make-up besser aus als jede andere Frau im Saal«, sagte er.
Kein Make-up. Ein weiterer Grund, weshalb sie sie anstarrten. Wenn eine Frau ein Fünfhundert-Dollar-Kleid anzog, um sich in ein teures Restaurant ausführen zu lassen, dann sorgte sie dafür, daß sie so gut wie möglich aussah, benutzte Lippenstift, Eyeliner, Make-up, Puder und Gott-weiß-was-sonst-noch. Aber Nora war nicht einmal der Gedanke an Make-up gekommen.
Das Dessert - Mousse au Chocolat und zweifellos köstlich - schmeckte wie Bücherleim und blieb ihr ein paarmal im Hals stecken.
Sie und Travis hatten in den vergangenen Wochen stundenlange Gespräche geführt, waren überrascht gewesen, wie leicht es ihnen fiel, voreinander intime Gefühle und Gedanken auszubreiten. Sie hatte erfahren, warum er trotz seines guten Aussehens und seiner relativen Wohlhabenheit allein lebte.
Und er hatte erfahren, warum sie eine so geringe Meinung von sich hatte. Als sie dann einfach kein Mousse mehr hinunterbrachte und Travis anflehte, sie sofort nach Hause zu bringen, sagte er leise: »Wenn es eine Gerechtigkeit gibt, dann schwitzt Violet Devon heute nacht in der Hölle.«