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»Geahnt habe ich es«, sagte Travis. »Hätte sie alles von ihren Eltern geerbt, würde sie das erwähnt haben. Die Tatsache, daß sie nicht darüber redete, woher das Geld kam ... nun, mir schien das nur eine Möglichkeit offenzulassen - ein Mann, und höchstwahrscheinlich einer, mit dem sie Schwierigkeiten hatte. Und es ergibt sogar noch mehr Sinn, wenn man bedenkt, wie wenig sie von den Menschen im allgemeinen und von Männern im speziellen hielt.«

Der Anwalt war entsetzt und in derartiger Erregung, daß er nicht still sitzen konnte. Er stand auf, marschierte an einem riesigen alten Globus vorbei, der von innen beleuchtet war und allem Anschein nach aus Pergament bestand. »Jetzt bin ich wirklich sprachlos. Sie haben also nie richtig begriffen, weshalb sie die Menschen so haßte, weshalb sie jeden im Verdacht hatte, ihr Böses antun zu wollen?«

»Nein«, sagte Nora. »Ich brauchte es wahrscheinlich nicht zu wissen. So war sie eben.«

Immer noch auf und ab gehend, sagte Garrison: »Ja. Das stimmt. Ich bin überzeugt, daß sie bereits in jungen Jahren leicht paranoid war. Und als sie dann herausfand, daß George sie mit anderen Frauen betrogen hatte, riß der Faden in ihr.

Von da an wurde es nur noch schlimmer mit ihr.«

»Warum hat Violet immer noch ihren Mädchennamen Devon benutzt, wenn sie doch mit Olmstead verheiratet war?« fragte Travis.

»Sie wollte seinen Namen nicht mehr. Sie verabscheute den Namen. Sie hat ihm die Tür gewiesen, ihn beinahe mit dem Stock aus dem Haus gejagt! Als er starb, hatte sie bereits die Scheidungsklage eingereicht«, sagte Garrison. »Sie hatte von seinen Affären mit anderen Frauen erfahren, wie ich schon sagte. Sie war wütend. Von Zorn und Scham erfüllt. Ich muß sagen ... ich kann es dem armen George nicht völlig verübeln, denn ich glaube nicht, daß er zu Hause viel Liebe und Zuneigung erfuhr. Er wußte schon einen Monat nach der Hochzeit, daß die Heirat ein Fehler gewesen war.«

Garrison blieb neben dem Globus stehen, eine Hand locker auf die Weltkugel gestützt, und starrte weit in die Vergangenheit zurück. Normalerweise sah man ihm sein Alter nicht an. Als er freilich jetzt über die Jahre zurückblickte, schienen die Linien in seinem Gesicht sich zu vertiefen, seine blauen Augen verloren etwas von ihrem Glanz. Nach einer Weile schüttelte er den Kopf und fuhr fort: »Das waren damals jedenfalls andere Zeiten als heute. Eine Frau, die von ihrem Mann betrogen worden war, war ein Objekt des Mitleids, des Spotts. Aber selbst für jene Zeit fand ich Violets Reaktion übertrieben. Sie verbrannte seine sämtlichen Kleider, ließ die Türschlösser austauschen. Sie tötete sogar einen Hund, einen Spaniel, den er gerngehabt hatte. Sie hat ihn vergiftet, ihn in einen Karton verpackt und ihn ihm zugeschickt.«

»Herrgott im Himmel!« sagte Travis.

Garrison fuhr fort: »Violet nahm wieder ihren Mädchennamen an, weil sie den seinen nicht mehr wollte. Der Gedanke, George Olmsteads Namen durchs Leben tragen zu müssen, stieße sie ab, sagte sie, obwohl er bereits tot war. Sie war eine Frau, die nicht verzeihen konnte.«

»Ja«, pflichtete Nora ihm bei.

Garrison Dilworth' Gesicht verzog sich aus Mißbehagen über die Erinnerung daran, und er sagte: »Als George getötet wurde, tat sie nichts, um ihre Freude zu verbergen.«

»Getötet?« Nora rechnete fast damit, jetzt zu hören, daß Violet George Olmstead getötet habe und irgendwie der gerichtlichen Strafe entgangen sei.

»Es war ein Autounfall, vor vierzig Jahren«, sagte Garrison. »Er verlor auf der Küstenstraße bei der Heimfahrt von Los Angeles die Kontrolle über seinen Wagen und stürzte in die Tiefe. Damals gab es noch kein Geländer. Die Strandböschung war an dieser Stelle zwanzig oder dreißig Meter hoch, sehr steil, und Georges Wagen - ein großer schwarzer Packard - überschlug sich mehrere Male, ehe er unten auf den Felsen aufprallte. Violet erbte alles, weil George, obwohl sie bereits das Scheidungsverfahren gegen ihn eingeleitet hatte, noch nicht dazugekommen war, sein Testament zu ändern.«

Travis nickte langsam. »Also hat George Olmstead Violet nicht nur betrogen, sondern ihr, indem er starb, jede Zielscheibe für ihren Groll genommen. Also richtete sie ihre Wut gegen die Welt im allgemeinen.«

»Und mich im speziellen«, sagte Nora.

Am gleichen Nachmittag erzählte Nora Travis von ihrer Malerei. Sie hatte ihre künstlerische Betätigung bisher nicht erwähnt, und er hatte ihr Schlafzimmer nicht betreten und daher ihre Staffelei und ihr Zeichenbrett nicht gesehen. Sie war sich nicht im klaren, weshalb sie diesen Teil ihres Lebens vor ihm geheimgehalten hatte. Sie hatte zwar ihr Interesse für Kunst erwähnt, weshalb sie auch Galerien und Museen besucht hatten; aber vielleicht hatte sie nie von ihrer eigenen Arbeit gesprochen, weil sie fürchtete, er würde, wenn er ihre Bilder sähe, nicht beeindruckt sein.

Und wenn er gar meinte, sie sei nicht wirklich talentiert?

Abgesehen von der Zerstreuung, die Bücher ihr boten, war die Malerei Noras Trost in vielen dunklen, einsamen Jahren gewesen. Sie hielt sich für gut, vielleicht sogar für sehr gut, obwohl sie zu schüchtern und verletzlich war, um diese Überzeugung vor irgend jemandem auszusprechen. Was, wenn sie unrecht hatte? Was, wenn sie kein Talent besaß und es also nur ein Zeitvertreib gewesen war? Ihre Kunst war das wesentliche Medium, durch das sie selbst sich definierte. Sie besaß sonst sehr wenig, auf das sich ihr so dünnes, zerbrechliches Selbstgefühl stützen konnte; also hatte sie ein geradezu verzweifeltes Bedürfnis, an ihr Talent zu glauben. Travis' Meinung bedeutete ihr unaussprechlich viel, und eine negative Reaktion seinerseits auf ihre Malerei, fürchtete sie, würde sie vernichten. Aber nachdem sie Garrison Dilworths Büro verlassen hatten, wußte Nora, daß die Zeit gekommen war, das Risiko auf sich zu nehmen. Die Wahrheit über Violet Devon war der Schlüssel, mit dem Nora den Kerker ihrer Gefühle aufgeschlossen hatte. Sie würde viel Zeit brauchen, aus ihrer Zelle herauszutreten, durch den langen Korridor hinaus in die Welt zu treten - aber die Reise würde unvermeidbar weitergehen. Deshalb mußte sie sich allen Erfahrungen des neuen Lebens öffnen, und das schloß auch die schreckliche Möglichkeit des Abgelehntwerdens und der schweren Enttäuschung mit ein. Ohne Risiko gab es keine Hoffnung auf Gewinn.

Als sie wieder im Haus waren, überlegte sie, Travis mit hinaufzunehmen, damit er sich ein halbes Dutzend ihrer letzten Gemälde ansähe. Aber die Vorstellung, einen Mann in ihrem Schlafzimmer zu haben, selbst mit den unschuldigsten Absichten, war zu beunruhigend. Garrison Dillworths Enthüllungen hatten sie befreit, ihre Welt war im Begriff, sich rasch auszuweiten. Aber so frei war sie noch nicht. Statt dessen bestand sie darauf, daß Travis und Einstein auf einem der großen Sofas in dem mit Möbeln überladenen Wohnzimmer Platz nahmen, wohin sie ihnen einige ihrer Bilder zum Betrachten bringen wollte. Sie schaltete sämtliche Lichter ein, zog die Vorhänge von den Fenstern und sagte: »Ich bin gleich wieder zurück.« Aber oben stand sie zappelig vor den mehr als zehn Gemälden in ihrem Schlafzimmer, konnte sich nicht entscheiden, welche zwei sie ihm zuerst bringen sollte. Schließlich entschied sie sich für vier, obwohl es etwas unbequem war, so viele auf einmal zu tragen. Auf halbem Wege blieb sie zitternd stehen und beschloß, die Bilder wieder hinaufzutragen und andere auszuwählen. Aber sie ging nur vier Stufen zurück, dann wurde ihr klar, daß sie solcherart den ganzen Tag in ihrer Unschlüssigkeit verbringen würde. Sie rief sich in Erinnerung, daß ohne Risiko nichts zu gewinnen sei, atmete tief durch und ging rasch mit den vier Gemälden, die sie ausgewählt hatte, die Treppe hinunter.

Sie gefielen Travis. Mehr noch: Er geriet beinahe in Verzükkung.

»Mein Gott, Nora, das ist keine Hobbymalerei! Das ist wirklich etwas! Das ist Kunst!«