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Er klappte die Ladebrücke nach unten und sagte: »Komm!

Ich nehm' dich mit.«

Der Hund sprang in den Laderaum.

Travis knallte die Klappe zu und ging um den Laster herum. Als er die Fahrertür aufzog, war ihm, als würde er im nahen Gebüsch Bewegung entdecken. Nicht hinter ihnen, in Richtung Wald, sondern auf der anderen Seite der Schotterstraße. Dort drüben war ein schmales Feld, auf dem hüfthohes braunes Gras stand, trocken wie Heu, ein paar stachelige Mesqui-tebüsche und ein paar weit auswuchernde Oleander, mit Wurzeln, die tief genug in den Boden reichten, um sie grün zu halten. Als er direkt zu dem Feld hinüberstarrte, sah er nichts mehr von der Bewegung, die er aus dem Augenwinkel wahrgenommen zu haben glaubte. Aber er vermutete dennoch, daß es keine Einbildung gewesen war.

Mit dem aufs neue erwachten Gefühl, nicht viel Zeit zu haben, kletterte er auf den Fahrersitz und legte den Revolver neben sich. Er fuhr so schnell davon, wie der waschbrettartige Weg und die Rücksichtnahme auf den vierbeinigen Passagier hinten im Laderaum das erlaubten.

Zwanzig Minuten später, als er an der Santiago Canyon Road anhielt, zurückgekehrt in die Welt des Asphalts und der Zivilisation, fühlte er sich immer noch schwach und zitterig. Aber die weiter in ihm schwellende Furcht war anders als die, die er im Wald empfunden hatte. Sein Herz trommelte nicht

mehr. Der kalte Schweiß auf seinen Händen und seiner Stirn war getrocknet. Das seltsame Prickeln am Nackenansatz und auf der Kopfhaut war verschwunden - schon die Erinnerung daran schien unwirklich. Jetzt machte ihm nicht mehr irgendein unbekanntes Geschöpf Angst, sondern sein eigenes seltsames Verhalten. Jetzt, da er aus dem Wald und in Sicherheit war, konnte er das Ausmaß des Schreckens, der ihn gepackt hatte, nicht mehr ganz ins Gedächtnis zurückrufen, und deshalb erschien ihm sein Handeln als irrational.

Er zog die Handbremse und schaltete den Motor ab. Es war elf Uhr, und der Trubel des vormittäglichen Verkehrs war vorbei; nur noch gelegentlich kam ein Wagen auf der zweispurigen, asphaltierten Landstraße vorüber. Er saß einen Augenblick da und versuchte sich einzureden, daß er nach Instinkten gehandelt hatte, die gut, richtig und verläßlich funktionierten. Er war stets auf seinen unerschütterlichen Gleichmut und seine dickschädelige Nüchternheit stolz gewesen - wenn schon auf sonst nichts. Er konnte inmitten eines Freudenfeuers kühl bleiben. Er konnte, falls er dazu gezwungen war, harte Entscheidungen fällen und die Konsequenzen auf sich nehmen.

Nur - es fiel ihm zunehmend schwer, zu glauben, daß ihn dort draußen tatsächlich ein fremdartiges Wesen beschlichen habe. Er fragte sich, ob er das Verhalten des Hundes falsch ausgelegt, sich die Bewegung im Unterholz eingebildet habe, bloß um sich einen Vorwand zu liefern, sein Selbstmitleid zu vergessen.

Er stieg aus dem Wagen und ging nach hinten, wo er sich von Angesicht zu Angesicht dem Retriever gegenübersah, der auf der Ladefläche stand. Der Hund schob seinen breiten Kopf nahe heran und leckte ihm Hals und Kinn. Obwohl er vorher nach ihm geschnappt und gebellt hatte, war er anschmiegsam, und zum erstenmal kam Travis sein zerzauster Zustand komisch vor. Er versuchte den Hund von sich abzuhalten, aber der strebte vorwärts, kletterte in seinem Eifer, ihm das Gesicht zu lecken, fast über die Brücke. Travis lachte und fuhr ihm durch das verfilzte Fell.

Die Ausgelassenheit des Retrievers, sein hektisches Schweifwedeln hatten eine unerwartete Wirkung auf Travis. Lange Zeit war sein Bewußtsein ein finsterer Ort gewesen, angefüllt mit Todesgedanken, die schließlich ihren Höhepunkt in der heutigen Reise gefunden hatten. Aber die unverhohlene Freude dieses Tieres am Leben war wie Scheinwerferlicht, das Travis' innere Düsternis durchstieß und ihn daran erinnerte, daß das Leben auch hellere Seiten hatte, von denen er sich vor langer Zeit abgewendet hatte.

»Was hatte das alles nur zu bedeuten?« fragte er laut.

Der Hund hörte auf, ihn abzulecken, hörte auf, mit dem schmutzverkrusteten Schweif zu wedeln, schaute ihn ernst an, und plötzlich fühlte Travis den bohrenden Blick der sanften, warmen braunen Augen des Tieres auf sich gerichtet. Etwas in ihnen war ungewöhnlich, unwiderstehlich. Travis war wie hypnotisiert, und der Hund schien in gleicher Weise in den Bann gezogen. Aus dem Süden wehte eine milde Frühlingsbrise. Travis suchte in den Augen des Hundes nach etwas, das deren besondere Kraft und Wirkung erklärte, sah aber nichts Ungewöhnliches; nur... nun, sie kamen ihm irgendwie ausdrucksvoller vor, als das Hundeaugen gewöhnlich waren: klüger, wacher. Bedachte man, wie kurz die Aufmerksamkeit eines beliebigen Hundes dauerte, dann war der unverwandte Blick des Retrievers verdammt ungewöhnlich. Als die Sekunden vergingen und weder Travis noch der Hund den Blickkontakt lösten, wurde ihm zunehmend eigenartig zumute. Ein Frösteln durchlief ihn, ausgelöst nicht von Furcht, sondern dem Gefühl, daß hier etwas Unheimliches geschah, daß er an der Schwelle einer schrecklichen Entdeckung stand.

Dann schüttelte der Hund die Mähne, leckte Travis die Hand, und der Zauber war gebrochen.

»Woher kommst du. Junge?«

Der Hund legte den Kopf nach links.

»Wem gehörst du?«

Der Hund legte den Kopf nach rechts.

»Was soll ich mit dir machen?«

Wie als Antwort darauf sprang der Hund über die Ladebrücke, rannte an Travis vorbei zur Fahrertür und kletterte ins Fahrerhaus des Pick-up.

Als Travis hineinschaute, saß der Retriever auf dem Beifahrersitz und blickte durch die Windschutzscheibe geradeaus nach vorn. Er drehte sich zu ihm und gab ein leises Wwufff von sich, als hätte Travis' Zögern ihn ungeduldig gemacht.

Travis setzte sich hinters Steuer und schob den Revolver unter seinen Sitz. »Ich glaube nicht, daß ich für dich sorgen kann. Zuviel Verantwortung, Bursche. Paßt nicht zu meinen Plänen. Tut mir leid.«

Der Hund sah ihn flehend an.

»Siehst hungrig aus. Junge.«

Wieder wuffte er einmal, leise.

»Okay. Vielleicht kann ich dir da helfen. Ich glaube, im Handschuhkasten ist ein Riegel Hershey-Schokolade ... Und nicht weit von hier gibt's ein McDonald's, und die haben wahrscheinlich ein paar Hamburger für dich. Aber dann...

\un, ich werde dich entweder wieder freilassen oder ins Tier-neim bringen müssen.«

Noch während Travis redete, hob der Hund eine Vorderpfote und drückte damit den Knopf des Handschuhkastens. Die Klappe fiel auf.

»Was, zum Teufel -«

Der Hund beugte sich vor, fuhr mit der Schnauze in den offenen Kasten und zog den Schokoladenriegel mit den Zähnen heraus, ihn dabei so locker haltend, daß die Verpackung nicht riß.

Travis blinzelte vor Überraschung.

Der Retriever hielt ihm den Schokoladenriegel hin, als wollte er Travis bitten, ihm den Leckerbissen auszuwickeln. Verblüfft nahm er die Schokolade und schälte sie aus dem Papier.

Der Retriever beobachtete ihn, leckte sich die Lefzen.

Travis brach den Riegel in einzelne Stücke und gab sie ihm der Reihe nach. Der Hund nahm sie dankbar und aß fast geziert.

Travis schaute verwirrt zu, war nicht sicher, ob das, was er gesehen hatte, wirklich ungewöhnlich war oder vernünftig erklärt werden konnte. Hatte der Hund ihn tatsächlich verstanden, als er sagte, es sei ein Schokoladenriegel im Handschuhkasten? Oder hatte er nur den Geruch von Schokolade entdeckt? Sicher letzteres.

Zum Hund sagte er: »Aber wie wußtest du denn, daß man den Knopf drücken muß, um den Deckel aufzubekommen?« Der Hund starrte ihn an, leckte sich die Lefzen und nahm ein weiteres Stück Schokolade entgegen.

Er sagte: »Okay, okay. Vielleicht ist das ein Trick, den man dir beigebracht hat, obwohl das ja normalerweise nicht zu den Dingen gehört, die man Hunden gewöhnlich beibringt, oder? Einen Purzelbaum schlagen, sich totstellen, fürs Abendessen singen, sogar ein Stück auf den Hinterbeinen gehen ... ja, das bringt man Hunden gewöhnlich bei... nicht aber, wie man Schlösser und Deckel aufbekommt.«