Anstatt in den Flur zurückzukehren und den Killer zu stellen, ging er zur Haustür und tastete nach dem Messinggriff, in der Absicht, von hier zu verschwinden. Und da bemerkte er, daß die Tür nicht nur abgeschlossen und verriegelt worden war: 'Ein Stück Draht war um den Knauf der feststehenden Tür und den der beweglichen gewunden worden und verband sie miteinander, hielt sie aneinander fest. Er mußte den Draht abwickeln, ehe er hinauskonnte, was vielleicht eine halbe Minute in Anspruch nehmen würde.
Klick, klick, klick.
Er feuerte einmal, ohne auch nur hinzusehen, in den Korridor und rannte in die entgegengesetzte Richtung, durchquerte das leere Wohnzimmer. Er hörte den Killer hinter sich. Hörte ihn klicken. Er kam in der Finsternis schnell heran. Und doch hörte Ken, als er das Eßzimmer erreicht hatte und fast am Türbogen war, der in die Küche führte, von wo aus er in das zweite Wohnzimmer und zur Terrassentür gelangen wollte, durch die Teel hereingekommen war, wie das Klicken nun von vorne auf ihn zukam. Er war sicher, daß der Killer ihn ins Wohnzimmer verfolgt hatte. Jetzt aber war der Bursche wieder in den finsteren Flur zurückgekehrt und kam von der anderen Richtung auf ihn zu, machte aus dem Ganzen ein verrücktes Spiel. Den Geräuschen nach zu schließen, die der Schweinehund machte, war er im Begriff, den Eßraum zu betreten. Dann würde zwischen ihm und Ken nur noch die Küche liegen. Deshalb beschloß Ken, hier stehenzubleiben und diesen Wahnsinnigen in dem Moment wegzublasen, wo der Bursche in seinem Scheinwerferkegel auftauchte ...
Und dann stieß der Killer einen schrillen Schrei aus.
Durch den Flur klickend, immer noch außer Sichtweite, aber auf Ken zukommend, stieß der Angreifer einen schrillen, unmenschlichen Schrei aus - einen Schrei, in dem sich urtümliche Wut und Haß elementar vermengten, der seltsamste Laut, den Ken je gehört hatte; kein Laut, wie ein Mensch ihn erzeugen würde, nicht einmal ein Irrer. Ken gab jeglichen Gedanken auf, sich dieser Kreatur zu stellen, schleuderte seine Taschenlampe in die Küche, um den Feind von sich abzulenken, wandte sich ab und floh wieder, aber nicht zurück ins Wohnzimmer, in keinen Teil des Hauses, in dem dieses Katz-und-Maus-Spiel weitergeführt werden konnte, sondern geradenwegs quer durch das Eßzimmer auf ein Fenster zu, das im letzten Schein des Zwielichts schwach glitzerte. Er zog den Kopf ein, legte die Arme an die Brust und drehte sich zur Seite, während er gegen das Glas prallte. Das Fenster zerbarst, er fiel in den Hinterhof hinaus, rollte durch Bauschutt. Überreste von Balkenstücken und Betonbrocken bohrten sich schmerzhaft in seine Beine und Rippen. Er rappelte sich auf, wirbelte herum und schoß das Magazin seiner Waffe auf das zerbrochene Fenster leer, für den Fall, daß der Killer ihn verfolgen sollte.
In der herabsinkenden Nacht sah er keine Spur des Feindes. Wahrscheinlich hatte er keinen Treffer erzielt, vergeudete aber keine Zeit darauf, sein Pech zu verfluchen. Er hetzte um das Haus herum und hinaus auf die Straße. Er mußte den Streifenwagen erreichen, wo es ein Funkgerät gab - und eine großkalibrige Schrotbüchse.
3
Am Mittwoch und Donnerstag, dem zweiten und dritten Juni, suchten Travis, Nora und Einstein eifrig nach einem Weg, die Verständigung zwischen Mensch und Hund zu verbessern, was teilweise solche Frustration erzeugte, daß Mensch und Hund schon beinahe anfingen, das Mobiliar anzuknabbern.
Doch Nora hatte genug Geduld und Zuversicht für sie alle. Als am Freitagabend, dem vierten Juni, kurz vor Sonnenuntergang, der Durchbruch kam, war sie weniger überrascht als Travis oder Einstein.
Sie hatten vierzig Magazine gekauft - von >Time< und >Life< bis >McCall' s< und >Redbook< - sowie fünfzig Bücher, alles Kunst- und Fotobände, und hatten sie ins Wohnzimmer des von Travis gemieteten Hauses gebracht, wo genügend Platz war, um alles auf dem Boden auszubreiten. Sie hatten auch Kissen auf dem Boden ausgelegt, damit sie auf derselben Ebene wie der Hund arbeiten konnten, ohne es unbequem zu haben.
Einstein hatte ihre Vorbereitungen mit Interesse beobachtet.
Auf dem Boden sitzend und mit dem Rücken gegen das Vinyl-überzogene Sofa gelehnt, nahm Nora den Kopf des Retrievers in beide Hände und sagte, wobei sie das Gesicht dicht an dem seinen hatte, so daß ihre Nasen sich fast berührten:
'Okay, jetzt hör mir zu, Einstein. Wir möchten alles mögliche über dich wissen: woher du kommst, weshalb du schlauer bist als ein gewöhnlicher Hund, wovor du an jenem Tag im Wald, als Travis dich fand, Angst hattest, weshalb du manchmal nachts zum Fenster hinausstarrst, als ob du vor etwas Angst hättest, und noch eine ganze Menge. Aber du kannst nicht reden, oder? Nein. Und soweit wir das wissen, kannst du auch nicht lesen. Und selbst wenn du lesen kannst, kannst du nicht ichreiben. Also müssen wir das, glaube ich, mit Bildern machen.«
Travis, der neben Nora saß, konnte sehen, daß der Hund die ganze Zeit, während sie sprach, seinen Blick nicht von ihrem löste. Einstein war wie erstarrt. Sein Schweif hing reglos herunter. Er schien nicht nur zu verstehen, was sie ihm sagte, sondern von dem Experiment gleichsam elektrisiert zu sein.
Wieviel nimmt der Köter wirklich wahr, fragte sich Travis, und wie viele von seinen Reaktionen bilde ich mir aus reinem Wunschdenken bloß ein?
Menschen haben die natürliche Tendenz, ihre Haustiere zu anthropomorphisieren, den Tieren also menschliche Wahrnehmungen und Absichten zuzuschreiben, wo gar keine existieren. Im Falle Einsteins, wo tatsächlich außergewöhnliche Intelligenz vorlag, war die Versuchung, in jeder bedeutungslosen Hundebewegung einen tieferen Sinn zu vermuten, sogar noch größer als normal.
»Wir werden jetzt alle diese Bilder genau ansehen und nach Dingen suchen, die dich interessieren, und anderen, die uns helfen, zu erfahren, woher du kommst und wie du das geworden bist, was du heute bist. Jedesmal, wenn du etwas siehst, das uns helfen kann, dieses Puzzle zusammenzusetzen, mußt du uns darauf aufmerksam machen. Belle es an, lege deine Pfote darauf oder wedle mit dem Schweif.«
»Das ist doch Unfug«, sagte Travis.
»Verstehst du mich, Einstein?« fragte Nora.
Der Retriever gab ein leises »Wuff« von sich.
»Das funktioniert nie«, sagte Travis.
»Doch, es wird«, beharrte Nora. »Er kann nicht reden und nicht schreiben, aber er kann uns Dinge zeigen. Wenn er uns ein Dutzend Bilder zeigt, verstehen wir vielleicht nicht sofort. welche Bedeutung sie für ihn haben, welchen Bezug auf seine Herkunft und seinen Ursprung. Aber mit der Zeit werden wir eine Möglichkeit finden, sie miteinander und mit ihm in Beziehung zu bringen, und dann werden wir wissen, was er uns zu sagen versucht.«
Der Hund, dessen Kopf Noras Hände immer noch festhielten, schielte zu Travis hinüber und wuffte wieder.
»Fertig?« fragte Nora Einstein.
Einsteins Blick kehrte zu ihr zurück, und er wedelte mit dem Schweif.
»Also gut«, sagte sie und ließ seinen Kopf los. »Fangen wir an.«
Mittwoch, Donnerstag und Freitag durchblätterten sie jeweils mehrere Stunden lang Dutzende von Druckwerken, zeigten Einstein Bilder von allen möglichen Dingen - Leuten, Bäumen, Blumen, Hunden, anderen Tieren, Maschinen, Straßen in Städten, Überlandstraßen, Autos, Schiffen, Flugzeugen, Lebensmitteln, Anzeigen für Tausende Produkte - in der Hoffnung, er würde etwas sehen, das seine Aufmerksamkeit erregte. Das Problem war, daß er viele Dinge sah, die ihn interessierten - zu viele. Vielleicht bei hundert aus tausend Bildern bellte er, kratzte mit der Pfote, wuffte, legte die Nase darauf oder wedelte mit dem Schweif. Das, was er auswählte, war von solcher Vielfalt, daß Travis keine Methode erkennen konnte. keine Möglichkeit fand, die Dinge miteinander in Verbindung zu bringen, aus ihrem assoziativen Nebeneinander eine Bedeutung herauszulesen.