Einige Absperrböcke wurden weggehoben, um die NSA-Fahrzeuge durch die Polizeilinien zu lassen, dann wieder zurückgestellt.
Lem fuhr am Schauplatz des Mordes vorbei und parkte ein Stück dahinter am Ende der Straße. Er überließ es Cliff Soa-mes, die anderen Agenten zu informieren, und strebte auf das halb fertiggestellte Haus zu, dem allem Anschein nach alle Aufmerksamkeit galt.
Die Radios der Streifenwagen erfüllten die heiße Nachtluft mit Codes und Stimmengeschnatter - und einem Knistern von Störgeräuschen, als würde die ganze Welt auf einem kosmischen Rost gebraten.
Tragbare Scheinwerfer standen auf Stativen und strahlten die Vorderseite des Hauses an, um die Ermittlungen zu erleichtern. Lem hatte das Gefühl, sich auf einer riesigen Bühne zu befinden. Motten kreisten um die Scheinwerfer und flatterten benommen im grellen Licht. Ihre vergrößerten Schatten glitten über den staubigen Boden.
Er ging quer durch den von Bauschutt bedeckten Hof auf das Haus zu und warf dabei selbst einen übertrieben großen, verzerrten Schatten. Drinnen fand er weitere Scheinwerfer vor. Blendendes Licht prallte von den weißen Wänden ab. Ein paar junge Hilfssheriffs, Männer von der gerichtsmedizinischen Abteilung und die üblichen verbissen wirkenden Typen vom Spurendienst füllten den kleinen Raum. Im grellen Licht sahen sie blaß und verschwitzt aus.
Das Blitzlicht eines Fotografen flammte zweimal auf, weiter hinten im Hause. Im Korridor waren zu viele Menschen, also ging Lem durch das Wohnzimmer, das Eßzimmer und die Küche nach hinten.
Walt Gaines stand im Frühstückszimmer hinter dem letzten, halb verhängten Scheinwerfer. Aber selbst im Schatten waren sein Zorn und seine Verstimmung nicht zu übersehen. Er war offenbar zu Hause gewesen, als er die Nachricht von der Ermordung eines Hilfssheriffs erhielt, denn er trug ausgefranste Joggingschuhe, zerdrückte, beigefarbene Freizeithosen und ein rot-braun-kariertes kurzärmeliges Hemd. Trotz seiner hünenhaften Gestalt, seines Stiernackens, seiner muskulösen Arme und seiner mächtigen Pranken sah Walt in dieser Kleidung und mit der Art und Weise, wie er mit hängenden Schultern dastand, wie ein verlassener kleiner Junge aus.
Vom Frühstücksraum aus konnte Lem wegen der ihm die Sicht verstellenden Leute vom Gerichtslabor nicht in den Wäscheraum sehen, wo immer noch die Leiche lag. Er sagte: »Es tut mir leid, Walt. Sehr leid.«
»Er hieß Teel Porter. Sein Dad, Red Porter, und ich sind seit fünfundzwanzig Jahren Freunde. Red ist erst letztes Jahr in den Ruhestand gegangen. Wie soll ich ihm das beibringen? Herrgott. Das muß ich selber machen, wo wir doch Freunde sind. Diesmal kann ich das an keinen weitergeben.«
Lem wußte, daß Walt sich nie drückte, wenn einer seiner Männer im Dienst ums Leben kam. Er suchte die Familie immer persönlich auf, überbrachte die schlimme Nachricht und blieb während des ersten Schocks bei ihnen.
»Fast hätte ich zwei Männer verloren«, meinte Walt. »Der andere ist noch völlig durcheinander.«
»Wie ist Teel Porter...?«
»Den Bauch aufgerissen, wie Dalberg. Und geköpft.«
Der Outsider, dachte Lem. Darüber gab es jetzt keinen Zweifel mehr.
Motten waren hereingekommen und prallten gegen das Glas des Scheinwerfers, hinter dem Lem und Walt standen.
Der Zorn ließ jetzt Walts Worte undeutlicher werden, als er sagte: »Bis jetzt haben wir... seinen Kopf noch nicht gefunden. Wie bring' ich seinem alten Herrn bei, daß Teels Kopf verschwunden ist?«
Darauf wußte Lem keine Antwort.
Walt sah ihn scharf an. »Jetzt kannst du mich nicht mehr ganz hinausdrängen. Jetzt, wo einer meiner Männer tot ist.« »Walt, meine Behörde arbeitet absichtlich im dunkeln. Verdammt, sogar die Zahl der Agenten, die wir auf der Lohnliste stehen haben, ist Verschlußsache. Aber deine Abteilung ist ganz der Neugier der Presse ausgesetzt. Und damit sie wissen, wie sie sich in diesem Fall verhalten müssen, müßte man deinen Leuten genau sagen, wonach sie suchen. Was hieße, daß einer großen Zahl von Subalternen Geheimnisse der nationalen Verteidigung zur Kenntnis gebracht werden ...«
»Deine Männer wissen alle, was gespielt wird«, konterte Walt.
»Ja, aber meine Männer haben sich eidesstattlich zur Geheimhaltung verpflichtet, sind gründlichen Sicherheitsprüfungen unterzogen worden und dazu ausgebildet, den Mund zu halten.«
»Auch meine Männer können ein Geheimnis bewahren.« »Ganz sicher können sie das«, sagte Lem vorsichtig. »Ich bin sicher, daß sie außerhalb ihrer Arbeit nicht über gewöhnliche Fälle sprechen. Aber das hier ist kein gewöhnlicher Fall. Nein, er muß in unserer Hand bleiben.«
Walt sagte: »Auch meine Männer können sich eidesstattlich zur Geheimhaltung verpflichten.«
»Wir müßten jeden in deiner Abteilung gründlich unter die Lupe nehmen, eine Sicherheitsüberprüfung vornehmen. Nicht nur bei deinen Hilfssheriffs, sondern bei jedem Büroangestellten. Das würde Wochen dauern, Monate.«
Walt blickte durch die Küche zur offenen Wohnzimmertür hinüber und sah Cliff Soames und einen NSA-Agenten mit zwei Hilfssheriffs sprechen, die sich im Zimmer dahinter aufhielten. »Ihr habt hier wohl, kaum daß ihr hier aufgetaucht seid, das Kommando übernommen, wie? Bevor du auch nur ein Wort mit mir darüber gesprochen hast?«
»Ja. Wir müssen sicherstellen, daß deine Leute wissen, daß sie über nichts reden dürfen, was sie heute nacht hier gesehen haben - nicht einmal mit ihren Frauen. Wir machen jeden einzelnen Mann mit den entsprechenden Bundesgesetzen vertraut, weil wir sicher sein wollen, daß sie wissen, welchen Geld- und Gefängnisstrafen sie sich aussetzen.«
»Du drohst mir ja schon wieder mit dem Knast!« sagte Walt, aber diesmal war keine Spur von Humor in seiner Stimme wie beim letztenmal, als sie in der Garage des St.-Josephs-Hospi-tals nach dem Besuch bei Tracy Keeshan miteinander gesprochen hatten.
Lem bedrückte nicht nur der Tod des Hilfssheriffs, sondern auch der Keil, den dieser Fall zwischen ihn und Walt trieb. »Ich will niemanden im Knast haben. Deshalb will ich ja auch sicher sein, daß jeder die Konsequenzen begreift...«
Walt runzelte die Stirn und sagte: »Komm mit.«
Lem folgte ihm nach draußen zu einem Streifenwagen, der vor dem Haus parkte.
Sie setzten sich auf die Vordersitze, Walt hinter das Steuerrad. Die Türen hatten sie geschlossen. »Dreh die Fenster hoch, damit wir ungestört sind.«
Lem protestierte, meinte, sie würden in dieser Hitze ohne Lüftung ersticken. Aber selbst im schwachen Licht sah er förmlich Walts dampfende Wolke der Wut hochsteigen und erkannte; daß er sich in der Lage eines Mannes befand, der in einem See von Benzin steht und eine brennende Kerze in der Hand hält. Er kurbelte sein Fenster hoch.
»Okay«, sagte Walt. »Wir sind allein. Jetzt sind wir nicht NSA-Distriktchef und Sheriff. Nur alte Freunde. Kumpel. Und jetzt raus mit der Sprache.«
»Walt, verdammt noch mal, das kann ich nicht.«
»Sag es mir jetzt, und ich halte mich aus dem Fall raus.
Dann mische ich mich nicht ein.«
»Du wirst in jedem Fall draußenbleiben. Das mußt du.« »Verdammt will ich sein, wenn ich das tue«, sagte Walt zornig. »Ich brauche jetzt bloß die Straße hinunter zu diesen Schakalen zu gehen.« Der Wagen war so geparkt, daß die Motorhaube aus Bordeaux Ridge hinauswies, in die Richtung der Straßensperre, wo die Reporter warteten. Walt deutete jetzt durch die verstaubte Windschutzscheibe zu ihnen hin. »Ich kann denen sagen, daß die Banodyne Laboratories an irgendeinem Verteidigungsprojekt gearbeitet haben und daß es ihnen außer Kontrolle geraten ist. Ich kann ihnen sagen, daß irgend jemand oder irgend etwas Fremdartiges trotz der Sicherheitsmaßnahmen aus den Labors entkommen ist, und jetzt ist es in Freiheit und tötet Menschen.«