Walt meinte: »Die gleiche Art Flickwerk zwischen den Gattungen, die zu dem schlauen Hund führte.«
»Ich würde das nicht Flickwerk nennen ... aber, ja, im wesentlichen dieselbe Technik. Yarbeck brauchte ein großes, bösartiges Kinn für ihren Krieger, etwas, das eher an einen deutschen Schäferhund oder an einen Schakal erinnerte, um Platz für mehr Zähne zu haben, und sie wollte, daß die Zähne größer und schärfer und vielleicht etwas gebogen waren, und das bedeutete, daß sie den Kopf des Pavians vergrößern und sein Gesicht total verändern mußte, um dafür Platz zu schaffen.
Der Schädel mußte ohnehin wesentlich vergrößert werden, um ein größeres Gehirn zuzulassen. Dr. Yarbeck arbeitete nicht mit der Einschränkung wie Davis Weatherby, das Aussehen ihres Objekts unverändert zu lassen. Tatsächlich zog Yarbeck ins Kalkül, daß, wenn ihre Schöpfung häßlich war, abstoßend, wenn sie fremdartig war - nicht von dieser Welt -, sie dann als Krieger nur noch effektiver sein werde, weil sie dann Feinde nicht nur angriff und tötete, sondern sie auch in Angst und Schrecken versetzte.«
Trotz der warmen, stickigen Luft spürte Walt Gaines etwas Eisiges in seinem Körper, so als hätte er große Eisbrocken verschluckt. »Hat denn Dr. Yarbeck oder sonst jemand überhaupt nicht daran gedacht, wie unmoralisch das ist, Herrgott? Hat denn von denen keiner >Die Insel des Dr. Moreau< gelesen? Lem, du hast die gottverdammte moralische Pflicht, das die Öffentlichkeit wissen zu lassen, das ans Tageslicht zu zerren. Und ich auch.«
»Ganz und gar nicht«, sagte Lem. »Die Vorstellung, es gebe gutes und böses Wissen ... hm, ist eine rein religiöse Betrachtungsweise. Was man tut, kann moralisch oder unmoralisch sein, stimmt. Aber das Wissen kann man nicht so kategorisieren. Für einen Wissenschaftler, für jeden gebildeten Menschen, ist alles Wissen im moralischen Sinn neutral.«
»Aber, verdammt noch mal, wie man dieses Wissen im Falle Yarbecks eingesetzt hat, das war moralisch doch nicht neutral.«
Wenn sie am Wochenende auf der Terrasse beisammensaßen, Corona-Bier tranken und sich mit den wichtigen Problemen der Welt auseinandersetzten, bereitete es ihnen häufig Spaß, über solche Dinge zu reden. Hinterhofphilosophen.
Weise im Bierdunst, denen ihre Weisheit selbstgefälliges Vergnügen bereitete. Und manchmal waren die moralischen Dilemmas, die sie an den Wochenenden diskutierten, genau die, die sich später im Laufe ihrer Polizeiarbeit ergaben; aber Walt konnte sich an keine Diskussion erinnern, die so eindringlich ihre Arbeit anging wie diese hier.
»Die Anwendung von Wissen ist ein Teil des Prozesses, weiteres Wissen zu erlangen«, sagte Lem. »Der Wissenschaftler muß seine Entdeckungen anwenden, um zu sehen, wohin iede Anwendung führt. Die moralische Verantwortung lastet auf den Schultern derer, die eine Technologie aus dem Labor herausnehmen und sie für unmoralische Ziele einsetzen.«
»Und den Bockmist glaubst du?«
Lem überlegte einen Augenblick. »Ja, ich denke schon. Ich glaube, wenn wir die Wissenschaftler für alle schlimmen Dinge verantwortlich machten, die sich bei ihrer Arbeit ergeben, würden sie die Arbeit von vornherein nicht beginnen, und es würde überhaupt keinen Fortschritt geben. Wir würden dann immer noch in Höhlen leben.«
Walt zog ein sauberes Taschentuch heraus, tupfte sich das Gesicht ab und verschaffte sich damit einige Augenblicke, um nachzudenken. Es waren gar nicht sosehr die Hitze und die Feuchtigkeit, die ihm zu schaffen machten. Der Gedanke an Yarbecks Krieger, der durch die Hügel von Orange County zog, war es, der ihm den Schweiß aus den Poren trieb.
Er wollte sich an die Öffentlichkeit wenden, wollte die Welt warnen, daß etwas Neues, Gefährliches auf die Erde losgelassen worden war. Aber damit würde er nur jenen neuen Maschinenstürmern in die Hände spielen, die Yarbecks Krieger dazu benutzen würden, öffentliche Hysterie zu erzeugen und damit jeder Art von DNS-Forschung ein Ende zu machen. Dabei hatten solche Forschungsarbeiten bereits Mais- und Weizensorten hervorgebracht, die mit weniger Wasser auskamen, in kargen Böden gediehen und den Hunger der Welt linderten.
Und vor Jahren hatten sie einen Virus künstlich erzeugt, der als Nebenprodukt billiges Insulin produzierte. Wenn er die Welt von Yarbecks Monstrosität in Kenntnis setzte, rettete er vielleicht auf kurze Sicht ein paar Leben, wirkte aber vielleicht auch daran mit, daß der Welt die nützlichen Wunder der DNS-Forschung künftig versagt blieben. Und das würde auf lange Sicht Zehntausende von Leben kosten.
»Scheiße!« sagte Walt. »Hübsch in Schwarzweiß läßt sich das nicht entscheiden, wie?«
»Das macht ja das Leben so interessant«, sagte Lem.
Walt lächelte säuerlich. »Im Augenblick ist es mir zu interessant, verdammt. Okay, ich kann ja begreifen, daß es klüger ist, auf dieser Geschichte den Deckel zu lassen. Außerdem, wenn wir an die Öffentlichkeit gehen, schwärmen sofort tausend verrückte Abenteurer in der Gegend rum, die nach dem Ding suchen, und am Ende liegen sie entweder als seine Opfer herum oder knallen sich gegenseitig ab.«
»Genau.«
»Aber meine Männer könnten mithelfen, indem sie an der Suchaktion teilnehmen.«
Lem berichtete ihm von den hundert Mann Marineabwehr, die noch immer in Zivilkleidung die Gebirgsausläufer durchkämmten und modernste Peilgeräte und teilweise Bluthunde benützten. »Ich habe bereits weitaus mehr Männer im Einsatz, als du liefern könntest. Wir tun bereits alles, was getan werden kann. Also wie steht's jetzt mit dir - wirst du dich raushalten?«
Walt runzelte die Stirn und nickte dann. »Für den Augenblick. Aber ich möchte informiert werden.«
Lem nickte ebenfalls. »Geht in Ordnung.«
»Und ich habe noch ein paar Fragen. Zunächst einmaclass="underline" Warum nennen die es den Outsider?«
»Nun, der Hund war der erste Durchbruch, das erste Labortier, das ungewöhnliche Intelligenz an den Tag legte. Der Outsider war der nächste. Das waren die zwei einzigen Erfolge: der Hund und der andere. Zuerst war das der Name, den sie ihm gaben - der >Andere<. Aber mit der Zeit wurde >0utsider< daraus, weil er besser zu passen schien. Es handelte sich nicht um eine Verbesserung einer der Schöpfungen Gottes, wie das bei dem Hund der Fall war; es lag völlig außerhalb der Schöpfung, abseits davon; eine Scheußlichkeit, obwohl das niemand so ausdrückte. Und das Ding war sich seines Status als Außenseiter bewußt, im höchsten Maße bewußt.«
»Warum hat man es nicht einfach Pavian genannt?«
»Weil... nun; es sieht einem Pavian überhaupt nicht mehr ähnlich. Es hat überhaupt mit nichts, was du je gesehen hast
- außer vielleicht in einem Alptraum - Ähnlichkeit.«
Walt gefiel der Ausdruck im Gesicht und in den Augen seines Freundes nicht. Er beschloß, keine genauere Beschreibung des Outsiders zu fordern; vielleicht war das etwas, was er nicht wissen mußte.
Statt dessen sagte er: »Was ist mit den Morden an Hudston, Weatherby und Yarbeck? Wer steckt hinter alldem?«
»Wir kennen nicht den Mann, der abdrückte, aber wir wissen, daß die Sowjets ihn dafür bezahlt haben. Sie haben noch einen Banodyne-Mann getötet, der auf Urlaub in Acapulco war.«
Walt hatte wieder das Gefühl, durch eine jener unsichtbaren Barrieren gestoßen zu werden, hinein in eine noch kompliziertere Welt. »Die Sowjets? Haben wir je von den Sowjets geredet? Wie kommen die da rein?«
»Wir dachten nicht, daß sie vom Francis-Projekt wüßten«, sagte Lem. »Aber das war der Fall. Offenbar hatten sie sogar einen Maulwurf bei Banodyne, der ihnen über unsere Fortschritte berichtete. Als der Hund und kurz darauf der Outsider entkamen, informierte der Maulwurf die Sowjets, und daraufhin beschlossen die Sowjets allem Anschein nach, das Chaos zu nutzen und uns noch mehr Schaden zuzufügen. Sie haben alle Projektleiter getötet - Yarbeck, Weatherby und Haines -sowie Hudston, der früher einmal Projektleiter gewesen war, aber inzwischen nicht mehr für Banodyne arbeitete. Wir glauben, daß sie das aus zwei Gründen getan haben: zum einen, um das Francis-Projekt zum Stillstand zu bringen, zum anderen, um es uns zu erschweren, den Outsider aufzuspüren.« »Inwiefern würde es das erschweren?«