Aber selbst wenn hundert Fragen nicht dazu führten, die Bedeutung einer Fotografie zu klären, waren sie doch alle drei allein von dem Entdeckungsprozeß entzückt, weil sie in genügend anderen Fällen Erfolg hatten, so daß die Mühe sich lohn-te. Ein einziges Mal verschlechterte sich die Stimmung, nämlich als sie Einstein nach dem Magazinbild des Dämons aus dem Horrorfilm befragten. Er geriet in hochgradige Erregung, zog den Schweif ein, legte die Zähne frei und knurrte tief in der Kehle. Einige Male trottete er davon, wich vor dem Foto zurück und verzog sich hinter das Sofa oder in ein anderes Zimmer, wo er ein oder zwei Minuten blieb, ehe er widerstrebend zurückkehrte, um sich weiteren Fragen auszusetzen.
Und er zitterte fast andauernd, solange er bezüglich des Dämons ausgefragt wurde.
Als sie schließlich beinahe zehn Minuten lang versucht hatten, den Grund für die panische Angst des Hundes herauszufinden, wies Travis auf das Filmmonstrum mit seinen bösartigen Fängen und den gleißenden Augenbällen und sagte: »Vielleicht verstehst du das nicht, Einstein. Das ist kein Bild eines wirklichen Lebewesens. Das ist ein unechter Dämon aus einem Film. Verstehst du, was ich meine, wenn ich unecht sage?«
Einstein wedelte: Ja.
»Nun, das hier ist ein unechtes Monstrum.«
Ein Bellen: Nein.
»Nachgemacht, unecht, nicht wirklich, bloß ein Mensch in einem Gummianzug«, sagte Nora.
Nein.
»Ja«, sagte Travis.
Nein.
Einstein versuchte erneut hinter das Sofa zu flüchten, aber Travis packte ihn am Halsband und hielt ihn fest. »Behauptest du etwa, du hättest ein solches Ding gesehen?«
Der Hund hob den Blick von dem Bild, sah Travis in die Augen, schauderte und fing zu winseln an.
Die abgrundtiefe Furcht in Einsteins leisem Winseln und etwas unbeschreiblich Verstörtes in seinen dunklen Augen vereinten sich und wirkten in einer Art und Weise auf Travis, die ihn überraschte. Indem er mit einer Hand das Halsband hielt und die andere Hand Einstein auf den Rücken legte, spürte Travis die Schauder, die den Hund durchliefen - und plötzlich schauderte er selbst. Die nackte Furcht des Hundes übertrug sich auf ihn, und er dachte: Bei Gott, er hat wirklich so etwas gesehen.
Nora fühlte die Veränderung, die sich in Travis vollzogen hatte, und sagte: »Was ist denn?«
Anstatt zu antworten, wiederholte er die Frage, die Einstein bis jetzt noch nicht beantwortet hatte: »Behauptest du, du hättest ein solches Ding gesehen?«
Ja.
»Etwas, das genau wie dieser Dämon aussieht?«
Ein Bellen und ein Wedeln: Ja und nein.
»Etwas, was dem da zumindest etwas ähnelt?«
Ja.
Travis ließ das Halsband los, strich dem Hund über den Rücken und versuchte ihn zu besänftigen, aber Einstein hörte nicht zu zittern auf. »Hältst du deshalb manchmal nachts am Fenster Wache?«
Ja.
Von der Angst des Hundes sichtlich verwirrt und beunruhigt, begann auch Nora ihn zu streicheln. »Ich dachte, du hättest Sorge, die Leute aus dem Labor würden dich finden.«
Einstein bellte einmal.
»Du hast nicht Angst, daß die Leute aus dem Labor dich finden?«
Ja und nein.
Und Travis: »Aber du hast mehr Angst, daß ... dieses andere Ding dich findet.«
Ja, ja, ja.
»Ist das dasselbe Ding, das an jenem Tag im Wald war, das Ding, das uns verfolgt hat, das Ding, auf das ich geschossen habe?« fragte Travis.
Ja, ja, ja.
Travis sah Nora an. Sie runzelte die Stirn. »Aber es ist doch nur ein Filmmonster. Nichts in der wirklichen Welt sieht ihm auch nur entfernt ähnlich.«
Einstein trottete durchs Zimmer und beschnüffelte die Fotos; dann blieb er wieder vor der Anzeige der Blue-Cross-Ver-sicherung stehen, auf der der Arzt, die Mutter und das Baby in einem Krankenhauszimmer abgebildet waren. Er brachte ihnen die Zeitschrift und ließ sie auf den Boden fallen. Dann legte er seine Nase auf den Arzt in dem Bild und sah zuerst Nora,
dann Travis an, legte die Nase wieder auf den Doktor und blickte erwartungsvoll auf.
»Vorher hast du uns gesagt, der Doktor ist ein Wissenschaftler in jenem Labor«, sagte Nora.
Ja.
Und Travis sagte; »Du sagst mir also, der Wissenschaftler, der mit dir gearbeitet hat, weiß auch, was dieses Ding im Wald ist?«
Ja.
Einstein machte sich wieder über die Fotografien her und kam diesmal mit der Anzeige zurück, die den Wagen im Käfig zeigte. Er tippte den Käfig mit der Nase an und dann nach einigem Zögern das Bild des Dämons.
»Sagst du damit, daß das Ding im Wald in einen Käfig gehört?« fragte Nora.
Ja.
»Mehr als das«, sagte Travis. »Ich denke, er will uns sagen, daß es einmal in einem Käfig war, daß er es in einem Käfig gesehen hat.«
Ja.
»In demselben Labor, wo du in einem Käfig warst?«
Ja, ja, ja.
»Ein anderes Versuchstier in einem Labor?« fragte Nora.
Ja.
Travis starrte das Foto des Dämons mit zusammengekniffenen Augen an, musterte die fliehende Stirn, die tiefliegenden gelben Augen, die deformierte, an eine Schnauze erinnernde Nase und das Maul mit seinen spitzen, gebogenen Zähnen. Schließlich sagte er: »War es ein Experiment... das gescheitert ist?«
Ja und nein, sagte Einstein.
Der Hund war jetzt sichtlich hochgradig erregt, rannte ans Fenster, sprang hoch, stemmte die Vorderpfoten auf den Fenstersims und blickte auf das abendliche Santa Barbara hinaus. Nora und Travis saßen inmitten der aufgeschlagenen Zeitschriften und Bücher auf dem Boden, waren mit den erzielten Fortschritten zufrieden und begannen die Erschöpfung zu spüren, von der sie wegen ihrer Erregung bisher nichts gemerkt hatten, und schauten einander verblüfft und mit gerunzelter Stirn an.
»Meinen Sie, Einstein ist imstande zu lügen?« fragte sie leise. »Schauermärchen zu erfinden, wie Kinder das tun?«
»Ich weiß nicht. Können Hunde lügen, oder ist das nur eine reine menschliche Fähigkeit?« Er lachte über die Absurdität seiner eigenen Frage. »Können Hunde lügen? Kann man einen Elch zum Präsidenten wählen? Können Kühe singen?«
Nora lachte auch und sah reizend dabei aus. »Können Enten steppen?«
In einem Anfall von Albernheit, als Reaktion auf die geistige wie emotionelle Anstrengung, sich der schieren Vorstellung von einem Hund von der Intelligenz Einsteins zu stellen, sagte Travis: »Ich habe einmal eine Ente steppen sehen.«
»So, wirklich?«
»Ja, wirklich. In Vegas.«
»Und in welchem Hotel?« fragte sie lachend.
»Caesar's Palace. Und singen konnte sie auch.«
»Die Ente?«
»Mhm. Fragen Sie mich nach ihrem Namen.«
»Wie hieß sie?«
»Sammy Davis Duck, jr.«, sagte Travis, und dann lachten sie beide wieder. »Er war ein so großer Star, daß sie nicht einmal seinen ganzen Namen über den Eingang zu schreiben brauchten, um die Leute wissen zu lassen, wer dort auftrat.«
»Sie haben wohl bloß >Sammy< hingeschrieben, hm?«
»Nein. Bloß >Jr.<.«