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Der Retriever schaute sehnsüchtig auf das letzte Stückchen Schokolade, aber Travis enthielt ihm den Leckerbissen einen Augenblick vor.

Der Zeitpunkt - bei Gott, das war das Unheimliche. Zwei Sekunden nachdem Travis die Schokolade erwähnt hatte, hatte der Hund sie sich geholt.

»Hast du verstanden, was ich gesagt habe?« fragte Travis und kam sich albern vor, weil er argwöhnte, ein Hund könne über sprachliche Fähigkeiten verfügen. Trotzdem wiederholte er die Frage: »Hast du? Hast du verstanden?«

Widerstrebend hob der Retriever den Blick von dem letzten Stück Schokolade. Ihre Augen begegneten sich. Wieder fühlte Travis, daß hier etwas Unheimliches im Gange war; ein Schauder durchlief ihn, wie schon vorhin.

Er zögerte, räusperte sich: »Äh... war' es dir recht, wenn ich mir das letzte Stück Schokolade nehme?«

Der Hund wandte die Augen dem kleinen Stückchen Schokolade zu, das Travis noch in der Hand hielt. Er schniefte einmal kurz, gleichsam bedauernd, und schaute dann durch die Windschutzscheibe nach draußen.

»Ich will verdammt sein«, sagte Travis.

Der Hund gähnte.

Sorgsam darauf bedacht, die Hand nicht zu bewegen, ihm die Schokolade nicht hinzuhalten, in keiner Weise, außer mit Worten, seine Aufmerksamkeit auf die Schokolade zu lenken, wandte er sich wieder an den großen, zottigen Hund: »Nun, vielleicht brauchst du's mehr als ich. Junge. Wenn du es willst, gehört das letzte Stückchen dir.«

Der Retriever schaute ihn an.

Ohne seine Hand zu bewegen, sie dicht an seinem Körper haltend, um damit anzudeuten, daß er die Schokolade für sich behalte, sagte er: »Wenn du es willst, nimm es. Sonst werf ich es weg.« » Der Retriever rutschte auf dem Sitz ein Stück, beugte sich dicht zu ihm und schnappte sich sachte die Schokolade von seiner Handfläche.

Ich will doppelt verdammt sein«, sagte er.

Der Hund richtete sich auf alle viere auf, stand jetzt auf dem Sitz, so daß sein Kopf fast bis zur Decke der Kabine reichte. Er blickte durch das Hinterfenster und knurrte leise.

Travis schaute in den Rückspiegel und dann in den Außenspiegel an der Seite, entdeckte aber hinter ihnen nichts Ungewöhnliches, nur die zweispurige Asphaltstraße, den schmalen Mittelstreifen und die von Unkraut bedeckte Hügelflanke, die rechts zur Straße abfiel. »Du meinst, wir sollten sehen, daß wir weiterkommen? Ist es das?«

Der Hund schaute ihn an, blickte zum Hinterfenster hinaus, drehte sich dann um, ließ sich nieder, dabei die Hinterbeine auf eine Seite legend, und blickte wieder nach vorn.

Travis startete den Motor, legte den Gang ein, schwenkte in die Santiago Canyon Road ein und fuhr in nördlicher Richtung weiter. Während er seinen Begleiter ansah, sagte er: »Bist du wirklich mehr, als du zu sein scheinst... oder dreh' ich bloß durch? Und wenn du mehr bist, als du zu sein scheinst... was, zum Teufel, bist du dann?«

Am außerhalb des Stadtbereichs liegenden Ostende der Chapman Avenue bog er nach Westen ein, fuhr auf das McDonald's zu, von dem er gesprochen hatte.

»Jetzt kann ich dich nicht freilassen oder ins Tierheim bringen«, sagte er. Und eine Minute später fügte er hinzu: »Wenn ich dich nicht behalte, sterbe ich an Neugierde, weil ich mir dauernd Fragen über dich stelle.«

Sie fuhren etwa drei Kilometer weit und bogen dann in den Parkplatz des McDonald's ein.

Travis sagte: »Also bist du jetzt wohl mein Hund.«

Der Retriever sagte nichts.

ZWEI 

1

Nora Devon hatte vor dem Fernsehtechniker Angst. Obwohl er etwa dreißig zu sein schien - wie sie -, hatte er etwas von der widerlichen Arroganz neunmalkluger Teenager an sich.

Als sie auf sein Läuten die Tür öffnete, musterte er sie frech von oben bis unten, während er sich zu erkennen gab - »Art Streck von Wadlows TV-Service« -, und als ihre Blicke sich dann wieder begegneten, zwinkerte er ihr zu. Er war groß, schlank und gepflegt und trug Dienstkleidung, weiße Hosen und weißes Hemd. Er war glattrasiert, sein dunkelblondes Haar kurzgeschnitten und sauber gekämmt. Er sah aus wie der normale Sohn einer normalen Mutter, weder Frauenhändler noch Sexualmörder, und doch hatte Nora sofort Angst vor ihm, vielleicht deswegen, weil seine Arroganz und sein freches Auftreten nicht zu seinem Aussehen paßten.

»Sie brauchen Service?« fragte er, als sie unter der Tür zögerte. Obwohl seine Frage ganz harmlos klang, empfand Nora seine Betonung des Wortes >Service< unheimlich und als Sexuelle Anspielung. Und sie hielt das nicht für eine Überreaktion.

Aber schließlich hatte sie Wadlows TV-Service angerufen und konnte Streck nicht ohne Erklärung einfach wieder wegschik-ken. Und eine solche Erklärung würde wahrscheinlich zu einer Auseinandersetzung führen, und sie war nicht der Mensch, der Auseinandersetzungen mochte. Also ließ sie ihn eintreten. Während sie ihn durch die große, kühle Halle zum Wohnzimmerdurchgang führte, hatte sie das beunruhigende Gefühl, sein gepflegtes Äußeres und sein breites Lächeln seien wohlkalkulierte Elemente einer Tarnung. Sie spürte seine tierhafte Wachsamkeit, seine Spannung, und die beunruhigten sie mit jedem Schritt, den sie sich von der Wohnungstür entfernten, mehr und mehr.

Er ging viel zu dicht hinter ihr, ragte drohend hinter ihr auf, als er jetzt sagte: »Ein hübsches Haus haben Sie hier, Mrs. Devon. Sehr nett. Gefällt mir wirklich.«

»Danke«, sagte sie steif und unterließ es, seinen Irrtum in bezug auf ihren Familienstand zu korrigieren,

»Ein Mann könnte hier sehr glücklich sein, Jaah - sehr glücklich sogar.«

Das Haus war in dem Stil gebaut, den man manchmal als Alt-Santa-Barbara-Spanisch bezeichnete: zwei Stockwerke, cremefarbener Verputz, mit einem roten Ziegeldach, Veranden, Balkons, und alles in weichgerundeten Linien anstelle kantiger Ecken. An der Nordfassade kletterte eine üppige rote Bougainvillaea empor, strotzend von kräftigfarbenen Blüten. Ein schönes Haus.

Und Nora haßte es.

Seit ihrem zweiten Lebensjahr wohnte sie hier, das waren jetzt achtundzwanzig Jahre. Und in all den Jahren, von einem abgesehen, hatte sie die eiserne Hand ihrer Tante Violet auf sich gespürt. Sie hatte keine glückliche Kindheit gehabt, noch bis zur Stunde ein glückliches Leben. Violet Devon war vor einem Jahr gestorben. In Wahrheit aber stand Nora immer noch unter der Tyrannei ihrer Tante, denn die Erinnerung an diese abscheuliche Alte war mächtig und erdrückend.

Im Wohnzimmer stellte Streck seinen Werkzeugkasten neben den Femseher und sah sich um. Der Raumdekor überraschte ihn sichtlich, Die Tapete mit dem Blumenmuster war dunkel gehalten, trauerfarben. Der Perserteppich war ausnehmend unattraktiv. Seine Farben - Grau, Braun, Königsblau - wurden durch die paar Tupfer verblaßten Gelbs nicht lebendiger. Schweres englisches Mobiliar aus der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts, mit viel Schnitzwerk, stand auf Klauenfüßen: massive Armsessel, Hocker und Schränke, wie sie für einen Dr. Calgari passend gewesen wären; Anrichten, die aussahen, als wögen sie jede eine halbe Tonne. Auf kleinen Tischen lagen Schmuckdek-ken aus schwerem Brokat. Einige Stehlampen waren aus Zinn, mit blaßblauen Lampenschirmen, andere hatten dunkelbraune keramische Sockel, aber keine der Lampen spendete viel Licht. Die Vorhänge wirkten schwer wie Blei; und die vom Alter vergilbten Leinenstores zwischen den Seitenvertäfelungen erlaubten nur einem senffarbenen Schimmer des Sonnenlichts Zutritt zum Raum. Nichts von alldem paßte zu der spanischen Architektur; Violet hatte dem eleganten Haus bewußt den

Stempel ihres schwerfälligen, schlechten Geschmacks aufgedrückt.