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Sie standen am Rand von Bordeaux Ridge; dahinter lag meilenweit offenes Land, Hügel und dahinter die Berge, aus denen der Outsider gekommen war und in die er wieder verschwinden konnte. Jene Hügel, Kämme und Schluchten waren im mageren Schein des Halbmondes nur unbestimmte Silhouetten, die man mehr fühlte als sah.

Von irgendwo weiter unten auf einer unbeleuchteten Straße war ein lautes Klappern zu hören, als wäre ein Stapel Bauholz oder Schindeln umgestoßen worden.

»Es ist hier«, sagte Walt.

»Vielleicht«, sagte Lem. »Aber wir werden nicht in der Dunkelheit nach ihm suchen, nicht bloß wir drei. Genau das will es nämlich.«

Sie lauschten.

Nichts mehr.

»Wir haben die ganze Baustelle abgesucht, als wir zuerst hier eintrafen, bevor ihr ankamt«, sagte Walt.

»Es muß euch immer einen Schritt voraus gewesen sein«, sagte Cliff. »Vielleicht hat es sich ein Spiel daraus gemacht,

euren Männern auszuweichen. Dann sah es uns kommen und hat Lem erkannt.«

»Ja, von den paarmal, die ich Banodyne besucht habe«, pflichtete Lem ihm bei. »Ja, kann sein ... Wahrscheinlich hat der Outsider hier auf mich gewartet. Wahrscheinlich versteht er die Rolle, die ich in der Sache spiele, und weiß, daß ich die Suche nach ihm und dem Hund leite. Also wollte er den Kopf des Hilfssheriffs für mich hinterlassen.«

»Um dich zu verhöhnen?« sagte Walt.

»Um mich zu verhöhnen.«

Sie schwiegen und suchten nervös die Schwärze in den halbfertigen Häusern und rund um diese ab.

Die heiße Juniluft stand still.

Eine Weile war das einzige, was man hören konnte, der lautende Motor des Sheriff-Wagens.

»Es beobachtet uns«, sagte Walt.

Wieder ein Klappern von umgeworfenem Baumaterial. Diesmal näher.

Die drei Männer erstarrten, jeder blickte suchend in eine andere Richtung.

Diesmal dauerte die Stille fast eine Minute.

Als Lem gerade etwas sagen wollte, kreischte der Outsider.

Es war ein fremdartiger Schrei, der ihnen eisige Schauer über den Rücken jagte. Diesmal konnten sie die Richtung feststellen, aus der er kam: von draußen, aus dem offenen Land, aus der Nacht hinter Bordeaux Ridge.

»Jetzt entfernt er sich«, sagte Lem. »Er hat erkannt, daß wir uns nicht zu einer Suchaktion verleiten lassen, nur wir drei, deshalb verschwindet er, ehe wir Verstärkung holen können.«

Wieder ein Kreischen, diesmal aus größerer Entfernung. Der unheimliche Schrei war wie scharfe Fingernägel, die über Lems Seele kratzten.

»Am Morgen werden wir unsere Teams von der Marineabwehr in die Vorberge östlich von hier verlegen«, sagte er. »Wir werden das verdammte Ding festnageln. Bei Gott, das werden wir.«

Walt wandte sich Lems Wagen zu, offensichtlich mit dem Gedanken befaßt, wie er sich an die unangenehme Pflicht machen solle, Teel Porters abgerissenen Kopf zu versorgen. »Warum die Augen?« fragte er. »Warum reißt er immer die Augen heraus?«

Lem beantwortete die Frage: »Zum Teil, weil das Monstrum verdammt aggressiv und blutrünstig ist; das steckt in seinen Genen. Und zum Teil, weil es ihm einfach Freude macht, Schrecken zu verbreiten, glaube ich. Und außerdem ...«

»Was?«

»Ich wünschte, ich würde mich nicht daran erinnern, aber das tue ich doch - sehr deutlich sogar ...«

Bei einem seiner Besuche bei Banodyne war Lem Zeuge einer beunruhigenden Unterhaltung - sofern man das Unterhaltung nennen konnte - zwischen Dr. Yarbeck und dem Outsider gewesen. Yarbeck und ihre Helfer hatten den Outsider eine Zeichensprache gelehrt, die der ähnelte, die man für die ersten Experimente mit höheren Primaten, etwa Gorillas, Mitte der siebziger Jahre entwickelt hatte. Es hieß, das erfolgreichste Versuchstier, ein Gorillaweibchen namens Koko, das im letzten Jahrzehnt häufig in den Nachrichtensendungen erwähnt worden war, habe ein Vokabular von etwa vierhundert Wörtern in Zeichensprache beherrscht. Als Lem den Outsider das letztemal gesehen hatte, verfügte dieser über ein wesentlich größeres Vokabular als Koko, wenngleich immer noch auf primitiver Ebene. Lem hatte in Yarbecks Labor zugesehen, wie die von Menschen geschaffene Monstrosität in dem großen Käfig mit dem Wissenschaftler eine komplizierte Folge von Handsignalen austauschte, während ein Assistent im Flüsterton übersetzte. Der Outsider zeigte heftige Feindseligkeit gegenüber jedermann und unterbrach seinen Dialog mit Yarbeck häufig, um in seinem Käfig in ungebändigter Wut herumzurennen, gegen die Eisenstangen zu schlagen und wütend zu kreischen. Für Lem war der Anblick abstoßend und erschreckend gewesen, aber gleichzeitig hatten ihn auch furchtbare Traurigkeit und Mitleid über das schlimme Los des Outsiders ergriffen. Das Tier würde immer in einem Käfig sein, stets eine Mißgeburt, allein in dieser Welt, wie kein anderes Geschöpf, nicht einmal Weatherbys Hund, es je gewesen war. Das Erlebnis hatte ihn so tief berührt, daß ihm fast jedes >Wort< des in Zeichen geführten Dialogs zwischen dem Outsider und Yarbeck in Erinnerung geblieben war. Und jetzt drängte sich ein bestimmter Teil jener unheimlichen Konversation wieder in sein Bewußtsein:

An einem Punkt hatte der Outsider signalisiert: Deine Augen ausreißen.

Du willst meine Augen ausreißen ?

Jedem die Augen ausreißen.

Warum ?

Damit mich nicht sehen können.

Warum willst du nicht gesehen werden ?

Häßlich.

Du denkst, du bist häßlich ?

Viel häßlich.

Woher hast du die Idee, daß du häßlich bist?

Von Leuten.

Was für Leute?

Jeder, der mich erstes Mal sieht.

Wie dieser Mann, der heute bei uns ist? signalisierte Yarbeck und deutete auf Lem.

Ja. Alle denken, ich häßlich. Mich hassen.

Niemand haßt dich.

Alle.

Niemand hat dir je gesagt, daß du häßlich bist. Wie weißt du, daß sie das denken ?

Ich wissen.

Woher weißt du das ?

Ich wissen, ich wissen, ich wissen! Das Monstrum rannte in seinem Käfig herum, rüttelte an den Stangen, kreischte und kehrte dann zurück, um Yarbeck anzustarren. Meine eigenen Augen ausreißen.

Damit du dich selbst nicht anzuschauen brauchst?

Damit ich Leute nicht anschauen muß, die mich anschauen, hatte das Geschöpf signalisiert, und da hatte es Lem zutiefst leid getan. Doch durch dieses Mitleid wurde seine Furcht vor ihm nicht kleiner.

Jetzt stand er in der heißen Juninacht da und erzählte Walt Gaines von jenem Vorfall in Yarbecks Labor, und der Sheriff schauderte.

»Jesus!« sagte Cliff Soames. »Er haßt sich selbst, sein Anderssein, also haßt er seinen Schöpfer um so mehr.«

»Jetzt, wo du mir das sagst«, ließ Walt sich vernehmen, »überrascht mich, daß keiner von euch je verstanden hat, weshalb er den Hund so leidenschaftlich haßt. Dieses arme, verdammte, verdrehte Ding und der Hund sind im wesentlichen die zwei einzigen Kinder des Francis-Projekts. Der Hund ist das geliebte Kind, das vorgezogene Kind, und das hat der Outsider immer gewußt. Der Hund ist das Kind, mit dem die Eltern prahlen wollen, der Outsider das Kind, das sie am liebsten im Keller unter Verschluß halten würden. Und deshalb ist er dem Hund böse, kocht vor Wut seinetwegen, und das jede Minute eines jeden Tages.«

»Natürlich«, sagte Lem, »du hast recht. Natürlich.«

»Das erklärt jetzt auch die zwei zerschlagenen Spiegel in den Badezimmern im Obergeschoß des Hauses, in dem Teel Porter getötet wurde«, sagte Walt. »Das Ding konnte seinen eigenen Anblick nicht ertragen.«

In der Ferne, jetzt schon sehr weit entfernt, kreischte etwas - etwas, das keine Schöpfung Gottes war.

SIEBEN 

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