Ehe sie schreien konnte, entleerte er den Rest des Magazins auf sie, vielleicht zehn Schuß, und sie ging in einem Regen von Blut zu Boden.
Sssnappp.
»Danke«, sagte er. Und dann sagte er es noch einmal, weil sie jung und voll Leben gewesen war und deshalb für ihn nützlicher.
In Sorge, noch jemand würde aus der Küche kommen oder jemand vielleicht an dem Restaurant vorbeigehen, einen Blick hereinwerfen und die Kellnerin auf dem Boden liegen sehen, trat Vince schnell an seine Nische, schnappte sich seine Strandtasche und stopfte die Uzi-Pistole unter das Handtuch.
Er setzte sich seine undurchsichtige Sonnenbrille auf und ging hinaus.
Wegen Fingerabdrücken machte er sich keine Sorgen. Er hatte seine Fingerspitzen mit Klebstoff bestrichen. Die Sorte, die er benutzte, trocknete und war dann fast durchsichtig, fiel also nur dann auf, wenn er die Handflächen nach oben drehte und die Leute darauf aufmerksam machte. Die Klebstoffschicht war dick genug, um die winzigen Linien in der Haut auszufüllen, so daß die Fingerspitzen glatt waren.
Draußen ging er bis ans Ende des Blocks, bog um die Ecke und stieg in sein Wohnmobil, das am Randstein parkte. Soweit er feststellen konnte, würdigte ihn niemand eines Blicks.
Er fuhr ans Meer, freute sich auf ein wenig Sonne und ein erfrischendes Bad. Nach Redondo Beach zu fahren, das nur zwei Straßen entfernt war, schien ihm etwas riskant, also fuhr er auf der Küstenstraße in südlicher Richtung nach Bolsa Chi-ca, ein Stück nördlich von seinem Haus in Huntington Beach gelegen.
Während der Fahrt dachte er über den Hund nach. Er bezahlte Johnny den Draht immer noch, damit er Tierheime, Polizeireviere und alle anderen Leute im Auge behielte, die vielleicht in die Suchaktion nach dem Retriever hineingezogen wurden. Er wußte über das Rundschreiben der National Security Agency an Tierärzte und Tierheime in drei Staaten Bescheid und außerdem, daß die NSA bisher keinen Erfolg gehabt hatte.
Vielleicht war der Hund überfahren worden, vielleicht hatte ihn die Kreatur, die Hudston den >Outsider< genannt hatte, ge-tötet oder auch ein Rudel Kojoten in den Bergen. Aber Vince wollte nicht glauben, daß er tot war. Denn das hätte das Ende seines Traums bedeutet, mit dem Hund das große Geld zu verdienen - entweder indem er die Behörden erpreßte, ihn von ihm zurückzukaufen, oder indem er ihn an irgendeinen reichen Typen aus dem Showbusiness verkaufte, der eine Nummer mit ihm einstudieren konnte, oder indem er selbst sich etwas einfallen ließ, die geheime Intelligenz des Tieres für irgendwelche lukrative Tricks zu nützen.
Er zog es vor, zu glauben, jemand habe den Hund gefunden und ihn als Haustier mitgenommen. Wenn er die Leute ausfindig machte, die den Hund hatten, konnte er ihn ihnen abkaufen - oder sie umlegen und sich den Köter einfach nehmen. Aber wo, zum Teufel, sollte er suchen? Wie sollte er sie finden? Wenn sie auffindbar waren, würde die NSA sie sicherlich vor ihm finden.
Falls der Hund nicht bereits tot war, war die beste Methode, an ihn heranzukommen, höchstwahrscheinlich die, zuerst den Outsider zu finden und sich dann von der Bestie zu dem Hund führen zu lassen, wie Hudston das als möglich angenommen hatte. Aber auch das war nicht einfach.
Johnny der Draht belieferte ihn außerdem immer noch mit Informationen darüber, wo Menschen oder Tiere in Südkalifornien auf ganz besonders gewalttätige Weise getötet worden waren. Vince wußte über das Blutbad in dem kleinen Zoo von Irvine Park Bescheid, über den Mord an Wes Dalberg und den zwei Männern in Bordeaux Ridge. Johnny hatte auch die vorschnellen Veröffentlichungen über verstümmelte Haustiere in Diamond Bar aufgetan, und Vince selbst hatte im Fernsehen den Bericht über das junge Paar gesehen, das sich einbildete, unterhalb von Johnstone Peak einem >Außerirdischen< begegnet zu sein. Vor drei Wochen hatte man im Angeles National Forest zwei schrecklich verstümmelte Wanderer gefunden. Johnny hatte die Computer der NSA angezapft und bestätigte, daß die NSA auch in diesem Fall die Zuständigkeit an sich gezogen hatte, was darauf hindeutete, daß auch dies das Werk des Outsiders war.
Seitdem - nichts.
Vince war nicht bereit aufzugeben. Noch lange nicht. Er war ein geduldiger Mann. Geduld war Teil seines Berufs. Er würde warten, aufpassen, Johnny den Draht weiterarbeiten lassen und über kurz oder lang das bekommen, hinter dem er her war, dessen war er sicher. Er hatte für sich entschieden, der Hund sei ebenso wie die Unsterblichkeit Teil des ihm persönlich Bestimmten.
Am öffentlichen Strand von Bolsa Chica stand er eine Weile da und ließ die Brandung gegen seine Schenkel prallen, starrte in die großen, dunklen Massen aufgewühlten Wassers. Er fühlte sich kraftvoll wie die See. Er war angefüllt mit Dutzenden von Leben. Er würde ihn nicht überrascht haben, wäre plötzlich Elektrizität aus seinen Fingerspitzen gesprungen, so wie in der Mythologie Donnerkeile aus den Händen der Götter fuhren.
Schließlich warf er sich nach vorn ins Wasser und schwamm gegen die mächtig hereindrängenden Wellen an. Er schwamm weit hinaus, ehe er einschwenkte und parallel zum Ufer schwamm, zuerst nach Süden, dann nach Norden, bis er sich schließlich erschöpft von der Flut zurück ans Ufer tragen ließ. Er döste eine Weile in der heißen Nachmittagssonne. Er träumte von einer schwangeren Frau mit geschwollenem, großem, gerundetem Leib, und in seinem Traum erwürgte er sie. Er träumte oft davon, Kinder zu töten, oder noch besser die ungeborenen Kinder schwangerer Frauen, weil das etwas war, wonach er sich im wahren Leben sehnte. Kindsmord war natürlich viel zu gefährlich, ein Vergnügen, das er sich versagen mußte, obwohl die Lebensenergie eines Kindes am stärksten und reinsten war, am meisten wert, aufgesogen zu werden.
Aber viel zu gefährlich. Dem Kindesmord durfte er sich so lange nicht hingeben, bis er sicher war, die Unsterblichkeit erreicht zu haben; von da an würde er weder die Polizei noch sonst jemanden zu fürchten brauchen.
Obwohl er häufig solche Träume hatte, kam ihm der, aus dem er am Strand von Bolsa Chica erwachte, bedeutungsvoller vor als andere dieser Art. Irgendwie war er... anders. Prophetisch. Er saß da, gähnte, blinzelte in die Sonne und tat so, als bemerke er die Bikinimädchen nicht, die ihn verstohlen betrachten. Er sagte sich, daß dieser Traum der Blick voraus auf ein Vergnügen sei, das ihm bevorstehe. Eines Tages würde er wahrhaftig seine Hände am Hals einer schwangeren Frau spüren, genau so, wie das in dem Traum gewesen war, würde den höchsten Nervenkitzel erfahren, das letzte, größte Geschenk empfangen: nicht allein ihre Lebensenergie, sondern auch die reine, unberührte des Ungeborenen in ihrem Leib.
In einem Hochgefühl kehrte er zu seinem Wohnmobil zurück, fuhr nach Hause, duschte und ging zum Abendessen in das nächstgelegene Stuart-Anderson-Steakhaus, wo er sich ein Filet Mignon genehmigte.
6
Einstein schoss an Travis vorbei, hinaus aus der Küche, durchquerte das kleine Eßzimmer und verschwand im Wohnzimmer. Travis ging mit der Leine in der Hand hinter ihm her. Einstein versteckte sich hinter dem Sofa.
»Hör zu, es tut gar nicht weh«, sagte Travis.
Der Hund beobachtete ihn argwöhnisch.
»Wir müssen das erledigen, ehe wir nach Vegas fahren. Der Tierarzt gibt dir ein paar Spritzen, impft dich gegen Staupe und Tollwut. Das ist gut für dich, und es tut wirklich nicht weh. Wirklich nicht. Und dann besorgen wir dir eine Hundemarke, was wir eigentlich schon lange hätten tun sollen.«
Ein Bellen. Nein.
»Doch, das werden wir.«
Nein.
Etwas gebückt und die Leine am Karabinerhaken haltend, mit dem er sie am Halsband befestigen wollte, ging Travis einen Schritt auf Einstein zu.
Der Retriever wieselte davon, sprang auf den Sessel und beobachtete Travis von dieser Beobachtungsplattform aus aufmerksam.