Nora blickte über Travis' Schulter und meinte: »Die haben wahrscheinlich mit einer ganzen Anzahl von Welpen experi-mentiert, aus verschiedenen Würfen, und mußten sie identifizieren können.«
»Du lieber Gott! Wenn ich mit ihm zum Tierarzt ginge und der die Anweisung hat, nach einem tätowierten Retriever Ausschau zu halten ... «
»Aber geimpft muß er werden.«
»Vielleicht ist er schon geimpft«, sagte Travis hoffnungsvoll. »Darauf dürfen wir nicht bauen. Er war ein Labortier; das in einer Umgebung lebte, die unter Kontrolle stand. Vielleicht brauchte er die Impfung nicht. Vielleicht hätten diese üblichen Impfungen die Experimente gestört.«
»Den Tierarzt können wir unmöglich riskieren.«
»Wenn die ihn finden und wiederhaben wollen«, sagte Nora, »geben wir ihn einfach nicht her.«
»Sie können uns zwingen«, sagte Travis betrübt.
»Verdammt, wenn sie das können.«
»Verdammt, wenn sie das nicht können. Ich wette, die Forschungsarbeiten werden von der Regierung finanziert, und die können uns zermalmen. Wir dürfen das Risiko nicht eingehen. Einstein hat einfach Angst davor, wieder ins Labor zurückzumüssen.«
Ja, ja, ja.
»Aber wenn er sich mit Tollwut oder Staupe ansteckt...«
»Wir lassen ihn später impfen«, sagte Travis. »Später. Wenn die Lage sich abgekühlt hat. Wenn er keine so heiße Ware mehr ist.«
Der Retriever winselte glücklich und zeigte seine feuchte Dankbarkeit, indem er Travis' Hals und Gesicht leckte.
Nora meinte mit gerunzelter Stirn: »Einstein ist so ziemlich das Wunder Nummer eins des zwanzigsten Jahrhunderts. Glaubst du wirklich, daß er je abkühlen wird, daß die je aufhören, nach ihm zu suchen?« ,
»Vielleicht jahrelang nicht«, räumte Travis ein und streichelte den Hund. »Aber mit der Zeit werden sie mit weniger Enthusiasmus und weniger Hoffnung auf Erfolg suchen. Und die Tierärzte werden nicht mehr jedem Retriever, den man ihnen bringt, in die Ohren schauen. Bis dahin muß es einfach ohne Impfung gehen, schätze ich. Was bleibt uns denn anderes übrig?«
Nora zerzauste Einstein mit einer Hand das Fell und meinte:
»Hoffentlich hast du recht.«
»Das habe ich.«
»Hoffentlich.«
»Ganz sicher.«
Es ging Travis schwer unter die Haut, daß er nahe daran gewesen war, Einsteins Freiheit aufs Spiel zu setzen, und so brütete er die nächsten paar Tage über dem schrecklichen Fluch, der auf den Cornells lastete. Vielleicht fing es jetzt wieder von vorn an. Die Liebe, die er für Nora und diesen unmöglichen, verdammten Köter empfand, hatte sein Leben gewandelt und lebenswert gemacht. Und jetzt würde ihm vielleicht das Schicksal, das immer auf äußerst feindselige Art mit ihm umgesprungen war, Nora und den Hund wieder entreißen.
Er wußte, daß der Schicksalsgedanke eine rein mythologische Vorstellung war. Er glaubte nicht wirklich, daß es ein Pantheon übelwollender Götter gab, die durch ein himmlisches Schlüsselloch auf ihn herunterschauten und Komplotte gegen ihn schmiedeten - und blickte doch hier und da unwillentlich argwöhnisch zum Himmel. Jedesmal, wenn er etwas auch nur andeutungsweise Optimistisches über die Zukunft sagte, ertappte er sich dabei, daß er auf Holz klopfte, um ein ihm feindselig gesonnenes Schicksal nicht herauszufordern. Wenn er beim Abendessen den Salzstreuer umwarf, nahm er sich sofort eine Prise davon und warf sie über seine Schulter, dann kam er sich albern vor und wischte sich hastig die Finger ab. Aber sein Herz begann schneller zu schlagen, eine lächerliche, abergläubische Furcht erfüllte ihn, und er fühlte sich so lange nicht wohl, bis er eine zweite Prise Salz genommen und hinter sich geworfen hatte.
Obwohl Travis' exzentrisches Verhalten Nora nicht entging, verzichtete sie barmherzig darauf, seine Ängste zu erwähnen. Statt dessen arbeitete sie seiner Stimmung entgegen, indem sie ihn jede Minute des Tages auf ihre stille Art liebte, voll Begeisterung über ihre Reise nach Vegas redete, nie übellaunig war und nicht auf Holz klopfte.
Sie wußte nichts von den Alpträumen, weil er ihr nichts darüber erzählt hatte. Zwei Nächte hintereinander hatte er denselben Traum.
Er wanderte durch die waldigen Canyons der Santa-Ana-Berge im Orange County, dieselben Wälder, in denen er Einstein das erstemal begegnet war. Er war mit Einstein und Nora wieder hingegangen, doch jetzt hatte er sie verloren. Voll Angst kletterte er steile Abhänge hinab, arbeitete sich hinauf, kämpfte sich durch dichtes Buschwerk und rief verzweifelt nach Nora und dem Hund. Manchmal hörte er Nora antworten oder Einstein bellen, und es klang, als wären sie in Gefahr; also wandte er sich in die Richtung, aus der die Stimmen kamen, aber wenn er sie wieder hörte, waren sie jedesmal weiter weg und in anderer Richtung, und wie eindringlich er auch lauschte, wie schnell er sich den Weg durch den Wald bah-nen mochte, er war daran, sie zu verlieren, sie zu verlieren ..
... bis er außer Atem erwachte, mit wild schlagendem Herzen und einem lautlosen, in der Kehle sitzenden Schrei.
Der 6. August, ein Freitag, war ein gesegnet geschäftiger Tag, daß Travis wenig Zeit hatte, über ein feindseliges Schicksal nachzudenken. Als erstes rief er am frühen Morgen in Las Vegas an und traf unter Benutzung seiner American-Express-Nummer die Vorkehrungen für eine Trauungszeremonie am Mittwoch, den 11. August, um elf Uhr. In einer Anwandlung von Romantik bestellte er zwanzig Dutzend rote Rosen, zwanzig Dutzend weiße Nelken, einen guten Orgelspieler - keine verdammte Tonbandmusik - der Musik nach alter Tradition spielen konnte, so viele Kerzen, daß der Altar ohne grelles elektrisches Licht hell sein würde, eine Flasche Dom Perignon, um damit den Abschluß zu feiern, und einen erstklassigen Fotografen, um die Feierlichkeiten festzuhalten. Als diese Details erledigt waren, rief er das Circus Circus Hotel in Las Vegas an, das als Familienhotel hinter dem Hotelgebäude über einen Abstellplatz für Campingfahrzeuge verfügte, und bestellte dort, beginnend mit der Nacht von Sonntag, dem 8. August, einen Platz für seinen Camper. Dann rief er einen Campingplatz in Barstow an und reservierte dort für Samstagabend einen Platz, damit sie auf halbem Wege nach Vegas Station machen könnten. Anschließend begab er sich in ein Juweliergeschäft, sah sich das gesamte Angebot an und kaufte schließlich einen Verlobungsring mit einem großen, lupenreinen dreikarätigen Diamanten und einen Ehering mit zwölf viertelkarätigen Steinen. Er versteckte die Ringe unter dem Sitz seines Pick-up und fuhr dann mit Einstein zu Noras Haus, holte sie ab und brachte sie zu einer Verabredung mit ihrem Anwalt Garrison Dilworth.
»Heiraten wollen Sie! Das ist ja herrlich!« sagte Garrison und schüttelte Travis die Hand. Er küßte Nora auf die Wange. Er schien echt entzückt. »Ich hab' mich nach Ihnen erkundigt, Travis.«
»So?« sagte Travis überrascht.
»Um Noras willen.«
Das ließ Nora rot werden und protestieren, aber Travis freute sich, daß Garrison so besorgt um sie war.
Der Anwalt musterte Travis mit einem wachsamen Blick und sagte: »Wie ich höre, haben Sie ganz gut in der Immobilienbranche verdient, ehe Sie Ihre Firma verkauft haben.«
»Ja, das kann man sagen«, bestätigte Travis bescheiden und hatte dabei das Gefühl, als spräche er mit Noras Vater und wäre dabei bemüht, einen guten Eindruck zu machen.
»Sehr gut«, sagte Garrison. »Ich höre auch, daß Sie Ihre Gewinne recht gut investiert haben.«
»Nun, pleite bin ich nicht«, gab Travis zu.
Garrison lächelte. »Außerdem höre ich, daß Sie ein guter, verläßlicher Mensch sind, der für seine Mitmenschen mehr als die nötige Portion Freundlichkeit übrig hat.«