Hunde hatten gewöhnlich keinen Zutritt. Aber Travis hatte dem gesamten Mitarbeiterstab im voraus reichlich Trinkgeld gegeben, um sicherzustellen, daß man Einstein nicht nur hineinließ, sondern er sogar das Gefühl haben würde, so willkommen zu sein wie jeder andere.
Der Priester, Reverend Dan Dupree - »Bitte, nennen Sie mich Reverend Dan« - war ein rotgesichtiger, dickbäuchiger Bursche, immer strahlend und leutselig tuend, der wie ein Gebrauchtwagenhändler aussah. Zwei bezahlte Trauzeugen flankierten ihn - seine Frau und deren Schwester -, die sich für den Anlaß helle Sommerkleider angezogen hatten.
Travis nahm vorne Platz.
Die Organistin stimmte den Hochzeitsmarsch an.
Nora hatte sich sehr gewünscht, durch den Mittelgang zu schreiten und vorne auf Travis zu treffen, statt einfach mit der Zeremonie am Altargeländer zu beginnen. Außerdem wollte sie ihm >übergeben< werden, wie andere Bräute auch; solches hätte natürlich Ehrenpflicht eines Vaters sein sollen, aber sie hatte keinen Vater. Es war auch niemand anderer zur Hand, der als Kandidat hierfür geeignet gewesen wäre, und zunächst schien es, daß sie den Weg allein oder am Arm eines Fremden würde zurücklegen müssen. Aber während der Fahrt zur Zeremonie im Pick-up war ihr plötzlich klargeworden, daß ja Einstein zur Verfügung stand, und sie kam zur Überzeugung, daß niemand auf der Welt besser geeignet war, sie durch den Mittelgang zu geleiten, als der Hund.
Als die Organistin jetzt spielte, betrat Nora mit dem Hund an ihrer Seite den hinteren Teil des Kirchenschiffs, Einstein war sich der großen Ehre, sie begleiten zu dürfen, bewußt und ging mit aller Würde und allem Stolz, deren er fähig war, mit hocherhobenem Kopf neben ihr einher, gemessenen Schritts, ganz wie sie.
Niemand schien es zu stören - oder auch nur zu überraschen -, daß ein Hund Nora ihrem Bräutigam zuführte. schließlich war dies Las Vegas.
»Eine der reizendsten Bräute, die ich je gesehen habe«, flüsterte Reverend Dans Frau Travis zu, und er hatte das Gefühl, daß sie es ehrlich meinte und dieses Kompliment nicht routinemäßig verabreichte.
Das Blitzlicht des Fotografen blitzte wiederholt, aber Travis war zu sehr in Noras Anblick versunken, als daß ihn das gestört hätte.
Von Rosen und Nelken überquellende Vasen füllten das kleine Kirchenschiff mit ihrem Duft, hundert Kerzen flackerten weich, einige in Votivschalen aus klarem Glas, andere auf Messingkandelabern. Als Nora schließlich bei ihm anlangte, hatte Travis die geschmacklose Dekoration vergessen. Seine Liebe erschuf die Kapelle architektonisch völlig neu, machte aus ihr eine Kathedrale, die an Größe keiner auf der Welt nachstand.
Die Zeremonie war kurz und wider Erwarten erhebend und feierlich. Travis und Nora tauschten die Ehegelübde, dann die Ringe, Travis sah das Kerzenlicht, das von ihren Tränen reflektiert wurde, und fragte sich, warum ihre Tränen vor seinen Augen verschwammen. Und dann wurde ihm bewußt, daß auch er am Rande der Tränen war. Ein dramatisches Orgelgebraus begleitete ihren ersten Kuß als Mann und Frau, und es war der süßeste Kuß seines Lebens.
Reverend Dan ließ den Dom Perignon knallen und schenkte auf Travis' Anweisung jedem, auch der Organistin, ein Glas ein. Für Einstein fand sich eine Untertasse. Laut schlabbernd schloß der Retriever sich ihren Wünschen für ein langes Leben, Glück und ewige Liebe an.
Einstein verbrachte den Nachmittag im vorderen Teil des Wohnwagens mit einem seiner Bilderbücher. Travis und Nora verbrachten den Nachmittag am anderen Ende des Wohnwagens im Bett.
Nachdem Travis die Tür des Schlafraums versperrt hatte, stellte er eine zweite Flasche Dom Perignon in einen Eiskübel und legte ein Compact-Disc mit George Winstons sanftester Klaviermusik ein.
Nora zog die Gardine vor das einzige Fenster und knipste die kleine Lampe mit dem goldenen Lampenschirm an. Das weiche Bernsteinlicht verlieh dem Raum eine traumähnliche Atmosphäre.
Eine Weile lagen sie auf dem Bett, redeten, lachten, streichelten einander, küßten sich immer inniger. Die Worte verebbten.
Behutsam zog Travis ihr die Kleider aus. Er hatte sie nie zuvor nackt gesehen. Sie war noch schöner und feingliedriger. als er sich vorgestellt hatte. Der schlanke Hals, die zarten Schultern, die vollen Brüste, die Rundung der Hüften, die langen, wohlgeformten Beine - jede gerade verlaufende Linie, jeder Knick, jede Kurve erregten ihn, erfüllten ihn aber mit großer Zärtlichkeit.
Nachdem er sich selbst entkleidet hatte, führte er sie geduldig und sanft in die Kunst der Liebe ein. Vom tiefen Wunsch getrieben, ihr Vergnügen zu bereiten, sich stets bewußt, daß ihr all dies neu war, zeigte er Nora - manchmal nicht ohne feinen Spott - all die Empfindungen, die seine Zunge, seine Finger und seine Männlichkeit in ihr auslösen konnten.
Er war darauf vorbereitet, daß sie widerstrebend, verlegen, ja ängstlich sein werde, weil sie die ersten dreißig Jahre ihres Lebens nicht dieses Maß an Intimität erfahren hatte. Aber in ihr war keine Spur von Frigidität, sie beteiligte sich eifrig an allem, was ihm, ihr oder ihnen beiden Vergnügen bereitete.
Ihre leisen Schreie, ihr atemloses Gemurmel der Erregung entzückten ihn. Jedesmal, wenn sie sich seufzend einem Schauder der Ekstase hingab, erregte das Travis noch mehr. Als er endlich seinen warmen Samen in sie fließen ließ, begrub er sein Gesicht an ihrem Hals, rief ihren Namen, sagte ihr, daß er sie liebe, sagte es immer wieder, und der Augenblick der Erlösung schien so lange anzudauern, daß er schon glaubte, die Zeit sei stehengeblieben oder er habe eine unerklärliche, nie versiegende Quelle aufgetan.
Lange hielten sie einander stumm umfangen, brauchten keine Worte. Sie lauschten der Musik, nach einer Weile sprachen sie über das, was sie empfanden, geistig und körperlich. Sie tranken etwas Champagner, und nach einiger Zeit liebten sie sich wieder. Und wieder.
Obwohl der beständige Schatten unabwendbaren Todes über jedem Tag aufragt, können die Freuden des Lebens so schön und tief sein, daß das staunende Herz beinah zu schlagen aufhört.
Von Las Vegas fuhren sie mit dem Airstream im Schlepp in nördlicher Richtung auf Route 95 über die weiten Ödländer Nevadas. Zwei Tage später, am Freitag, dem 13. August, erreichten sie den Lake Tahoe und schlossen den Wohnwagen auf der kalifornischen Seite an das Elektrizitätsnetz und die Wasserleitung eines Campingplatzes an.
Nora war von neuen landschaftlichen Panoramen und neuen Erfahrungen nicht mehr so leicht überwältigt wie früher. Dennoch war der Lake Tahoe so erdrückend schön, daß der Anblick sie doch wiederum mit kindlichem Staunen erfüllte. Vierunddreißig Kilometer lang und neunzehn Kilometer breit, mit der Sierra Nevada an der Westflanke und der Carson Range im Osten, dem klarsten Wasser der Welt, wie es hieß: ein in hundert irisierenden Schattierungen von Blau und Grün schimmerndes Juwel.