Travis sperrte auf, steckte den Schlüssel ein, stieß die Tür auf und brachte die .357er in Anschlag, so daß der Raum dahinter im Schußfeld war. Vorsichtig trat er über die Schwelle, Einstein folgte ihm bei Fuß.
Das Haus war still, ganz wie es sein sollte, aber ein übler Gestank hing in der Luft, der nicht hergehörte.
Einstein knurrte leise.
Nur ein schwacher Schimmer des schnell verblassenden Abendlichts drang durch die Fenster, von denen viele ganz oder teilweise mit Gardinen verhängt waren. Aber es war hell genug, daß Travis erkennen konnte, daß die Polsterung des Sofas aufgeschlitzt war. Zerfetzter Schaumstoff überall auf dem Fußboden verstreut. Ein Zeitungsständer aus Holz war gegen die Wand geschmettert und in Stücke geschlagen worden. Dabei waren Löcher im Verputz entstanden. Die Bildröhre des Femsehers war mit einer Stehlampe eingeschlagen worden, die immer noch aus dem Gerät ragte. Bücher waren von den Regalen genommen, auseinandergerissen und im Wohnzimmer verteilt worden.
Trotz des Luftzugs, der durch die Tür hereinkam, schien der Gestank schlimmer zu werden.
Travis knipste den Wandschalter an. Eine Stehlampe in der Ecke leuchtete auf. Sie verbreitete nicht viel Licht, aber es reichte, um weitere Einzelheiten der Verwüstung zu erkennen. Sieht aus, als hätte jemand sich mit einer Motorsäge hier ausgetobt und wäre anschließend noch einmal mit einem Rasenmäher drübergegangen, dachte er.
Das Haus blieb still.
Er ließ die Tür hinter sich offen und trat ein paar Schritte weiter in den Raum. Die zerknitterten Seiten der ruinierten Bücher raschelten unter seinen Füßen. Jetzt entdeckte er auf einigen Buchseiten und dem knochenweißen Schaumstoff dunkle, rostfarbene Flecken, und plötzlich stockte er, weil er begriff, daß die Flecken Blut waren.
Im nächsten Augenblick entdeckte er die Leiche; die eines großen Mannes, der nahe beim Sofa lag, zur Hälfte mit Seiten aus Büchern, Umschlagdeckeln und Umschlägen, die alle mit geronnenem Blut beschmiert waren, bedeckt.
Einsteins Knurren wurde lauter, aggressiver.
Travis trat näher an die Leiche heran, die nur einen halben Meter vom Türbogen entfernt war, der ins Eßzimmer führte, und erkannte jetzt, daß es sein Vermieter war, Ted Hockney.
Neben ihm lag sein Werkzeugkasten. Ted besaß einen Schlüssel für das Haus, und Travis hatte nichts dagegen, wenn er, wann immer es ihm paßte, hereinkam, um Reparaturen durchzuführen. In letzter Zeit waren einige Reparaturen notwendig geworden, darunter ein tropfender Wasserhahn und die defekte Spülmaschine. Offenbar war Ted einen Block weit von seinem Haus hierhergekommen, um etwas zu richten. Jetzt war auch Ted kaputt - so kaputt, daß man ihn nicht mehr reparieren konnte.
Wegen des durchdringenden Gestanks dachte Travis zuerst, der Mann müsse mindestens vor einer Woche getötet worden sein. Aber bei näherem Hinsehen zeigte sich, daß die Leiche weder aufgedunsen war noch irgendwelche Spuren der Verwesung zeigte. Also konnte sie noch nicht lange hier liegen. Möglicherweise nur einen Tag, vielleicht nicht einmal das. Der scheußliche Gestank hatte zwei andere Ursachen: Zum einen hatte man dem Mann den Bauch aufgeschlitzt, darüber hinaus hatte sein Mörder allem Anschein nach auf der Leiche und in ihrem Umkreis seinen Urin und Kot hinterlassen.
Ted Hockney s Augen waren verschwunden.
Travis empfand Übelkeit, und dies nicht nur, weil er Ted gemocht hatte. Angesichts dieser irren Grausamkeit wäre ihm, egal, wer der Tote war, schlecht geworden. Ein solcher Tod ließ dem Opfer keinerlei Würde, tat irgendwie der ganzen Menschheit Abbruch.
Einsteins leises Knurren wurde lauter, eindringlicher, bösartiger, war unterbrochen von kurzem, scharfem Bellen.
Travis zuckte zusammen, sein Herz begann plötzlich wie wild zu hämmern. Er wandte sich von der Leiche ab und sah, daß der Retriever seine Aufmerksamkeit auf das angrenzende Eßzimmer richtete. Der Raum lag in tiefer Düsternis, weil die Vorhänge vor beide Fenster gezogen waren und von der Küche dahinter nur schwaches graues Licht hereinfiel.
Raus hier, verschwinde! befahl ihm seine innere Stimme.
Aber er drehte sich nicht um, rannte nicht weg, weil er in seinem ganzen Leben noch nie vor etwas davongelaufen war. Nun ja, ganz stimmte das nicht. In den letzten paar Jahren war er praktisch vor dem Leben selbst davongelaufen. Sein Abstieg in die Isolation war die größte Feigheit gewesen, zu der ein Mensch fähig war. Aber das lag jetzt hinter ihm; er war ein neuer Mensch, von Einstein und Nora umgeformt, und er würde nicht wieder weglaufen, hol's der Teufel.
Einstein wurde starr. Er krümmte den Rücken, senkte den Kopf, reckte ihn nach vorn und bellte so wütend, daß ihm der Geifer aus dem Maul flog.
Travis machte einen Schritt auf den Durchgang zum Eßzimmer zu. Der Retriever blieb an Travis' Seite, bellte noch heftiger. Den Revolver vor sich haltend und bemüht, an der schweren Waffe sein Selbstvertrauen wiederzugewinnen, schob sich Travis einen Schritt weiter, inmitten des trügerischen Unrats alle Vorsicht gebrauchend. Er war nur zwei oder drei Schritte von der Türöffnung entfernt, spähte mit zusammengekniffenen Augen in das düstere Eßzimmer.
Einsteins Bellen hallte durchs Haus, daß es klang, als wäre eine ganze Meute los.
Travis machte noch einen Schritt und sah, daß sich etwas im Schatten bewegte.
Er erstarrte.
Nichts. Nichts bewegte sich. War es bloß ein Trugbild gewesen? Hinter dem Bogen hingen die Schatten schichtweise wie grauer und schwarzer Krepp.
Zurück, hinaus jetzt! sagte die innere Stimme.
Und wie um sich ihr zu widersetzen, hob Travis einen Fuß, in der Absicht, durch den Bogen zu treten.
Das Ding im Eßzimmer bewegte sich wieder. Diesmal war an seiner Anwesenheit nicht zu zweifeln, denn es schoß jetzt aus der tiefen Dunkelheit am unteren Ende des Raumes heraus, sprang auf den Eßzimmertisch und schoß direkt auf Travis zu. Dabei stieß es einen Schrei aus, daß einem das Blut in den Adern gefror. Travis sah Augen wie Laternen und eine fast menschengroße Gestalt, mißgebildet, soviel war selbst im schwachen Licht zu erkennen. Das Ding war jetzt vom Tisch herunter und kam geradenwegs auf ihn zu.
Einstein sprang vorwärts, um es anzugehen. Travis aber versuchte zurückzuweichen und Zeit für einen Schuß zu gewinnen. Als er abdrückte, glitt er auf den Bücherresten aus und fiel rückwärts. Der Revolver dröhnte, aber Travis wußte, daß er sein Ziel verfehlt hatte und der Schuß in die Decke gegangen war. Einen Augenblick lang, während Einstein auf den Gegner losging, sah Travis das laternenäugige Ding deutlicher, sah, wie sich Alligatorkinnladen bewegten, einen unglaublich breiten Mund in einem klumpigen Gesicht öffneten und gefährlich gekrümmte Zähne freilegten.
»Einstein, nein!« schrie Travis, weil er wußte, daß der Hund in jeder Auseinandersetzung mit diesem Höllengeschöpf in Stücke gerissen werden würde, und feuerte wieder; zweimal, vom Boden aus.
Sein Schrei und die Schüsse brachten nicht nur Einstein zum Stehen, sondern ließen den Feind offenbar darüber nachdenken, ob es sich lohnte, einen bewaffneten Mann anzugreifen. Das Ding drehte sich um, es war schnell, viel schneller als eine Katze, und huschte durch das unbeleuchtete Eßzimmer zur Küchentür. Einen Augenblick lang sah er seine Silhouette im trüben Licht, das von der Küche einfiel, hatte den Eindruck von etwas, das nie dazu bestimmt gewesen war, aufrecht zu stehen, aber dennoch aufrecht stand, mit einem mißgestalteten Kopf, zweimal so groß, als er hätte sein dürfen; einem gekrümmten Rücken und mit Armen, die zu lang waren und in Klauen ausliefen wie die Zinken eines Gartenrechens.
Er feuerte wieder, diesmal knapper am Ziel vorbei. Die Kugel riß Fetzen aus dem Türstock.
Mit einem kreischenden Schrei verschwand die Bestie in der Küche.
Was, in Gottes Namen, war das? Wo war es hergekommen? War es wirklich aus demselben Labor entsprungen, das Einstein hervorgebracht hatte? Aber wie hatten sie diese Monstrosität geschaffen? Und warum? Warum ?