Er war ein belesener Mann. Er hatte in den letzten Jahren den größten Teil seiner Zeit Büchern gewidmet, deshalb fielen ihm jetzt einige Möglichkeiten ein. Gentechnologie ganz zuoberst.
Einstein stand mitten im Eßzimmer, bellte, blickte auf die Tür, durch die das Ding verschwunden war.
Travis kam im Wohnzimmer schwankend auf die Beine, rief den Hund zu sich, und Einstein gehorchte willig.
Er brachte den Hund zum Schweigen, lauschte gespannt. Draußen im Hof rief Nora verzweifelt seinen Namen. Aber aus der Küche war nichts zu hören.
Um Nora zu beruhigen, schrie er: »Ich bin schon in Ordnung! Alles okay! Bleib draußen!«
Einstein zitterte.
Travis konnte das laute Pochen seines Herzens hören, der Schweiß rann ihm fast hörbar über Gesicht und Rücken. Aber er hörte nichts, woraus zu schließen gewesen wäre, wo sich diese Ausgeburt eines Alptraums aufhielt. Er glaubte nicht, daß das Monstrum durch die Hintertür in den Hof entwichen sei. Teils, weil er annahm, die Kreatur werde sich nicht von zu vielen Leuten sehen lassen wollen und deshalb nur nachts ins Freie gehen, sich ausschließlich im Dunkeln von Ort zu Ort bewegen, sofern es ihr gelang, in eine Stadt wie Santa Barbara zu schleichen, ohne entdeckt zu werden. Draußen war es noch hell genug, um den Argwohn des Dings zu erregen. Außerdem spürte Travis seine Nähe, so wie man vielleicht fühlt, daß lemand einen von hinten anstarrt, oder man an einem stickig heißen Tag das Herannahen eines Gewitters fühlen kann. Ja, es war dort draußen, wartete in der Küche, war bereit und wartete.
Vorsichtig kehrte Travis zu einem Mauerbogen zurück und trat in das halbdunkle Eßzimmer.
Einstein blieb dicht neben ihm, winselte jetzt nicht und knurrte und bellte auch nicht. Der Hund schien zu begreifen. daß Travis völlige Stille brauchte, um jedes Geräusch zu hören das die Bestie vielleicht machte.
Travis machte zwei weitere Schritte.
Vor sich konnte er durch die Küchentür eine Ecke des Küchentisches sehen, den Ausguß, den Teil einer Anrichte und zur Hälfte die Spülmaschine. Die untergehende Sonne stand am anderen Ende des Hauses, das Licht in der Küche war schwach, grau, und ihr Widersacher würde deshalb keinen verräterischen Schatten werfen. Vielleicht wartete er neben der Tür oder war auf einen Schrank geklettert, um sich auf Travis. zu stürzen, wenn dieser den Raum betrat.
Jetzt versuchte er, die Bestie auszutricksen. In der Hoffnung sie werde ohne Zögern auf das erste Anzeichen einer Bewegung unter der Tür reagieren, schob Travis den Revolver in den Gürtel, griff sich lautlos einen der Eßzimmerstühle, brachte ihn bis auf zwei Meter an die Küche heran und schleuderte ihn durch die offene Tür. Dann riß er den Revolver aus dem Gürtel und nahm, während der Stuhl in die Küche flog Schießhaltung ein. Der Stuhl krachte gegen den kunststoffbelegten Tisch, knallte zu Boden und gegen die Spülmaschine. Der laternenäugige Feind ging nicht darauf ein. Nichts bewegte sich. Als der Stuhl schließlich zur Ruhe gekommen war, lag wieder erwartungsvolle Stille über der Küche.
Einstein gab ein seltsames Geräusch von sich, ein leises, unregelmäßiges Schnauben, und nach einer Weile begriff Travis, daß das Geräusch die Folge des unkontrollierten Zitterns des Hundes war.
Es stand außer Zweifeclass="underline" Der Eindringling in der Küche war das Ding, das sie vor mehr als drei Monaten durch den Wald verfolgt hatte. In den Wochen dazwischen hatte die Kreatur sich nach Norden durchgeschlagen, hatte sich wahrscheinlich die meiste Zeit in der Wildnis östlich der besiedelten Abschnitte des Staates weiterbewegt, den Hund vermittels irgendwelcher Travis unverständlicher Fähigkeiten und aus Gründen, die er nicht kannte, unerbittlich verfolgt.
Als Antwort auf den Stuhl, den er geworfen hatte, krachte letzt ein großer weißemaillierter Behälter dicht hinter der Küchentür zu Boden. Travis sprang überrascht zurück und gab einen ungezielten Schuß ab, ehe ihm klarwurde, daß er damit nur verhöhnt werden sollte. Der Deckel flog von dem Behälter, als dieser auf dem Boden aufprallte, Mehl staubte über die Fliesen.
Wieder Stille.
Indem er auf Travis' Herausforderung seinerseits reagierte, hatte der Eindringling enervierende Intelligenz unter Beweis gestellt. Plötzlich wurde Travis bewußt, daß die Kreatur, die ja schließlich aus demselben Forschungslabor wie Einstein kam und das Produkt ähnlicher Experimente sein mußte, möglicherweise ebenso klug war wie der Retriever. Was Einsteins Furcht erklärlich machte. Hätte Travis sich nicht bereits mit der Existenz eines Hundes mit menschenähnlicher Intelligenz vertraut gemacht, er wäre außerstande gewesen, dieser Bestie mehr als bloß tierische Schläue zuzubilligen; aber die Ereignisse der letzten paar Monate hatten ihn darauf vorbereitet, fast alles zu akzeptieren - und sich jeder Situation blitzschnell anzupassen.
Stille.
Nur noch ein Schuß in der Waffe.
Tiefe Stille.
Der Mehlbehälter hatte ihn so erschreckt, daß er gar nicht gemerkt hatte, von welcher Seite der Tür er geworfen worden war, und er war so auf dem Boden aufgeprallt, daß man daraus nicht auf die Position der Kreatur, die ihn geschleudert hatte, schließen konnte. Er wußte immer noch nicht, ob der Eindringling links oder rechts von der Tür stand.
Er war auch gar nicht mehr sicher, ob das für ihn wichtig war. Selbst mit der .357er war es wohl nicht klug, die Küche zu betreten. Nicht, wenn das verdammte Ding so klug war wie ein Mensch. Um Himmels willen, ebenso hätte man sich auf einen Nahkampf mit einer intelligenten Motorsäge einlassen mögen.
Das Licht in der nach Osten gewandten Küche wurde immer schwächer, war jetzt fast verschwunden. Im Eßzimmer, in dem Travis und Einstein standen, nahm die Dunkelheit zu. Selbst hinter ihnen wuchsen im Wohnzimmer trotz offener Tür, Fenster und Stehlampe die Schatten.
In der Küche gab der Eindringling ein lautes Zischen von sich, ein Geräusch wie entweichendes Gas, dem gleich darauf ein Klick, klick, klick folgte, vielleicht von seinen mit scharfen Klauen versehenen Füßen oder Händen, die an eine harte Oberfläche tappten.
Einsteins Zittern hatte jetzt Travis angesteckt. Er fühlte sich als wäre er eine Fliege am Rand eines Spinnennetzes, im Begriff, jeden Augenblick ins Gespinst zu treten.
Ted Hockeys zerbissenes, blutiges, augenloses Gesicht fiel ihm ein.
Klick, klick.
Bei der Antiterroristenausbildung hatte man ihm beigebracht, wie man Menschen beschlich, und er hatte sich dabei recht geschickt angestellt. Aber das Problem hier war, daß der gelbäugige Eindringling vielleicht genauso klug war wie ein Mensch, nur daß man nicht darauf zählen konnte, daß er auch wie ein Mensch dachte. Also hatte Travis keine Ahnung, was er als nächstes tun, wie er auf irgendeine Initiative seinerseits reagieren würde. Also konnte Travis ihn nicht überlisten, ja wegen seiner völlig fremdartigen Natur hatte das Monstrum ihm gegenüber den dauernden und tödlichen Vorteil der Überraschung.
Klick.
Travis trat schnell einen Schritt von der offenen Küchentür zurück, dann noch einen, bewegte sich mit übertriebener Vorsicht, weil er nicht wollte, daß das Ding entdeckte, daß er sich zurückzog. Nur Gott allein wußte, was er tun würde, wenn es merkte, daß er im Begriff war, ihm zu entwischen. Einstein tappte lautlos ins Wohnzimmer, jetzt ebenso darauf bedacht Abstand zwischen sich und den Eindringling zu legen.
Als er Ted Hockneys Leiche erreichte, wandte Travis den Blick vom Eßzimmer ab, suchte nach einer möglichst nicht mit Unrat besudelten Route zur Haustür - und sah Nora neben dem Lehnsessel stehen. Durch die Schüsse erschreckt, hatte sie ein Fleischermesser aus der Küche im Wohnwagen geholt und war gekommen, um zu sehen, ob er Hilfe brauchte.
Ihr Mut beeindruckte ihn; trotzdem erschrak er, sie im Schein der Lampe stehen zu sehen. Plötzlich schien ihm, als wären seine Alpträume, Einstein und Nora zu verlieren, nahe daran, sich zu bewahrheiten. Wieder der Cornell-Fluch! Beide. Nora und Einstein, waren im Haus, beide so gut wie wehrlos, beide in Reichweite des Monstrums in der Küche.