»Wir melden uns telefonisch«, sagte Travis, ging zu der Couch zurück und setzte sich neben Nora. »Wir werden uns etwas überlegen.«
»Und der Rest Ihres Besitzes - und der Noras?«
»Darüber zerbrechen wir uns später den Kopf«, sagte Nora. Garrison runzelte die Stirn. »Ehe Sie hier abreisen, Travis, könnten Sie einen Brief unterzeichnen und mir das Recht übertragen. Sie in allen juristischen Angelegenheiten zu vertreten, die sich vielleicht ergeben. Wenn jemand versucht. Ihren Besitz oder den Noras einzufrieren, dann kann ich das verhindern, falls es überhaupt möglich ist - wenn ich mich auch so lange im Hintergrund halten werde, bis man mich mit Ihnen in Verbindung bringt.«
»Noras Besitz ist vermutlich eine Weile sicher. Sie und ich haben nur Ihnen von der Hochzeit erzählt. Die Nachbarn werden der Polizei sagen, daß ich in Begleitung einer Frau weggegangenen bin, aber sie werden nicht wissen, wer sie ist. Haben Sie jemandem von uns erzählt?«
»Nur meiner Sekretärin, Mrs. Ashcroft. Aber die klatscht nicht.«
»Also gut denn«, sagte Travis. »Ich glaube nicht, daß die Behörden etwas von der Hochzeit erfahren, also dauert es vielleicht eine ganze Weile, bis sie auf Noras Namen stoßen. Dann aber werden sie auch herausfinden, daß Sie ihr Anwalt sind. Falls meine Konten überwacht werden, in der Hoffnung, über von mir ausgeschriebene Schecks herauszufinden, wohin ich gegangen bin, werden sie über die zwanzigtausend, die ich Ihnen bezahlt habe, Bescheid wissen, und man wird Sie aufsuchen ... «
»Was mich nicht im geringsten beunruhigt«, meinte Garrison.
»Mag sein«, sagte Travis. »Aber sobald man mich mit Nora und uns beide mit Ihnen in Verbindung bringt, wird man Sie scharf beobachten. Und wenn das passiert... müssen Sie uns das bei unserem nächsten Anruf sofort sagen, damit wir auflegen und allen Kontakt mit Ihnen abbrechen können.«
»Ich verstehe genau«, sagte der Anwalt.
»Garrison«, sagte Nora, »Sie brauchen sich da nicht hineinziehen zu lassen. Wir verlangen wirklich zu viel von Ihnen.« »Hören Sie, meine Liebe, ich bin fast einundsiebzig. Meine Anwaltspraxis macht mir immer noch Spaß, und ich gehe immer noch segeln ... Aber, offen gestanden, ich finde in letzter Zeit das Leben ein wenig langweilig. Diese Geschichte ist genau das, was ich brauche, um mein altes Blut wieder in Wallung zu bringen. Außerdem glaube ich, daß Sie einfach die Verpflichtung haben mitzuhelfen, daß Einstein in Freiheit bleibt; nicht nur aus den Gründen, die Sie erwähnt haben, sondern weil... weil die Menschheit nicht das Recht hat, ihr Genie zur Erschaffung einer anderen intelligenten Gattung zu benützen und diese dann wie Eigentum zu behandeln. Wenn wir so weit gekommen sind, daß wir erschaffen können, wie Gott erschafft, dann müssen wir auch lernen, mit der Gerechtigkeit und der Barmherzigkeit Gottes zu handeln. Und in diesem Fall erfordern Gerechtigkeit und Barmherzigkeit, daß Einstein frei bleibt.«
Einstein hob den Kopf vom Schoß des Anwalts, blickte ihn bewundernd an und schob dann seine kalte Nase unter Garrisons Kinn.
In der drei Wagen Platz bietenden Garage hatte Garrison einen neuen schwarzen Mercedes 560 SEL, einen älteren weißen Mercedes 500 SEL mit hellblauer Polsterung und einen grünen Jeep stehen; den letzteren benützte er hauptsächlich dazu, zum Yachthafen zu fahren, wo sein Boot lag.
»Der weiße hat einmal Francine, meiner Frau, gehört«, sagte der Anwalt, als er sie zu dem Wagen führte. »Ich benütze ihn nicht mehr oft, aber ich halte ihn gut in Schuß und fahre gelegentlich damit, damit die Reifen nicht leiden. Ich hätte ihn loswerden sollen, als Franny starb. Schließlich war es ihr Wagen. Aber... sie hat es so geliebt, das weiße Glitzerding, und ich erinnere mich genau daran, wie sie aussah, wenn sie hinter dem Steuer saß ... Ich möchte, daß Sie ihn nehmen.«
»Einen Fluchtwagen im Wert von sechzigtausend Dollar?" sagte Travis und strich mit der Hand über die auf Hochglanz polierte Motorhaube. »Das nennt man stilgerecht abhauen.«
»Niemand wird nach dem Wagen Ausschau halten«, sagte Garrison. »Selbst wenn man mich schließlich mit Ihnen beiden in Verbindung bringt, werden sie nicht wissen, daß ich Ihnen einen meiner Wagen gegeben habe.«
»Etwas so Teures können wir unmöglich annehmen«, sagte Nora.
»Nennen Sie es eine Leihgabe«, meinte der Anwalt. »Wenn Sie ihn nicht mehr brauchen, sobald Sie einen anderen Wagen beschafft haben, parken Sie ihn irgendwo - an einem Busterminal, einem Flughafen - und rufen mich an und sagen mir wo er ist. Dann kann ich jemanden hinschicken, um ihn abzuholen.«
Einstein legte die Vorderpfoten auf die Fahrertür des Mercedes und spähte durch die Seitenscheibe in den Wagen. Er sah Travis und Nora an und wuffte, als wollte er sagen, sie müßten verrückt sein, ein solches Angebot auszuschlagen.
9
Mit Travis am Steuer verließen sie Garrison Dilworths Haus um viertel nach zehn Uhr nachts auf der Route 101 nach Norden. Um halb eins passierten sie San Luis Obispo und kamen um ein Uhr morgens an Paso Robles vorbei. Um zwei Uhr hielten sie eine Stunde südlich von Salinas an einer Selbstbedienungstankstelle, um zu tanken.
Nora kam sich überflüssig vor; nicht einmal am Steuer Konnte sie Travis ablösen, weil sie nicht fahren konnte. In gewissem Maße war das Violet Devons Schuld, nicht Noras; einfach eine weitere Folge des Lebens in Abgeschiedenheit und Unterdrückung. Dennoch fühlte sie sich völlig nutzlos und war mit sich unzufrieden. Aber sie würde nicht den Rest ihres Lebens hilflos bleiben. Verdammt noch mal, das würde sie nicht. Sie würde fahren lernen und den Umgang mit Feuerwaffen. Travis konnte sie beides lehren. Und aufgrund seiner Ausbildung konnte er sie auch in den Kriegskünsten instruie-ren, in Judo oder Karate. Er war ein guter Lehrer. Die Kunst des Liebens hatte er ihr jedenfalls großartig beigebracht. Beim Gedanken daran mußte sie lächeln, und langsam legte sich ihre selbstkritische Stimmung.
In den nächsten zweieinhalb Stunden während der Fahrt nordwärts nach Salinas und weiter nach San Jose fiel Nora gelegentlich in unruhigen Schlaf. Wenn sie nicht schlief, waren ihr die Meilen Asphalt, die sie hinter sich zurückließen, ein Trost. Zu beiden Seiten der Fernstraße schienen endlose Flächen Farmlandcs im frostbleichen Mondlicht zu ihnen herüber ins Unendliche zu ziehen. Als der Mond unterging, fuhren sie weite Strecken in völliger Dunkelheit, ehe sie gelegentlich an einer Farm oder an ein paar Geschäften an der Straße ein Licht entdeckten.
Das gelbäugige Ding hatte Einstein von den Santa-Ana-Ausläufern in Orange County bis Santa Barbara verfolgt - eine Strecke von mehr als hundertachtzig Kilometern Luftlinie, hatte Travis gesagt, und wahrscheinlich beinahe achthundert Kilometer zu Fuß in der Wildnis -, und das in drei Monaten. Nicht besonders schnell. Wenn sie daher von Santa Barbara siebenhundert Kilometer nach Norden fuhren, ehe sie sich ein Versteck irgendwo in der Umgebung von San Francisco suchten, würde der Verfolger sie vielleicht erst in sieben oder acht Monaten erreichen. Vielleicht sogar nie. Über eine wie große Distanz konnte er Einstein ausschnüffeln? Ohne Zweifel gab es auch für seine unheimliche Fähigkeit, den Hund aufzuspüren, Grenzen. Sicherlich gab es die.
10
Am Donnerstagmorgen um elf uhr stand Lemuel Johnson in-. Schlafzimmer des kleinen Hauses, das Travis Cornell in Santa Barbara gemietet hatte. Der Ankleidespiegel war zerschlagen worden. Auch der Rest des Zimmers war demoliert, als hätte den Outsider eifersüchtige Wut erfaßt, als er sah, daß der Hund in häuslicher Behaglichkeit lebte, während er gezwungen war, durch die Wildnis zu ziehen und in vergleichsweise primitiven Umständen zu leben.
In dem Unrat, der den Boden bedeckte, fand Lem vier silbergerahmte Fotografien, die wahrscheinlich auf der Kommode oder den Nachttischen gestanden hatten. Das erste zeigte Cornell und eine attraktive Blondine. Lem hatte inzwischen bereits genug über Cornell in Erfahrung gebracht, um zu wissen, daß die Blondine seine verstorbene Frau Paula sein mußte. Ein anderes Foto, die Schwarzweißaufnahme eines Mannes und einer Frau, war so alt, daß Lem annahm, die in die Kamera lächelnden Leute seien Cornells Eltern.