28. Kapitel
Ned
Die Brüder lieben uns. Kein anderer Begriff kommt der Sache näher. Sie versuchen, eine Pokermiene aufzusetzen, ernst auszusehen, priesterlich und unnahbar, aber sie können einfach nicht ihre Freude über unsere Anwesenheit verbergen. Wir beleben sie. Wir haben sie aus einer Ewigkeit ständig sich wiederholender harter Arbeit errettet. Seit Unzeiten hatten sie hier keine Neuen mehr, haben sie kein neues, junges Blut auf ihrem Grund gehabt; sie sind eben eine geschlossene Gesellschaft von Brüdern, insgesamt fünfzehn, die ihrer Bestimmung nachgeht, auf den Feldern arbeitet und die Hausarbeit erledigt. Und jetzt sind wir hier, um durch das Ritual der Erneuerung geführt zu werden, und das ist etwas Ungewohntes für sie, und sie lieben uns, weil wir gekommen sind.
Alle nehmen sie an unserer Aufklärung teil. Bruder Antony wacht über unsere Meditationen und geistigen Exerzitien. Bruder Bernard leitet uns bei den körperlichen Übungen an. Bruder Claude, der Küchenbruder, überwacht unsere Diät. Bruder Miklos unterrichtet uns allumfassend in der Geschichte der Bruderschaft und verschafft uns in seiner doppeldeutigen Art die richtigen Hintergrundinformationen. Bruder Javier ist der Beichtvater, der uns in einigen Tagen durch die Psychotherapie führen wird, die ein zentraler Teil der ganzen Prüfung zu sein scheint. Bruder Franz, der Arbeitsbruder, zeigt uns, welchen Pflichten wir nachzukommen haben: Holz hacken und Wasser holen. Jeder andere Bruder hat ebenfalls seine feste Aufgabe, aber wir hatten bis jetzt noch keine Gelegenheit, sie kennenzulernen. Es gibt hier auch eine unbekannte Anzahl von Frauen, vielleicht drei oder vier, vielleicht ein ganzes Dutzend. Wir bemerken sie nur am Rande, hier und da ein flüchtiger Blick. Jedesmal sehen wir sie nur in einiger Entfernung, wenn sie von einem Zimmer zum anderen gehen, um irgendeinem geheimnisvollen Privatauftrag nachzukommen. Sie sehen uns niemals an. Wie die Brüder sind auch die Frauen alle gleich bekleidet: in kurzen weißen Kinderkleidchen statt abgenutzten blauen Shorts. Die, die ich gesehen habe, hatten alle langes, schwarzes Haar und große Brüste; auch Timothy, Eli und Ned haben noch keine schlanken Blondinen oder Rothaarige gesehen. Sie sind sich untereinander alle sehr ähnlich, deshalb bin ich mir auch nicht sicher, wie viele es eigentlich sind; ich weiß nie, ob die Frauen, die ich gerade sehe, andere sind oder dieselben. Am zweiten Tag hier fragte Timothy Bruder Antony nach ihnen, aber er bekam die höfliche Antwort, daß es verboten sei, einem Mitglied der Bruderschaft eine direkte Frage zum Prüfungsablauf zu stellen; zur rechten Zeit würden wir die richtigen Antworten erhalten, versprach uns Bruder Antony. Und damit mußten wir uns zufriedengeben.
Jeder Tag erwartete uns mit einem vollen Programm. Wir stehen mit der Sonne auf; da es keine Fenster gibt, sind wir in dieser Frage auf Bruder Franz angewiesen, der im Morgengrauen durch die Schlafraumabteilung läuft und an die Türen klopft. Die erste Pflicht ist ein Bad. Dann gehen wir zu den Äckern hinaus und arbeiten eine Stunde. Die Brüder versorgen sich selbst mit Nahrungsmitteln in einem Garten, der etwa zweihundert Meter hinter dem Gebäude liegt. Ein ausgeklügeltes Bewässerungssystem pumpt Wasser aus irgendeiner tiefen Quelle; seine Errichtung muß ein Vermögen gekostet haben, so wie der Bau des Schädelhauses mindestens zwei Vermögen gekostet haben muß; aber ich vermute, daß die Bruderschaft ungeheuer reich ist. Wie Eli einmal erklärte, wird jede fortbestehende Organisation, die ihre Anlagen drei- oder vierhundert Jahre lang zu fünf oder sechs Prozent verzinst, am Ende ganze Kontinente besitzen. Die Brüder pflanzen Getreide, Kräuter und eine ganze Reihe von genießbaren Früchten, Beeren, Wurzeln und Nüssen an; ich habe meistens keine Ahnung, was das für Pflanzen sind, die wir so liebevoll reinigen und betreuen, und ich vermute, daß es sich hauptsächlich um exotische Pflanzen handelt. Reis, Bohnen, Korn und darmblähende Früchte wie zum Beispiel Zwiebeln sind hier verboten. Ich bin zu dem Schluß gekommen, daß Weizen hier nur am Rande geduldet, als etwas angesehen wird, daß zwar ohne Wert, aber irgendwie doch notwendig ist: Er wird erst strengstens fünfmal gesiebt und zehnmal gemahlen, begleitet von besonderen Meditationen, bevor man daraus Brot bäckt. Die Brüder verzehren kein Fleisch, und wir dürfen das auch nicht, solange wir hier verweilen. Fleisch scheint hier als Quelle destruktiver Gelüste angesehen zu werden. Salz ist verbannt. Pfeffer ist verboten, genauer gesagt, der schwarze Pfeffer. Chilipfeffer dagegen liegt innerhalb des Erlaubten, und die Brüder sind ganz verrückt danach und verzehren ihn auf vielfältige Weise wie die Mexikaner — als frischen Pfeffer, getrocknete Schoten, Pulver, eingemacht etc. etc. etc. Das Zeugs, das hier gepflanzt wird, ist sehr scharf. Eli und ich sind Gewürz-Freaks, und wir benutzen den Chili sehr großzügig, auch wenn er uns manchmal die Tränen in die Augen treibt. Aber Timothy und Oliver, die milde Kost gewohnt sind, kommen damit überhaupt nicht zurecht. Ebenso beliebt sind hier Eier. Draußen steht ein Hühnerstall voll fleißiger Hennen, und in allen möglichen Formen erscheinen Eier dreimal am Tag auf dem Tisch. Die Brüder stellen auch einige milde Kräuterliköre her, unter der Aufsicht von Bruder Maurice, dem Destillierbruder.