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Ich denke mir, daß der Zweck dieses Herzausschüttens darin liegt, unsere Seelen zu entlasten durch das Aufgeben von — ja, wovon, wie soll ich es nennen? Neurosen, Sünden, mentalen Sperren, tiefverborgenen Alpträumen, Engrammen, Schicksalsschlägen? Wir müssen uns selbst beschneiden, alles Übel abkratzen. Fleisch und Knochen dürfen wir belassen, aber der Geist muß beschnitten werden. Wir müssen einen Zustand des inneren Friedens anstreben, in dem es keine Konflikte und keinen Streß mehr gibt. Meide alles, was dir gegen den Strich geht, wenn nötig, arrangiere den Strich neu. Taten ohne Belastung, das ist der Trick. Keine Energieverschwendungen sind mehr erlaubt; Schwierigkeiten verkürzen das Leben. Nun, wir werden sehen. Ich trage eine ganze Menge psychischen Unrats mit mir herum, das tun wir alle. Ein psychologisches Klistier könnte da ganz nützlich sein.

Aber was soll ich dir erzählen, Bruder Javier?

32. Kapitel

Ned

Überdenke dein Leben, erklärt der geheimnisvolle und entfernt reptilienhafte Bruder Javier, als er meine Klosterzelle, ohne sich anzukündigen, betritt, und mit ihm erscheint das schwach zischende Rascheln von Hülsen auf Stein. Schau auf dein Leben zurück, gestehe die Sünden deiner Vergangenheit, mach dich zur Beichte bereit. Recht so, schreit Ned, der verderbte Chorknabe! Recht so, Bruder Javier, kichert der gefallene Katholik! Das ist ganz im Sinn seiner wohlgeschmierten Vorstellungsstraßen. Das Ritual der Beichte ist ganz genau etwas, das er erfassen kann: In seinen Genen liegt es als Kode, auf seinen Knochen und Eiern steht es aufgedruckt, es ist eine zutiefst natürliche Sache für ihn. Mea culpa, mea culpa, mea maxima culpa. Wohingegen das Kabinett der Wahrheit den anderen fremd ist: dem gestandenen Israeliten und den beiden protestantischen Ochsen. Oh, nun, ich vermute, auch bei den Anglikanern gibt es wahrscheinlich den Beichtbrauch, heimliche Römisch-Katholische, die sie sind, aber sie erzählen ihren Priestern nur Lügen. Ich kann das Wort meiner Mutter zum Zeugen berufen, die immer meinte, das Fleisch eines Anglikaners tauge noch nicht einmal, um an Schweine verfüttert zu werden. Aber Mutter, sage ich, Schweine fressen doch überhaupt kein Fleisch. Wenn sie es täten, sagte sie, würden sie einen Anglikaner nicht anrühren! Sie brechen jedes Gebot und belügen ihre Priester, sagte sie und bekreuzigte sich: vier wilde Stöße, om mani padme hum!

Ned ist gehorsam. Ned ist ein lieber kleiner Junge. Bruder Javier gibt ihm den Befehl, und Ned beginnt unverzüglich damit, sein vergeudetes Leben Revue passieren zu lassen, so daß er alles aus sich für die richtige Gelegenheit herausströmen lassen kann. Welche Sünden habe ich begangen? Wo habe ich gefehlt? Sag’s mir, Neddy-Junge, hast du andere Götter neben Ihm gehabt? Nein, Sir, es ist die Wahrheit, wenn ich sage, daß ich das nicht hatte. Hast du dir selbst Götzenbilder gemacht? Nun, ich gebe zu, daß ich hin und wieder gedankenlos etwas vor mich hingekritzelt habe, aber dieses Gebot legen wir doch sowieso nicht so streng aus, oder, Sir? Wir sind doch keine verdammten Moslems, was, Sir? Danke schön, Sir. Weiter: Hast du den Namen des Herrn versucht? Gott steh mir bei, Bruder, so etwas würde ich doch nie tun! Sehr schön, Ned, hast du dich auch an den Tag des Herrn gehalten und ihn geehrt? Ganz außer Fassung antwortet der aufrichtige Junge, daß er sich gelegentlich der Mißachtung des Tags des Herrn schuldig gemacht habe. Gelegentlich? Verdammt, er hat mehr geheiligte Tage besudelt als ein Heide! Jedoch ist das eine läßliche Sünde, eine verzeihliche Sünde. Ego te absolvo, mein Kind. Und hast du deinen Vater und deine Mutter geehrt? Ganz sicher, Sir, geehrt habe ich sie auf meine Weise. Hast du getötet? Ich habe nicht getötet. Hast du Ehebruch begangen? Nach meinem besten Wissen und Gewissen, Vater, das habe ich nicht. Hast du gestohlen? Ich habe nicht gestohlen, zumindest nichts Besonderes, Sir. Noch habe ich falsches Zeugnis gegen meinen Nachbarn abgelegt. Und hast du begehrt deines Nachbarn Heim, deines Nachbarn Weib oder deines Nachbarn Knecht oder seine Magd oder seinen Ochsen oder seinen Arsch oder sonst etwas, das deinem Nachbarn gehört? Nun, Sir, das ist so eine Sache mit meines Nachbarn Arsch; ich gebe zu, ich bewege mich da auf trügerischem Grund, aber andererseits — aber andererseits — ich tue mein Bestes, Sir, wohl wissend, daß ich nicht ohne Makel in diese Welt hineingeboren worden bin, wohl wissend, daß wir von Anfang an als Sünder dastehen, und habe nie vergessen, daß wir durch Adams Verfehlung alle zu Sündern geworden sind, davon abgesehen, sehe ich mich als rein und gut an. Natürlich bin ich nicht perfekt. Ach was, mein Kind, was hast du zu beichten? Nun, Vater confiteor, confiteor, die Faust schlägt mit bewundernswertem Eifer auf des Knaben Brust: bumm, bumm, bumm, bumm, Oh! Mani! Padme! Hum! —, meine Schuld, meine übergroße Schuld — nun, eines Sonntags bin ich nach der Messe mit Sandy Dolan losgezogen, um heimlich seine Schwester beim Umziehen zu beobachten. Und ich habe ihre nackten Brüste gesehen. Vater, sie waren klein und rund, mit kleinen, rosafarbenen Zipfeln. Und am Ende ihres Unterleibs, Vater, da hatte sie so einen behaarten, schwarzen Hügel, etwas, das ich noch nie zuvor gesehen hatte. Und dann hat sie sich mit dem Rücken zum Fenster gedreht, und ich habe ihren Arsch gesehen, Vater, die beiden wunderbarsten, süßesten, drallen, weißen Backen, die ich je gesehen habe, mit diesen hübschen, tiefen Grübchen unmittelbar an ihrer Spitze. Und mehr in Richtung Zentrum dieser köstlichen, schattigen Spalte war diese — was soll’s, Vater? Kann ich nicht von etwas anderem erzählen? Also gut, ich bekenne, daß ich Sandy gewissermaßen vom rechten Weg abgeführt habe, daß ich mich mit seinem Körper in Sünde vereint habe, versündigt gegen Gott und die Natur, daß, als wir elf Jahre alt waren und die Nacht im selben Bett verbrachten, seine Mutter im Wochenbett lag und bei ihm zu Hause niemand war, um auf ihn aufzupassen, ich unter dem Bett eine Dose Vaseline hervorholte, ihr eine gehörige Portion entnahm, diese wollüstig auf sein sexuelles Organ verteilte und ihm erklärte, daß er sich nicht ängstigen solle, da Gott uns nicht sehen könne, hier in der Dunkelheit und unter der Bettdecke. Und dann habe ich … und dann hat er … und dann haben wir … und dann haben wir …

Und so habe ich auf Geheiß von Bruder Javier meine degenerierte Vergangenheit ausgelotet und das Ganze mit vielen schmutzigen Details gewürzt, damit es bei den Beichtsitzungen, die vermutlich bald abgehalten werden, stärker zum Vorschein kommt. Aber die Brüder denken nicht so geradlinig. Unsere tägliche Routine erfuhr eine Veränderung, aber sie betraf weder Bruder Javier noch die Sache mit der Beichte. Das liegt wohl noch etwas weiter in der Zukunft. Der neue Ritus ist ein sexueller, Buddha steh mir bei, ein heterosexueller. Diese Brüder, so begreife ich jetzt, sind irgendwo unter ihrer trügerischen kaukasischen Haut Chinesen, denn jetzt lehren sie uns nicht mehr und nicht weniger als das Tao des Sex.