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TIMOTHY. Rosa und gold. Eine fünf Zentimeter dicke Schicht fester, dichter, alles bedeckender Muskeln. Groß, schwer; er hätte beim Football Verteidiger werden können, wenn ihn das interessiert hätte. Die blauen Augen eines Heiligen, die einen immerzu anlachen. Er kann mit seinem Lachen alles bei einem erreichen. Die Manierismen der amerikanischen Aristokratie. Im Moment trägt er das Haar im Bürstenschnitt, seine Art, der Welt mitzuteilen, daß er sich seine eigenen Moderegeln macht, daß er sein eigener Herr ist. Bemüht sich, plump und träge zu erscheinen. Eine große Katze, ein schlafender Tiger. Aufgepaßt! Tiger sind wendiger, als sie aussehen; und sie sind schneller auf den Beinen, als ihre Opfer das für gewöhnlich annehmen.

ELI. Schwarz und weiß. Dünn, zerbrechlich. Kleine Augen. Einige Zentimeter größer als ich, wirkt aber trotzdem klein. Dünne, sensible Lippen, ein starkes Kinn, lockiges Haar. Die Haut weiß, unglaublich weiß: Er war nie in der Sonne. Eine Stunde nach seiner letzten Rasur hat er das Gesicht wieder voller Stoppeln. Dichter Haarwuchs auf Brust und Oberschenkeln. Er könnte kräftiger wirken, wäre er nicht so dünn. Mit Mädchen hat er viel Pech. Im Prinzip könnte ich mit ihm etwas anfangen, aber er ist nicht mein Typ — er ähnelt mir zu sehr. Der umfassende Eindruck bei ihm ist die Verletzlichkeit. Ein scharfsinniger Denker, wenn auch nicht so tiefschürfend, wie er glaubt, aber auch kein Dummkopf. Im Grunde genommen ein mittelalterlicher Scholastiker.

ICH. Gelb und grün. Eine lebendige kleine Elfe mit einer Spur Unbeholfenheit in ihrer Lebendigkeit. Sanft verwickeltes goldbraunes Haar, das wie ein Heiligenschein absteht. Die Stirn ist hoch und breitet sich immer mehr aus, verdammt noch mal. Unabhängig voneinander sagten mir letzte Woche zwei Mädchen, daß ich aussähe wie eine Figur von Fra Angelico. Ich nehme an, sie besuchen die gleiche Kunstakademie. Ich habe etwas Priesterhaftes an mir. Dies sagte jedenfalls meine Mutter zu mir. Sie sah mich als einen gutmütigen Monsignore an, der einem den Kummer erleichtert. Verzeih, Mama. Der Papst wird auf Leute wie mich verzichten können. Die Mädchen tun das nicht. Sie erkennen intuitiv, daß ich schwul bin, und bieten sich mir bereitwillig an; ich glaube, um mich herauszufordern. Schade, eine Verschwendung. Ich bin ein brauchbarer Poet und ein mäßiger Kurzgeschichtenschreiber. Wenn ich mal Lust dazu habe, versuche ich mich an einem Roman. Ich glaube, ich werde nicht alt. Ich fühle, daß die Romantik das von mir erwartet. In Übereinstimmung mit dieser Rolle muß ich ständig meinen Selbstmord in Betracht ziehen.

OLIVER. Rosa und gold, wie Timothy; aber wie grundverschieden doch! Timothy ist eine solide, rohe Säule, Oliver eine Kerze. Es ist unglaublich, wie sehr Olivers Körper und Gesicht dem Ideal eines Filmstars entsprechen: fast einen Meter neunzig, breite Schultern, schmale Hüften. Perfekte Proportionen. Ein kräftiger, stiller Typ. Er sieht sehr gut aus, weiß das und schert sich keinen Deut darum. Ein Junge vom Land, aus Kansas, ein offenes Gesicht ohne Falschheit. Das lange Haar ist so hellblond, daß es fast weiß wirkt. Von hinten sieht er wie ein großgewachsenes Mädchen aus, abgesehen von seinem zu schmalen Becken. Seine Muskeln wölben sich nicht so wie bei Timothy, sie sind flach und langgezogen. Oliver täuscht niemanden mit seiner tölpelhaften Schwerfälligkeit. Hinter den sanften wasserblauen Augen ein hungriger Geist. Er lebt in der Vorstellung eines brodelnden New York und brütet hochtrabende Pläne aus. Trotzdem strahlt er so etwas wie Vornehmheit aus. Wenn ich mich doch nur in diesem Glanz reinigen könnte. Wenn ich es nur könnte.

UNSER ALTER. Timothy ist im letzten Monat zweiundzwanzig Jahre all geworden. Ich bin einundzwanzigeinhalb. Oliver wird im Januar einundzwanzig. Eli zwanzigeinhalb.

TIMOTHY: Wassermann

ICH: Skorpion

OLIVER: Steinbock

ELI: Jungfrau

5. Kapitel

Oliver

Ich fahre lieber, als daß ich gefahren werde. Ich kann zehn bis zwölf Stunden in einem Stück am Steuer sitzen. So wie ich es sehe, fühle ich mich einfach sicherer, wenn ich fahre, als jemand anderer; denn außer mir hat keiner so ein Interesse daran, mein Leben zu erhalten wie ich. Ich glaube, manche Fahrer fordern den Tod heraus — wegen dem Nervenkitzel, oder, wie Ned vielleicht sagen würde, aus Gründen der Ästhetik. Zur Hölle damit! Für mich gibt es im ganzen Universum nichts Wertvolleres als das Leben von Oliver Marshall, und ich möchte soviel Einfluß auf lebensgefährliche Situationen haben wie nur irgend möglich. Deshalb versuche ich, die meiste Zeit selbst zu fahren. Bis jetzt habe ich die ganze Zeit am Steuer gesessen, obwohl es Timothys Wagen ist. Timothy ist das genaue Gegenteiclass="underline" Er wird lieber gefahren, als daß er selbst fährt. Ich halte das für eine Manifestation seines Klassenbewußtseins. Eli kann gar nicht fahren. Also bleiben nur Ned und ich übrig. Ned und ich, den ganzen Weg nach Arizona, und Timothy, der uns gelegentlich einmal ablöst. Offen gesagt, der Gedanke erschreckt mich, Ned mein Leben anzuvertrauen. Angenommen, ich würde den Fahrersitz nicht verlassen, den Fuß auf dem Gas lassen und immer weiter durch die Nacht fahren? Wir könnten morgen nachmittag in Chikago sein. Morgen am späten Abend in St. Louis. Übermorgen in Arizona. Und dann Elis Schädelhaus suchen. Ich bewerbe mich um die Unsterblichkeit. Ich bin bereit, es hat mich wie eine Droge gepackt. Ich habe unbedingtes Vertrauen zu Eli. O Gott, wie ich daran glaube! Ich will daran glauben. Die ganze Zukunft steht mir offen. Ich werde die Sterne sehen. Von Welt zu Welt düsen. Captain Zukunft aus Kansas. Und diese Kretins wollen erst noch in New York einen Halt einlegen, eine Nacht in der Stadt in einer Single-Bar verbringen! Die Ewigkeit erwartet uns, und sie müssen unbedingt noch ins Maxwell’s Plum. Ich möchte ihnen ins Gesicht schreien, für welche Blödmänner ich sie halte. Aber ich muß mich gedulden. Ich will nicht, daß sie mich auslachen. Sie sollen nicht glauben, ich hätte über Arizona und den Schädeln meinen Verstand verloren. First Avenue, da sind wir!

6. Kapitel

Eli

Wir betraten eine Kneipe auf der Sechsundsiebzigsten Straße, die Weihnachten eröffnet worden war. Einer aus Timothys Verbindung war dort gewesen und hatte berichtet, die Stimmung im Laden sei super, also wollte Timothy auch dahin. Wir machten Witze darüber. Der Laden hieß ‚Zur Geschmacklosigkeit’, und diese sechs Silben sagen eigentlich schon, wie langweilig es dort war. Die Einrichtung war in frühem Jockstrap gehalten, und das Publikum war auf zehn Meilen als High-School-Footballspieler-Clique aus den Vororten zu erkennen. Die Mädchen waren hoffnungslos in der Minderheit, so etwa im Verhältnis von eins zu drei. Der Geräuschpegel lag sehr hoch, das Gelächter von Schwachsinnigen herrschte vor. Wir vier marschierten in einer Phalanx hinein, aber kaum waren wir drin, brach unsere Formation auseinander. Voller Begierde stieß sich Timothy wie ein Kampfbulle in der Brunft zur Bar vor. Nach dem fünften Schritt verlangsamte sich die Bewegung seines massigen Körpers, als ihm bewußt wurde, daß das Publikum nicht seinen Erwartungen entsprach. Oliver, irgendwie der anspruchsvollste unter uns, kam gar nicht erst herein; er hatte sofort bemerkt, daß dieser Laden nichts für ihn war, und ließ sich direkt am Eingang nieder, um darauf zu warten, daß wir herauskamen. Ich wagte mich bis zur Mitte vor. Eine Woge von Heiterkeit befiel mich, ich konnte sie mit jedem einzelnen Nerv spüren. Total behämmert zog ich mich in eine Nische beim Checkroom zurück. Ned zog es direkt zur Toilette. Ich war naiv genug zu glauben, er müsse dringend. Einen Augenblick später kam Timothy zu mir mit einem Glas Bier in der Hand und sagte: „Dann laß uns mal das Glas mit Luft füllen. Wo steckt Ned?“