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„Das glaube ich auch“, sagte ich.

„Was können wir dagegen tun?“

„Nicht viel. Wir können ihn nicht zwingen zu bleiben.“

„Was wird aus uns, wenn er geht?“

„Woher soll ich das wissen, Eli? Ich fürchte, wir werden Ärger mit den Brüdern bekommen.“

„Ich werde ihn nicht gehen lassen“, sagte Eli mit unvermittelter Heftigkeit.

„So? Wie willst du ihn denn aufhalten?“

„Daß weiß ich noch nicht.“

„Lieber Gott, Ned, merkst du denn nicht, wie alles auseinanderzubrechen droht?“

„Ich dachte eigentlich, wir würden es schaffen“, sagte ich.

„Eine Zeitlang, ja, eine Zeitlang. Aber damit ist es vorbei. Wir haben Timothy eigentlich nie richtig festhalten können.“ Eli zog wie eine Taube den Kopf zwischen die Schultern. „Und dann die Sache mit den Priesterinnen. Diese Nachmittagsorgien. Ich verhunze sie, Ned. Ich bekomme einfach keine Kontrolle über mich. Sicher ist es prima, so leicht ans Bumsen zu kommen, aber ich erlerne eben die erotischen Disziplinen nicht, von denen man erwartet, daß ich sie beherrsche.“

„Du gibst dich selbst zu früh auf.“

„Aber ich sehe keinen Fortschritt. Mir ist es bis jetzt noch nicht gelungen, bis zur dritten Frau auszuhalten. Mehrmals gelang es mir bei zweien. Aber bei dreien niemals.“

„Ist doch bloß eine Sache der Übung“, sagte ich.

„Klappt es denn bei dir?“

„Ziemlich gut.“

„Natürlich“, sagte er. „Weil du dir nicht allzuviel aus Frauen machst. Für dich ist das bloß eine körperliche Übung, so als würdest du auf einem Trampolin springen. Aber ich habe zu diesen Mädchen eine Beziehung, Ned. Sie sind Objekte meiner sexuellen Begierde. Was ich mit ihnen anstelle, hat enorme Bedeutung für mich. Und so … und so … lieber Gott, Ned, wenn ich damit nicht klarkomme, was hat es denn für einen Wert, wenn ich mich bei den anderen Sachen anstrenge?“

Er verschwand in einer Woge von Selbstmitleid. Ich versuchte, ihn mit ein paar Worten zu ermuntern. „Gib nicht gleich auf, Mensch. Mach dich nicht schlechter als du bist.“ Dann erinnerte ich ihn daran, daß er mir ja eigentlich beichten solle. Er nickte. Ungefähr eine Minute saß er ganz still in sich gekehrt da und wippte vor und zurück. Schließlich sagte er plötzlich mit erstaunlicher Irrelevanz: „Ned, wußtest du, daß Oliver schwul ist?“

„Das habe ich sofort bemerkt.“

„Du wußtest das?“

„Es dauert lange, bis man so etwas zugibt, hast du diesen Spruch noch nie gehört? Ich entdeckte es in seinem Gesicht beim erstenmal, als ich ihn sah. Ich sagte mir, dieser Mann ist schwul. Die glasigen Augen, die angespannten Kiefer, der Blick voll unterdrücktem Verlangen, diese kaum verhüllte Wildheit einer Seele, die in Schmerz lebt, weil sie nicht tun darf, wonach sie verzweifelt strebt. Alles an Oliver deutet darauf hin die selbststrafende Arbeitswut in seinem Studium, die verbissene Art, wie er seinen athletischen Übungen nachgeht, sogar seine zwanghafte Bumssucht. Es ist die klassische Figur eines latenten Homosexuellen, klar?“

„Nicht latent“, sagte Eli.

„Was?“

„Er ist nicht nur ein potentieller Schwuler. Er hat schon homosexuelle Erfahrungen. Nur einmal, sicher, aber es hat einen tiefen Eindruck bei ihm hinterlassen. Und es hat, seit er vierzehn Jahre alt war, sein ganzes Verhalten beeinflußt. Warum, meinst du wohl, hat er dich eingeladen, bei ihm einzuziehen? Es sollte ein Test für seine Selbstkontrolle sein — für ihn war es eine Übung in Gelassenheit, in all den Jahren, da er es sich nicht erlaubt hat, dich zu berühren —, aber du bist das, was er will, Ned. Ist dir das jemals aufgefallen? Seine Veranlagung ist nicht nur latent. Sie ist ihm bewußt, sie liegt unmittelbar unter der Oberfläche.“

Ich sah Eli befremdet an. Was er mir da sagte, war dazu geeignet, sich für mich als großer Vorteil zu erweisen; und abgesehen von der Hoffnung auf persönlichen Gewinn durch Elis Eröffnung war ich davon fasziniert und verwundert, wie man das ja immer bei solchem Getratsche aus der Intimsphäre ist. Trotzdem fühlte ich mich, als müßte ich mich übergeben. Ich erinnerte mich an ein Ereignis während meines Sommers in Southampton, eine alkoholschwangere Orgie, wo zwei Männer, die seit zwanzig Jahren zusammenlebten, in einen außergewöhnlich heftigen Streit geraten waren, bis einer von ihnen plötzlich dem anderen die Samtrobe herunterriß und ihn uns allen nackt präsentierte. Er zeigte einen fetten Bauch, einen fast haarlosen Unterleib und die unterentwickelten Genitalien eines zehnjährigen Jungen. Und er schrie, daß er in all den Jahren sich damit hatte begnügen müssen. Dieser Moment der Zurschaustellung, diese katastrophale Demaskierung, war auf Wochen zur Quelle herrlichsten Partytratsches geworden, aber mich ließ sie angewidert zurück; denn ich und alle anderen Anwesenden in diesem Raum waren unfreiwillig Zeugen der intimen Qual eines anderen geworden. Und ich wußte genau, daß das, was an jenem Tag offen zur Schau gestellt worden war, nicht bloß der Körper von irgend jemandem war. Auf die Erfahrung, die ich dort machen mußte, hätte ich gern verzichtet. Nun hatte mir Eli etwas erzählt, das einerseits für mich ganz natürlich sein konnte. Aber auf der anderen Seite war ich wieder, ohne darum gebeten zu werden, zum Eindringling in die Intimsphäre eines anderen geworden.

Ich sagte: „Wie hast du das herausgefunden?“

„Oliver hat es mir vergangene Nacht erzählt.“

„In seiner Beich…“

„In seiner Beichte, jawohl. Es geschah drüben in Kansas. Er ging mit einem seiner Freunde zur Jagd in die Wälder. Der Freund war ein Jahr älter als er. Und sie legten eine Pause ein, um schwimmen zu gehen. Als sie wieder aus dem Wasser kamen, hat der andere Bursche Oliver verführt, und Oliver hat sich verführen lassen. Er hat es nie vergessen, die Intensität, das reine körperliche Vergnügen in dieser Situation. Allerdings hat er darauf geachtet, diese Erfahrung niemals zu wiederholen. Daher könntest du absolut recht haben, wenn du sagst, damit könnte man viel von Olivers Zwanghaftigkeit, seiner Besessenheit so interpretieren, daß er ständig bemüht ist um die Unterdrückung seiner …“

„Eli!“

„Ja, Ned?“

„Eli, diese Beichten sollen vertraulich sein.“

Er nagte an der Oberlippe. „Ich weiß.“

„Du vergewaltigst Olivers Intimsphäre, wenn du mir das alles erzählst. Ausgerechnet mir.“

„Ich weiß es.“

„Warum tust du es dann?“

„Ich dachte, es würde dich interessieren.“

„Nein, Eli, das kaufe ich dir nicht ab. Ein Mensch von deiner moralischen Integrität, deiner allumfassenden Bildung — Scheiße, Mann, du hast doch etwas anderes im Sinn als bloßes Herumgetratsche. Du bist hier mit dem Vorhaben hereingekommen, Oliver an mich zu verraten. Warum? Willst du Oliver und mich verkuppeln?“