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„Für kleine Jungs“, erklärte ich ihm.

„Gequirlte Scheiße.“ Timothy verschwand, um ihn zu holen. Wenige Momente später erschien er mit einem schmollenden Ned, der seinerseits von einer Zwei-Meter-Ausgabe Olivers begleitet wurde. Ein junger Apoll, vielleicht sechzehn Jahre alt, mit schulterlangen Locken und einem Lavendelhaarband. Fixer Junge, dieser Ned. Fünf Sekunden, um die Lage zu überblicken, und dreißig weitere, um das schönste Stück zu finden und mit ihm einig zu werden. Timothy war ihm jetzt in die Parade gefahren und hatte den Wunschtraum einer exquisiten Zweisamkeit in einem Hinterzimmer in East Village zerstört. Natürlich hatten wir jetzt keine Zeit, um Ned seinen Launen frönen zu lassen. Timothy barschte Neds Fundstück an, und Ned murrte Timothy an; der Apoll stampfte von dannen, und wir vier zogen nach draußen. Einen Block weiter zu einem hoffentlich zuverlässigeren Laden, dem ‚Plastikkäfig’, wo Timothy und Oliver im letzten Jahr oft verkehrt hatten: ein futuristisches Dekor, überall gewellte Platten aus dickem, glänzendem, grauem Plastik, die Kellner in auffällig bunten Science-Fiction-Kostümen, periodisch grelle Lichtausbrüche, ungefähr alle zehn Minuten das betäubende, hämmernde Geschmetter eines Hard-Rock-Fetzers aus fünfzig Boxen. Eigentlich mehr eine Diskothek als ein Single-Bar, aber der Laden erfüllte beide Zwecke. Treffpunkt der Typen vom Columbia und Barnard und Sammelpunkt der Mädchen vom Hunter. High-School-Leute läßt man spüren, daß sie unerwünscht sind. Auf mich wirkte die Umgebung sehr fremd; ich habe kein Gespür für aktuelle Trends. Ich sitze lieber in einem Café, schlürfe Cappucino und rede über weltbewegende Dinge, als mich in Single-Bars oder Diskotheken herumzutreiben. Rilke statt Rock, Platin statt Plastik. „Mann, du bist wohl der letzte Rest aus den fünfziger Jahren“, hatte Timothy mir mal gesagt. Timothy mit seiner republikanischen Korea-Nahkampf-Frisur.

Unser hauptsächliches Anliegen an diesem Abend war, einen Schlafplatz zu finden, ein Mädchen anzumachen, das eine Wohnung mit Platz für vier männliche Gäste hat. Timothy würde das übernehmen; falls er Scheiß baute, hatten wir immer noch Oliver in Reserve. Dies war die Welt der beiden. Ich würde mich im Hochamt von St. Patrick weniger fehl am Platze fühlen. Für mich war das hier Sansibar, und ich vermute, für Ned war es Timbuktu, obwohl er sich mit seiner Chamäleonhaftigkeit überall anpassen konnte. Von seiner natürlichen Leidenschaft durch Timothy abgebracht, wählte er jetzt die Hetero-Flagge zum Weitersegeln aus. In seiner angeborenen perversen Art hatte er sich gleich an das häßlichste Mädchen weit und breit herangemacht: ein Breigesicht mit wuchernden kanonenkugelähnlichen Brüsten unter einem ausgeweiteten roten Sweater. Er zog seine beste Show bei ihr ab, benahm sich ihr gegenüber wie ein schwuler Raskolnikow, der sie darum anfleht, ihn vor einem verruchten Leben voller Unzucht zu bewahren. Als er ihr ins Ohr flüsterte, befeuchtete sie beständig die Lippen, schlug die Augen auf und nieder und befingerte ihr Kruzifix, ja, sie hatte ein Kruzifix zwischen den Jumbobällen hängen. Sie wirkte wie die Sally McNally direkt aus Mother Gabrini High, die den Kinderschuhen noch nicht lange entwachsen war; was kostete es doch für eine Anstrengung, diese loszuwerden. Und jetzt, dem Himmel sei Dank, war wirklich einer gekommen, der sie anmachen wollte! Zweifellos würde Ned bald seine Verdorbener-Priester-Show abziehen, die Nummer vom gefallenen Jesuiten, und seine Aura von Dekadenz und romantischer, katholischer Angst verbreiten. Würde Ned das durchhalten? Ja, er würde es schaffen. Mit dem Anspruch eines Poeten, der Erfahrungen sucht, verführte er immer die Nichtse und Nullen, die Spreu statt den Weizen: ein Mädchen mit nur einem Arm, ein Mädchen mit einem verkrüppelten Mund, eine Störchin, die ihn an Länge beträchtlich überragte etc. etc. — Neds Verständnis von schwarzem Humor. Aber damit legte er mehr Mädchen flach als ich, schwul wie er war. Doch seine Eroberungen waren keine wirklichen Errungenschaften, sondern Tölpel. Er behauptete, am eigentlichen Akt kein Vergnügen zu haben, nur an dem grausamen Spiel des Anmachens. Nun gut, sagte er, heute abend laßt ihr mich nicht Alkibiades haben, also nehme ich Xanthippe. Er verarschte die ganze normale Welt mit seiner Jagd nach dem Deformierten und Unansehnlichen.

Eine Zeitlang beobachtete ich sein Treiben. Ich verschwende zuviel Zeit damit, alles zu beobachten. Ich sollte viel mehr ausgehen und herumtigern. Wenn Größe und Intellekt hier die geläufigen Umgangsformen waren, warum sollte ich dann nicht damit hausieren gehen und sehen, was es mir einbringen würde? Stehst du denn so über den fleischlichen Dingen, Eli? Schmink dir das mal rasch wieder ab; du bist Mädchen gegenüber einfach zu unbeholfen. Ich kaufte mir einen Whisky sour (Schon wieder die Fünfziger! Wer trinkt heute noch Mix-Getränke?) und wandte mich von der Bar ab. Man ist nur so unbeholfen, wie man sich fühlt. Ich stieß mit einem kleinen dunkelhaarigen Mädchen zusammen und verschüttete die Hälfte meine Drinks. „Oh, das tut mir aber leid“, sagten wir beide gleichzeitig. Sie sah erschrocken aus, wie ein furchtsames Reh: schlank, zarte Glieder, mochte ein Meter fünfzig groß sein, leuchtende, feierliche Augen und eine hervorstehende Nase (scheines Maidele, ein Mitglied meiner Rasse!). Eine türkisfarbene, halbdurchsichtige Bluse enthüllte den darunterliegenden rosafarbenen BH und deutete damit auf die Ambivalenz herrschender Sitten hin. Unsere Schüchternheit entzündete einen Funken. Ich spürte Hitze im Unterleib, fühlte die Hitze der Wangen und empfing von ihr die angenehme Wärme gegenseitiger Verbrennung. Manchmal erwischt es einen so total, daß man sich fragt, warum alle Umstehenden nicht applaudieren. Wir fanden einen kleinen Buchstabentisch und stellten uns murmelnd und mit heiserer Stimme vor. Mickey Bernstein, angenehm, Eli Steinfeld. Eli, Mickey. Was macht ein hübsches Mädchen wie du in so einem Lokal?

Sie studierte im zweiten Jahr am Hunter, hauptsächlich Verwaltung, ihre Familie war aus Kew Garden; sie teilte sich mit vier anderen Mädchen ein Apartment an der Kreuzung Dritte und Siebzigste Straße. Ich glaubte schon, ich hätte unser Nachtquartier gefunden — man stelle sich einmal vor, Eli, der Schmendrick, trifft ins Schwarze! —, aber rasch gewann ich den Eindruck, daß es sich bei dem Apartment in Wahrheit um zwei Schlafzimmer und eine Kochnische handelte und es kaum so viele Leute aufnehmen konnte. Gleich vorab erklärte sie mir, daß sie nicht sehr oft zu Single-Plätzen ginge, eigentlich nie. Aber ihre Zimmergenossin hatte sie heute abend hinauskomplimentiert, um den Beginn der Osterferien zu feiern — diesen Wink hatte ihr die Zimmergenossin gegeben, eine lange, dürre, pickelgesichtige und einfältige Person, die ganz ernsthaft einem herumziehenden zottigen Barttypen ihre Gunst schenkte, der sich wie ein Hippie von 1968 kleidete und deshalb sei sie hier, fühlte sich unbehaglich, vom Krach taub gemacht, und ob ich ihr bitte einen Cherry-Cola bestellen würde. Eli Steinfeld, der galante Mann von Welt, hielt einen vorübereilenden Kellner an und gab die Bestellung weiter. Einen Dollar, bitte. Verdammt, Mickey fragte, was ich studierte. Hereingefallen. Also, Herr Pedant, enthüllen Sie sich! „Frühe mittelalterliche Philologie“, sagte ich. „Die Desintegration des Lateinischen in den romanischen Sprachen. Ich könnte dir obszöne Balladen in Provençalisch vorsingen, wenn ich singen könnte.“ Sie lachte etwas zu laut. „Oh, meine Stimme klingt auch schrecklich“, rief sie. „Aber du kannst ja etwas rezitieren, falls du möchtest.“ Schon griff sie nach meiner Hand, nachdem ich zu paukerhaft gewesen war, nur daran zu denken, ihre zu nehmen. Ich sprach die Worte halb brüllend gegen den Lärm:

Can rei la luzeta mover De joi sas alas contral rei, Que s.oblid. es laissa chazer Per la doussor c.al cor li vai …