Schließlich hatte sie aus Petane so viele Informationen herausgepresst, wie er in seinem Gehirn hatte. Wie Robertson gesagt hatte, war nichts davon von einer Größenordnung, die es gerechtfertigt hätte, einen Verräter dreißig Jahre am Leben zu lassen. Und wenn niemand im Establishment von Fleet Strike sich die Mühe gemacht hatte, ihn gegen die Verhördrogen höheren Niveaus zu immunisieren, würde man ihm auch nichts anvertrauen, was wichtig genug war, um wirklich nützlich zu sein. Er war nicht wachsam genug, um abzulehnen, als sie ihm einen der unmarkierten Weinkartons anbot, und trank durstig aus dem Glas, das sie einem der Schränke entnommen hatte.
Zeit, hier sauber zu machen. Meine Meinung über Team Hector ist jetzt wirklich auf dem Tiefpunkt. Dass die das mitgemacht haben! Eine andere Spritze in dem Päckchen enthielt eine winzige Menge eines Farbstoffs, der sich biologisch schnell abbaute, aber bei geschicktem Einsatz sehr echt wirkende Nadelspuren hinterließ.
Unglücklicherweise baute sich das Präparat nur dann richtig ab, wenn das Subjekt noch lebte, also musste sie sich sein Wimmern anhören, während sie ihm mehrfach in die Venen stach und jeweils eine winzige Menge von dem Zeug injizierte. Als sie das auf der Schule hatte üben müssen, war das alles andere als erfreulich gewesen. Ihre Nervosität gegenüber Nadeln hatte ihr das genommen, aber der Farbstoff brannte ziemlich.
Als sie genügend Stiche angebracht hatte, um überzeugend zu wirken, wartete sie fünf Minuten und fesselte ihm dann die Hände und die Füße aneinander statt an den Stuhl. Die Wirkung der Verhörpräparate ließ jetzt nach, aber er stand immer noch hinreichend unter Drogen, um wenig Widerstand zu leisten, als sie ihn sich über die Schulter legte und ihn ins Schlafzimmer trug. Für ihre aufgewertete Muskulatur stellte sein Gewicht kein Problem dar, aber seine Größe war hinderlich — insbesondere weil er nicht völlig reglos war und immer wieder zuckte.
Im Schlafzimmer tat sie die geschmacklosen, aber notwendigen Dinge, derer es bedurfte, um den Schauplatz für die Leute von der Gerichtsmedizin vorzubereiten, und gab ihm dann seine abschließende Injektion, bereitete ein zweites Glas mit den Lippenspuren der Freundin und mit Schlafmittel versetztem Wein vor und stellte die beiden Gläser auf den Nachttisch neben das Bett. Den Inhalt des zweiten Weinkartons spülte sie in den Ausguss und hatte dann zwei saubere, leere Behälter für den Küchenabfall.
Sie war dabei, den diversen Müll — gebrauchte Plastikfesseln, Knebel, Spritzen — beiseite zu schaffen, als sie plötzlich das unerwartete Bedürfnis verspürte, ins Bad zu eilen. Sie übergab sich heftig in die Toilette und fluchte halblaut vor sich hin, als sie sich nachher das Gesicht mit Toilettenpapier säuberte und sich vergewisserte, dass jeder noch so winzige Rest des unwillkommenen Beweismaterials gründlich hinuntergespült worden war. Anschließend schrubbte sie noch die Toilettenschüssel aus. Dass die Freundin für ihren Besuch ein wenig sauber gemacht hatte, würde durchaus plausibel sein und daher nicht auffallen.
Genau der richtige Zeitpunkt für eine Darmgrippe. Ich kann mich gar nicht erinnern, wann ich das letzte Mal krank war. Und schwanger bin ich ganz sicher nicht, Gott sei Dank. Sie kehrte in die Küche zurück und setzte ihre Säuberungsarbeiten fort.
»Du kannst mit der Aufzeichnung aufhören, Buckley. Lege es unter … sagen wir mal ›Hector-Archiv‹ ab.«
»Jetzt müssen wir uns beeilen, oder? Nicht, dass es viel Sinn hätte.«
»Nein, Buckley. Ich bin hier praktisch fertig. Du kannst die KI Emulation auf Stufe zwei zurückstellen.«
»Aber … aber … aber … na schön …« Der Buckley verstummte. Wenn die Dinge gut liefen, war er nie sonderlich begeistert.
Vor elf zu Hause. Cally sah auf die Uhr und nahm sie vom Handgelenk. Für eine Solomission war das zumindest gar nicht schlecht.
Die Aktentasche mit all dem belastenden Beweismaterial wanderte mit ihr ins Motelzimmer, genau nach Vorschrift, falls keine Crew zur Verfügung stand. Sie würde sie selbst tragen, wenn sie morgen Meldung machte, und sie der Reinigungsabteilung übergeben. Äußerst gründlich hatte sie darüber nachgedacht, wie sie sich ihren Vorgesetzten gegenüber äußern würde, falls die Schwierigkeiten wegen ihres Urlaubs machen sollten, und war zu dem Entschluss gelangt, es auf die harte Tour zu machen. Sie wollte über die Prioritäten reden, die es ermöglicht hatten, dass ein Verräter, der den Tod eines ganzen Agententeams verursacht hatte, nach seinem Verrat noch jahrzehntelang am Leben geblieben war. Das sollte ein guter Anfang für das Gespräch sein.
Sie schminkte sich langsam ab und fühlte sich eigenartig müde. Nun ja, das ist absolut und endgültig und ohne Frage die letzte Position auf meiner »Besser tot«-Liste. Ich hatte eigentlich gedacht, dass Worth das wäre, aber okay, dann war es eben Petane. Halleluja. Irgendwie werde ich das feiern müssen. Sie schüttelte den Kopf, wie um Klarheit in ihre Gedanken zu bekommen, und holte sich ein sauberes Nachthemd. Keine Lust, noch mal auszugehen? Ich? Anscheinend braut sich da wirklich etwas in mir zusammen. Na ja, da ist früh zu Bett gehen wohl am besten.
Beim Umziehen betrachtete sie sich im Spiegel und fuhr sich mit der Hand durch die braunen Locken. Bis morgen um diese Zeit würden die vermutlich weg sein. Sinda Makepeace hatte so platinblondes Haar und einen derart hellen Teint, dass sie wie ein typisches schwedisches Skihäschen aussah. Es kam selten vor, dass sie eine Tarnidentität mit hellerer Farbe annahm. Jetzt fang ich gleich wieder an zu brüten. Du liebe Güte, ich muss wirklich müde sein. Auf ins Bett. Sie griff sich einen Waschlappen, ohne darüber nachzudenken, und klatschte ihn auf den Nachttisch, schaltete den Wecker und anschließend das Licht ab.
Am nächsten Morgen wäre sie gern noch ein wenig liegen geblieben. Es war ein so wunderschöner Traum gewesen. Sie hätte schwören können, tatsächlich eins der köstlichen Conch-Omelettes zu schmecken und sogar ein Stück frischen Key Lime Pie. Sie hatte auf Moms Schoß gesessen, und Dad hatte gerade ein frisches Glas Limonade hereingebracht, frisch gepresst und eiskalt.
Das Eis in der Limonade war nicht das einzig Kalte. Reflexartig griff sie nach dem Waschlappen und wühlte sich aus den verschwitzten Laken; diese stanken nach saurem Schweiß. Hastig streifte sie ihr Nachthemd ab, ließ es mit dem Laken auf dem Boden liegen und ging in die Dusche, um heiß zu duschen und dabei warm zu werden. Puh. Anscheinend war das Fieber. Ich hasse es, krank zu sein.
Dienstag, 21. Mai
Nachdem sie aus dem Motel ausgecheckt hatte, holte sie ihr Handy heraus und wählte eine Nummer. »Ich brauche ein Taxi.« Sie gab die Adresse an.
Als das Taxi kam, ließ sie ihren Koffer und den Rucksack im Kofferraum ihres Wagens und nahm nur die Aktentasche sowie ihre Handtasche mit. Der Taxifahrer redete kein Wort mit ihr, bis sie vor einer Münzwäscherei anhielten.
»Neben der Toilette hinten ist eine Feuertür. Kümmern Sie sich nicht um die Tafel wegen des Alarms. Steigen Sie hinten in den Lieferwagen«, sagte er und tippte an etwas, das neben ihm auf dem Sitz lag. Vielleicht war es der Bildschirm eines PDA.
»Danke.« Sie gab ihm ein reichliches Trinkgeld und schenkte ihm dazu ein Lächeln, obwohl die Uhr offensichtlich nicht gelaufen war.
Die einzige Person in der Münzwäscherei blickte nicht einmal auf, als sie eintrat und gleich darauf hinten wieder hinausging. Handelte sich hier wohl um ein Viertel, in dem es nicht üblich war, sich um andere Leute zu kümmern.