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»Sie hat ihm buchstäblich das Gehirn rausgeblasen.« Er schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht, wie sie den zweiten Typen erledigt hat, nachdem die Gott weiß was mit ihr angestellt haben. Und dabei zeigt sie weniger Reaktion als andere Leute über einen eingewachsenen Nagel.«

Der Ältere hob die Hand, um das Reinigungsteam davon abzuhalten, die zweite Leiche aufzuheben. Er untersuchte sie kurz, registrierte die Verfärbung im Kinnbereich und verwahrte eine Gehirnprobe in einem Lagerwürfel.

»Sieht wie ein ziemlich sauberer Treffer aus. Ob es ein Fußtritt oder ein Schlag war, ist nicht zu erkennen.« Mike O’Neal senior ließ den Reinigungstrupp weitermachen und ging quer durchs Zimmer zu der Stelle, wo die zurückgelassenen hochhackigen Schuhe und die Handtasche lagen. »Cally ist kreativ«, sagte er. »Auf kreative Art gewalttätig.«

»Schade, dass wir nicht vorher hier sein konnten.« Der jüngere Agent schüttelte den Kopf und blickte wieder auf die Reste am Boden, »aber bei einem Typen, der uns schon dreimal durch die Lappen gegangen ist, indem er einfach seine Bewacher niedergebrannt hat … da war das nicht zu vermeiden.«

»Okay, mal sehen, was wir haben«, meinte O’Neal mit finsterer Miene, suchte den Raum schnell nach Wanzen ab und reichte dem Cyberpunk dann ein Lesegerät sowie ein paar Würfel. »Deine Spezialität, Jay Wahrscheinlich nichts, was wir brauchen können, aber man kann ja nie wissen.« Er ging in den Flur hinaus und auf die Treppe zu, sodass der andere ihm wohl oder übel folgen musste. Ganz gleich, wie lang das jetzt zurückliegt, aber Treppen steigen, ohne dabei außer Puste zu kommen, macht immer wieder Spaß, »Sie wird ganz schön sauer sein«, meinte Tommy und folgte ihm die Treppe hinunter.

»Ist schon gut«, erwiderte Papa O’Neal. »Ich kenne ihre Schwächen.«

Cally betrat ihr wohltuend kühles Apartment und blieb stehen, schüttelte den Kopf; buchstäblich jeder Zentimeter der Wohnung war mit Blumen oder Pralinenschachteln bedeckt. Da waren Irisse und Rosen und Chrysanthemen und Gänseblümchen … und alle möglichen anderen Blumen, deren Namen sie nicht einmal kannte. Sie stieg aus ihren Schuhen, hob eine der Pralinenschachteln auf und gab einen überraschten Laut von sich, als sie das Etikett sah. Schokolade — »sehr teure« Schokolade, konnte man sagen.

»Mich kann man weder bestechen noch fertig machen«, murmelte sie, holte eine der Pralinen heraus und steckte sie sich in den Mund. »Normalerweise.« Ihre Augen wurden schmal, und sie schob die Praline im Mund herum, musterte die Blumen mit gerunzelter Stirn. Dann nahm sie die nächste Praline und runzelte erneut die Stirn. »Meistens.«

Sie ging Pralinen mampfend durchs Zimmer, ließ ihre Füße von dem weichen Teppich liebkosen und genoss das Gefühl ungebrochener Zehen, stapfte dann in die Küche und holte sich aus dem Krug im Kühlschrank eine Margarita. Als sie ins Schlafzimmer zurückging, stopfte sie sich die nächste Praline in den Mund, verdrehte die Augen, als sie nach Erdbeeren schmeckte, blieb am Bildschirm stehen, wählte einen Würfel aus und schaltete ihn auf Tori Arnos.

»Musik zum Einschlafen«, murmelte sie halblaut.

In ihrem Zimmer wanderte die frisch gereinigte Abendtasche in die oberste Schublade einer Kommode, wo etwa ein Dutzend weiterer lagen. Die Geldbörse ohne Geld kam in die mit Daumenabdruck zu schließende und mit einer Falle versehene Schublade ganz unten, ebenfalls zu einem Dutzend weiterer. Sarah Johnson aus Chicago war nicht verbrannt worden — also, die Identität jedenfalls nicht — und könnte noch einmal nützlich sein.

Das neue T-Shirt und die sehr gründlich gereinigten Jeans wanderten auf Bügel im Kleiderschrank. Die Unterwäsche, ebenfalls neu, kam in den Wäschekorb. Sie trat vor den bis zum Boden reichenden Dreifachspiegel und betrachtete sich vorn und hinten. Keine Narben, keine Spuren, aber die gibt es nie. Sie beugte sich vor und musterte ihre Augen, die wieder ihre eigenen waren. Kornblumenblau. Dann legte sie die Zähne frei und betrachtete sie von allen Seiten — perfekt, wie gewöhnlich. Nicht das geringste Anzeichen, dass etwas beschädigt worden war.

Cally ging ins Badezimmer und stellte das Glas neben das Becken, holte sich einen sauberen Waschlappen aus dem Schrank, stapfte zum Bett zurück und stellte das Glas auf den Nachttisch.

Hoffentlich reichte das wenigstens für ein paar Tage Freizeit.

Mit dem Touch-Pad neben dem Bett reduzierte sie die Lautstärke auf leise Hintergrundmusik und schaltete das Gerät dann auf Random Play. Anschließend schaltete sie mit dem Touch-Pad aktive Gegenmaßnahmen ein, rollte sich dann zur Seite und nahm das Kissen auf eine Art und Weise in die Arme, die seltsam an ein Kind mit einem Plüschtier erinnerte, und sank dann in den Schlaf.

Tibet. Vor dem Krieg wäre sie in jeder Menschenmenge durch ihre Größe aufgefallen. Nach dem Krieg, wo überall, wo es noch Menschen gab, Amerikaner waren, fiel sie mit ihrem mausbraunen, kurz gestutzten Haar und dem roten Anorak überhaupt nicht auf. Und jetzt, im Haus, in einem abgedunkelten Schlafzimmer. Der ehemalige Parteifunktionär hatte die ursprüngliche Eroberung durch die Posleen um zwei Wochen beschleunigt und damit für sich zwanzig Jahre geborgter Zeit gewonnen. Eines seiner Kinder quietschte vor Vergnügen in einem anderen Zimmer über die Serie, die gerade im TV lief. Die Würgeschlinge arbeitete völlig geräuschlos.

Irland. Ein amerikanischer Funktionär auf Urlaub. Wie es schien, hörte der Tourismus nie auf. Keine Zeugen, aber er ist ganz in Schwarz, ein Spieler? Sein Halswirbel bricht mit einem leichten Knacken, ohne Mühe, und er rollte beim Fallen, und es ist weiß und sollte doch nicht weiß sein, warum war er hier? Herrgott, nein. Nein.

Das Licht ist rot und riecht nach Weihrauch und Büchern. Er bastelt in dem Zufluchtsort herum. Ein ereignisloser Tag. Father, sind Sie bereit, meine Beichte zu hören? Dort, ja, durch die Tür. Was? Draußen. Schnee fällt. Die Türen versperrt. Kann nicht rein. Immer das Gleiche. Kann nicht wieder rein.

Florida. Mit Delfinen schwimmen. Mom ist bei mir. Sie ist stolz auf mich. Und das Wasser ist kühl und die Sonne heiß. Der alberne Herman. Heute Abend gibt’s Key Lime Pie und vor dem Zubettgehen nimmt Dad mich in die Arme.

Sie wachte mit einem Lächeln im Gesicht auf, schaltete abwesend die Gegenmaßnahmen ab und griff nach dem Waschlappen, um sich das Gesicht abzutrocknen. In dreißig Jahren bin ich kein einziges Mal allein aufgewacht, ohne dass mein Gesicht triefend nass war. Aber Gott sei Dank schlafe ich wie ein Baby. Ich lebe gerne in einer Stadt am Strand. Sie setzte sich auf, stapfte zur Ankleide hinüber und öffnete mit einem Daumenabdruck die unterste Schublade. »So, wer möchte ich heute sein? Nicht Sarah. Mal sehen, hier am Ort, Spaß, ohne Hirn, aber kein Tunichtgut … Pamela. Ja, das sollte gehen. Sonnenbräune, perfekte Nägel. Eine Maniküre, eine Pediküre, gründliches Shopping am Nachmittag und dann am Abend ausgehen.« Sie betrachtete ihr Bild im Spiegel. »Genau, was dir der Arzt verschrieben hat, Pamela.«

Sie legte die rosa Handtasche auf die Kommode, schloss die Schublade, griff sich einen winzigen BH und dazu passende Höschen in silbergrauer Spitze. Sie duschte, wusch sich das Haar, färbte die Wurzeln ein wenig nach und dergleichen, da Pamela ja schließlich keine echte Blondine ist. Eine Flasche mit grauer Lotion benutzte sie bedächtig, spülte nach und überprüfte dann das Resultat. Wie immer: keine Flecken, keine Streifen und absolut keine Bräunungsspuren.

Sie ging zum Kleiderschrank zurück, stand einen Augenblick davor, fand in ihre Rolle. »Pamela. Smart, locker. Mag Rosa und Grau.« Sie legte eine rosa Bluse mit einem V-Ausschnitt, graue Schuhe und eine Rupfenstrandtasche aufs Bett und holte flache braune Riemchensandalen aus einem der Fächer in der Wand ihres Kleiderschranks. »Uhr? Ja, braunes Armband, analog.« Sie legte sie zu der Strandtasche.