Als Tagesuniform an Bord war Seide Vorschrift, und Seide knitterte nicht sehr, also brauchte er sich eigentlich nicht umzukleiden. Aber er wollte Makepeace genug Zeit zum Umziehen lassen. Beim Eintreffen in der Abflughalle hatte er gesehen, dass sie sich umziehen musste, aber ein Lieutenant hätte nie gewagt, sie nach der Ursache zu fragen oder auch nur etwas zu bemerken, und deshalb hatte er den Mund gehalten.
Er ließ sich, wie er fand, angemessen Zeit, die Vormittagsakten zu sortieren. Beed würde ihm ganz offensichtlich einiges abverlangen. Seine Unterlagen enthielten als »Hintergrundmaterial« sämtliche Kriminalfälle der letzten zehn Jahre auf Titan, und dazu eine Unmenge statistischer Daten über Militär- wie Zivilpersonal, das zurzeit auf Titan wohnte, sowie einen mit Anmerkungen versehenen Plan des Stützpunkts einschließlich der sorgfältig aufgezeichneten Beobachtungen des CID-Personals, das sie ersetzen würden — die guten Viertel der Stadt, die schlechten Viertel der Stadt, Zuhälter, Dealer, wo sich die Nutten gewöhnlich aufhielten, wo welches Glücksspiel angeboten wurde, welche Geschäfte mit welcher Tong in Verbindung standen. Die Anmerkungen lasen sich wie ein Lexikon des Lasters. Das war so nützlich, dass er bezweifelte, ob es Beeds Idee gewesen war.
Er summte mithilfe der Schiffssprechanlage ihr Quartier an.
»Was kann ich für Sie tun, Lieutenant Pryce?«, meldete sie sich, nur Stimme, Video war abgeschaltet.
»Captain M-Makepeace? Ich dachte, Sie würden vielleicht Zeit haben, sich mit mir zu treffen? Ich habe mir den täglichen Würfel mit der Arbeit für den General angesehen und wollte mit Ihnen darüber reden, wann wir anfangen können. Ich weiß, dass Sie sich noch nicht angemeldet haben, aber der General will offensichtlich vermeiden, dass wir uns langweilen«, fügte er ein wenig verlegen hinzu.
»Na, ist ja großartig. Ich hatte schon Angst, ich müsste mir die Zeit mit alten Filmen und Monopoly vertreiben. Gibt es irgendwo auf diesem Schiff einen Schreibtisch, oder werden wir hier arbeiten müssen?«, fragte sie.
Dass sie die zusätzliche Arbeit so bereitwillig annahm, verschaffte ihr einen Pluspunkt bei ihm. Er überlegte, ob sie versuchen sollten, in der Messe zu arbeiten, aber das würde bedeuten, dass sie dann erst nach der zweiten Frühstücksschicht anfangen konnten und kurz darauf bereits wieder für die beiden Mittagsschichten unterbrechen mussten. Dann malte er sich aus, wie es sein würde, mit Captain Sinda Makepeace in ihrer Kabine zu arbeiten, einem Würfel von weniger als zwei Meter Seitenlänge und mit ihrer Liege als einziger Sitzfläche, und das eine ganze Woche lang. Manchmal war es wirklich nicht leicht, die richtige Entscheidung zu treffen.
»Ich denke, wir werden uns mit der Messe begnügen müssen, und zwar zwischen den Mahlzeiten, Ma’am«, sagte er.
»Soll mir recht sein. Sind Sie jetzt dorthin unterwegs?«
»Ja, Ma’am.«
»Gut. Dann sehen wir uns in ein paar Minuten dort.« Sie drückte den Knopf, der das Gespräch beendete.
Gegenüber früheren Konstruktionen hatte man die modernen Kurierschiffe der Föderation dahingehend verbessert, dass die meisten Bereiche des Schiffes jetzt selbst wahrnehmen konnten, welche Spezies gerade durchkam und die Beleuchtung entsprechend anpassten. Die Wände reflektierten jede Version der Beleuchtung in einer für die Insassen akzeptablen Art und Weise. Für Menschen lief das auf ein schlammiges Braun hinaus, das keine bedrückenden Nebenwirkungen hatte. Trotzdem wirkten die grauen Seidenuniformen in Anbetracht der düsteren Wände ausgewaschen, sodass das amtliche Hellgrün der nur den Menschen zugeteilten Messe geradezu als Erleichterung wirkte. Mit Ausnahme der Erde selbst waren selbstverständlich alle Essbereiche für Menschen nach allgemeinem ästhetischem Dekret der anderen galaktischen Rassen ausschließlich Menschen vorbehalten.
Sie war vor ihm eingetroffen, nun, ihre Kabine lag näher. Stewart sah, dass sie bereits eine halbe Tasse Kaffee intus hatte. Er nahm Haltung an und salutierte, machte dann aber die ganze Wirkung wieder zunichte, indem er mit dem Schenkel an einen Tisch stieß, zusammenzuckte und sich dann wieder aufrichtete.
Makepeace zögerte ungläubig, als sie gerade angefangen hatte, seine Ehrenbezeigung zu erwidern. Er grinste verlegen.
»Ich schätze, ich muss erst noch raumfest werden, Ma’am.«
»Geht schon in Ordnung, Lieutenant. Wie wär’s, wenn Sie sich eine Tasse Kaffee holen würden, dann können wir uns ja gemeinsam den Würfel vornehmen, den der General uns geschickt hat«, sagte sie und lächelte.
»Für Sie auch eine frische Tasse, Ma’am?«, fragte er.
Ihre Augen weiteten sich erschreckt, zweifellos malte sie sich aus, eine Ladung Kaffee auf den Schoß geschüttet zu bekommen.
»Äh, nein! Ich meine, ich habe genug, Lieutenant, vielen Dank.«
Das haben Sie allerdings, Captain, ganz sicherlich sogar. Vielleicht sogar ein wenig zu viel an den Schenkeln, aber alles andere ist wirklich genug. Stewart ging an ihr vorbei zur Kaffeemaschine und unterdrückte dabei ein Grinsen.
Nachdem er seinen Kaffee abgestellt und Platz genommen hatte, zog er seinen PDA heraus und sah sie einen Augenblick lang an, ehe sein Blick sich von ihren Augen löste und sich auf einen Punkt irgendwo über ihrer linken Schulter konzentrierte.
»Darf ich offen sprechen, Ma’am?«
»Was haben Sie auf dem Herzen, Lieutenant?« Sie beugte sich vor, legte die Hände übereinander und sah ihn an, ein Bild ungeteilter Aufmerksamkeit.
»Ma’am, wie viel hat man Ihnen über diesen Job gesagt?«
»Sehr wenig, Lieutenant. Falls Sie etwas aus der Gerüchteküche anzubieten haben, wäre das sehr hilfreich.«
»Sie kommen doch aus der Personalverwaltung, stimmt das, Ma’am?« Als sie nickte, fuhr er fort: »Na ja, worin besteht denn dort die Arbeit?«
»Also ich weiß jetzt nicht recht, warum Sie das wissen wollen, aber in erster Linie hatte ich dafür zu sorgen, dass die richtigen Leute auf die richtigen Posten kamen. Das bedeutet, dass ich die Stellenanforderungen überprüft habe, um mich zu vergewissern, dass sie korrekt waren und nicht etwa ein bisschen verbogen, damit jemand seinen Kumpel unterbringen konnte. Na ja, nicht sehr natürlich«, korrigierte sie sich. »Meistens habe ich die Positionen abgefragt und Optimierungsprogramme laufen lassen und dann hinter den Computern her geprüft, um sicherzugehen, dass deren Empfehlungen auch vernünftig waren. Der menschliche Faktor, Sie wissen schon.«
»Nun ja, Madam, diese Position ist möglicherweise ein wenig … anders … als das, was Sie erwartet haben.«
»Also, konkrete Erwartungen hatte ich eigentlich gar nicht. In welcher Hinsicht anders, Lieutenant Pryce?«
Bei fast jedem erfahrenen Offizier von Fleet Strike hätte das, was er da gesagt hatte, Alarmsignale ausgelöst. Falls ein solches Signal auch in Makepeaces Bewusstsein aufgeflackert war, ließen ihre ernst und ein wenig verwirrt blickenden blauen Augen zumindest nichts davon erkennen. Sie beugte sich nur ein wenig weiter vor, und das verstärkte den Eindruck aufmerksamen Zuhörens eher noch ein wenig.
»Ma’am, erinnern Sie sich vielleicht daran, dass Sie auf dem College ein von einem Computer gelehrtes Wahlfach belegt hatten, das sich Geschichte der juristischen Verwaltung nannte?«
»Okay, was ist damit?«
Ihre blauen Augen wirkten immer noch aufmerksam, aber sonst ohne jeden Ausdruck. Stewart hatte das Gefühl, einem Zombie gegenüberzusitzen.
»Ma’am, General Beed liebt Papier.«
»Na schön. Das kommt nicht sehr häufig vor, aber manchmal sammeln die Leute höchst ungewöhnliche Dinge. Hat er die Sammlung in seinem Büro oder so etwas? Ich werde ihr natürlich die gebotene Bewunderung zollen. Vielen Dank für …«
»Nein, tut mir Leid, wenn ich Sie unterbrechen muss, Ma’am, aber das habe ich nicht gemeint. Er sammelt nicht Papier, er besteht darauf, mit Papier zu arbeiten.«