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Sie richtete sich auf und drehte sich um, hielt die Papiere in der Hand und blickte zu ihm auf. Er befand sich ganz eindeutig innerhalb ihrer Intimsphäre.

»Aber, Sir, das ist doch nicht nötig.« Ihre blauen Augen wurden groß und rund.

»Natürlich nicht, Captain. Aber Sie könnten mir dann erklären, wo Sie alles hintun. Sie würden mir wirklich einen persönlichen Gefallen tun, wenn Sie meine Einladung annehmen, Sinda. Es ist Ihnen doch recht, wenn ich Sie Sinda nenne, oder?« Er lächelte bezaubernd. Das machte er recht gut, die Charmesache. Sie wusste das zu schätzen.

»Aber überhaupt nicht, Sir.« Sie lächelte. »Und Abendessen wäre mir recht.«

Er brachte sie in ein recht elegantes kantonesisches Lokal ein Stück weiter unten am Korridor. Cally gab sich alle Mühe, sich nicht wie ein Tourist zu benehmen. Jedenfalls nicht zu sehr. Von dem Korridor zu sprechen, wurde den Gegebenheiten nicht ganz gerecht. Tatsächlich bestand die »Innenstadt« von Basis Titan aus einem von der Bodenplatte bis zur Kuppeldecke reichenden Stapel von Korridoren, wobei man zwischen den Etagen Räume frei gelassen hatte, sodass man am Geländer einer Etage stehen und bis ganz nach oben oder unten sehen konnte. Dies war einer der wenigen Orte, wo man die gewaltigen Ausmaße des Stützpunkts wirklich wahrnehmen und einigermaßen verarbeiten konnte. Okay, nicht so gigantisch wie die Hologramme von Indowy Wolkenkratzern, die sie gesehen hatte, aber immerhin war sie selbst hier, und Titan fühlte sich echt an. Vermutlich lag das daran, dass so viel TerraTech eingesetzt war. Na schön, auch eine ganze Menge angepasste GalTech, aber wenn dahinter menschliche Arbeit in Firmen auf der Erde steckte, dann zählte das eigentlich nicht.

Nach Beeds Erklärung teilte der Korridor die Basis von Osten nach Westen — Himmelsrichtungen, die man nach der Rotationsachse des Mondes festgelegt hatte, da es keine nennenswerte geo-magnetische Aktivität gab. Im Norden überwachte die Militärpolizei von Fleet Strike ihren eigenen Quadranten, der für Ersatzteile, Produktionsanlagen und die galaktischen Rassen reserviert war, sowie den Korridor selbst. Im Süden war die Sicherheitspolizei von Fleet für ihren eigenen Quadranten zuständig, der Kolonisten, Durchgangsreisenden und Zivilpersonen zugeteilt war und auch den Shuttle-Hafen enthielt. Jemandem, der die ultramachiavellischen Tendenzen der Darhel nicht richtig kannte, mochte es seltsam erscheinen, dass Fleet Strike für die Bewachung von Ersatzteilen und Vorräten zuständig war, die in erster Linie von der Flotte benutzt wurden. Für Cally war das bloß ein weiteres Beispiel dafür, dass man die Dinge komplizierter machen konnte, um sie leichter manipulieren zu können.

Die Besitzer des Restaurants hatten es sich offenbar einiges kosten lassen, mit der Dekoration ein Gefühl kantonesischer Authentizität aufkommen zu lassen und deshalb die GalPlas Wände mit rot-goldener Tapete mit einem Drachenmotiv tapezieren lassen. Die Leuchtfarbe der Tafel vor dem Lokal war so verändert worden, dass man das Gefühl hatte, ein Neonschild vor sich zu sehen, das in englischer Sprache den Namen des Etablissements »The Golden Dragon« verkündete. Anscheinend handelte es sich um ein Restaurant der oberen Klasse, in dem Offiziere, wohlhabende Geschäftsleute und gelegentlich Kolonisten verkehrten, die vor der letzten Etappe nach draußen etwas harte Währung für eine letzte ordentliche Mahlzeit springen ließen.

Trotzdem war es an diesem Montagabend nicht einmal annähernd voll, und man führte sie schnell an einen Tisch in einer Ecke, der von einer kleinen Kugel beleuchtet wurde, die — fast, aber nicht ganz — wie Kerzenlicht flackerte. Neben den Tellern lagen eine zusammengefaltete Serviette aus echtem Stoff, eine Gabel und zwei Essstäbchen aus Plastik. Sie bestellte Hühnchen süß-sauer und eine Frühlingsrolle. Das Lokal gab sich sehr kultiviert, wirkte aber für ihren geübten Blick trotzdem touristenhaft. Da bestellte man am besten etwas, das nicht so leicht zu verpatzen war.

»Konservativer Geschmack?«, fragte er, nachdem er den Phoenix and Dragon bestellt hatte.

»Warum? Habe ich etwas gewählt, was ich nicht hätte nehmen sollen, Sir?« Sie blickte verlegen zur Seite. »Ich dachte nur, es sieht interessant aus. Würden Sie mich für eine … Landpomeranze … halten, wenn ich Ihnen gestehe, dass ich meine Besuche in Restaurants wie diesem an den Fingern einer Hand aufzählen kann?«

»Nein, Captain — Sinda — Hühnchen süß-sauer ist schon in Ordnung.« Er lächelte, es wirkte beinahe sanft. »Ich vergesse manchmal, wie jung einige unserer Offiziere sind.« Ihre Hand lag auf dem Tisch, und er griff hinüber und strich ihr über den Handrücken. Sie fuhr sich mit der Zunge nervös über die Lippen und strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht.

»Jung, aber durchaus eine sehr erwachsene Frau. Nach allem, was ich bis jetzt gesehen habe, sind Sie ein tüchtiger junger Offizier, Sinda«, sagte er.

»Danke, Sir.« Sie drehte sich halb zu ihm herum, und strahlte ihn mit ihren kornblumenblauen Augen an. Beim Durchsuchen seines Büros habe ich das nicht gefunden, was ich brauchte. Vielleicht gelingt es mir, wenn ich den General durchsuche. Außerdem wäre das ein guter Vorwand, etwas für meine überschüssigen Hormone zu tun. Ob ich die Unschuldige spiele? Wird vielleicht am besten sein.

Dienstag, 4. Juni

Am nächsten Morgen begegnete sie Pryce beim Kaffeeautomaten, sah ihn aber, nachdem er dann in Richtung CID weggegangen war, den ganzen Vormittag nicht mehr. General Beed hingegen blieb unübersehbar. Ihre erste Aufgabe am Morgen, so erklärte er ihr, bestand darin, mithilfe ihres PDA sein E-Mail-Konto aufzurufen und seine Korrespondenz auszudrucken und sie für ihn nach Kategorien zu sortieren. Sie musste sich auf die Lippen beißen, um ihn nicht darauf hinzuweisen, dass er die Mails von einem AID oder PDA sortieren, nach Wichtigkeit anordnen und auch in Routinefällen beantworten lassen konnte — er brauchte es nur zu verlangen. Nachdem er sich dann die Korrespondenz angesehen und darauf vermerkt hatte, was damit geschehen sollte, holte sie den Stapel aus seinem Ausgangskorb, um alles durch eine nur leicht verbesserte Version eines Vorkriegskopierers zu jagen, wobei eine Kopie in seine Akte ›Korrespondenzeingang‹ abgelegt werden musste, ehe irgendetwas beantwortet oder in anderer Weise bearbeitet werden durfte.

Der Mann war ganz offenkundig ein Dinosaurier, und wenn er mit ihr sprach, hatte sie manchmal alle Mühe, beim Lächeln nicht mit den Zähnen zu knirschen.

Aber in einem Punkt legte sie sich mit ihm an. Wer auch immer hier den Kaffee machte, sollte von Rechts wegen erschossen werden.

»Sir, ist Ihnen etwas, äh … Seltsames an unserem Kaffee aufgefallen?«, begann sie.

»Er wird hier vor Ort angebaut, in der Hydroponik, Makepeace. Es hat mit der Luft zu tun — Sie werden sich daran gewöhnen.« Er zuckte die Achseln und summte leise vor sich hin, während er sich durch ein paar Berichte des Fleet-Strike-Militärgefängnisses arbeitete.

Der Gefängniskomplex befand sich auf dem Stützpunkt, allerdings in einer völlig separaten Kuppel. Flucht war natürlich möglich. Es hatte auch schon solche Fälle gegeben. Einige Male. Für Fleet Strike war das größte Ärgernis daran, dass man anschließend eine Crew in Anzügen hinausschicken musste, um die Leichen zu bergen. Cally war sich nicht sicher, ob sie es den Gefangenen übel nehmen sollte. In nicht atembarem Smog zu ersticken war vermutlich ein wesentlich angenehmerer Tod als ein Unfall bei Null-g-Arbeit im Orbit, und das war gewöhnlich das Schicksal aller Gefangenen, die nicht eine ausgesprochen kurze Strafe zu verbüßen hatten. Und Gefangene mit kleineren Problemen wurden normalerweise gar nicht erst zur Titan-Basis geschickt.