Stewart fing an, sich eine Liste der Leute zu machen, die er umbringen musste. Der Erste schien irgendwie Probleme zu haben. Jedenfalls fluchte er in einer asiatischen Sprache. Die automatische wörtliche Übersetzung, die die AIDs lieferten, war ziemlich farbenprächtig. Etwas von wegen Affenkotze.
Der Arzt winkte ihn schließlich weg und trat zwischen ihre Beine, überprüfte dort etwas, ehe er ihr etwas in den Oberschenkel injizierte, auf die Uhr sah, ein paar Augenblicke wartete und dann zwischen ihre Beine griff.
»Miss, Sie sind offenbar nicht immun gegen ein Muskelrelaxans. Wie heißen Sie?«, fragte er.
Nach ein paar Sekunden des Schweigens winkte er den Matrosen wieder herein.
Die Gefangene stellte Augenkontakt mit ihm her und sprach.
»Tut mir Leid, für dich wird das ungefähr so aufregend sein, wie wenn man einen nassen Waschlappen bumst«, sagte sie.
»Ich mag Blondinen.« Er packte brutal ihre Brust.
»Wenn du nach deinem Kimtschi starke Pfefferminzgelatine essen würdest, würdest du vielleicht mehr Frauen kennen lernen.« Sie wirkte ungemein gelangweilt. Er hielt plötzlich in seinen Bewegungen inne, fluchte erneut und schlug ihr dann mit dem Handrücken ins Gesicht, zog den Reißverschluss zu und wandte sich ab. Ihre Wange rötete sich, aber ihr Kopf hatte sich keinen Millimeter bewegt.
Sie lachte.
»Oh, schade! Der Nächste?« Wenn ihre Stimme flüssig gewesen wäre, hätte sie sich wie Säure ein Loch in den Boden gebrannt.
Zu behaupten, dass der nächste Matrose, den der Chief sich aussuchte, nicht gerade begeistert wirkte, wäre stark untertrieben gewesen.
»Du wirst nachher Therapie brauchen. So etwas gibt es für Vergewaltigungsopfer. Die Tongs können dir jemand Diskreten nennen.« Ihre Stimme klang kühl und klinisch.
»Chief, die soll aufhören!« Er sah den Unteroffizier mit einem Ausdruck verlegener Verzweiflung an.
Oben prustete Baker in seinen Kaffee. Stewart hatte es bisher geschafft, ihn unter Kontrolle zu halten, indem er ihn mit der Hand am Arm gepackt hielt und jedes Mal zudrückte, wenn er den Eindruck hatte, er würde jetzt die Fassung verlieren.
Die Darhel an der Glasscheibe hechelten wie die Hunde. Stewart war froh, dass er keine Waffe trug.
Der Chief packte sie am Kinn und riss es herum. »Du wirst hier vergewaltigt, du blöde Schlampe, kapierst du das nicht?! Wie heißt du?«
»Ich werde nicht vergewaltigt. Er wird das. Ich liege doch bloß hier und sehe mir die Amateurnacht an.«
In der Halle oben zuckte einer der Darhel plötzlich in Richtung auf die Glaswand, ehe er aufstand und sich in einer fließenden Bewegung aus dem Raum entfernte.
Unten zog sich der Bütteltrupp aus dem Raum zurück und ließ »Mahri« liegen, wo sie war. Offenbar wollten sie sich eine neue Taktik überlegen. Die armen Teufel. Sie taten ihm richtig Leid!
Basis Titan, Frachthafen
Mittwoch, 19. Juni, 12:00
Tommy schlug sich mehrmals hintereinander mit der flachen Hand gegen die Stirn, als Papa O’Neal von den Plänen des Militärgefängnisses aufblickte.
»Sunday, was ist denn los?« Der Ältere klopfte seine Taschen ab und fand schließlich einen leeren Beutel, seufzte und fing an, seinen Rucksack zu durchwühlen.
»Papa, ich habe Mist gebaut. Ganz großen Mist. Das ist jetzt so lange her, dass ich ihn einfach nicht erkannt habe.« Seine Gesichtsfarbe war ganz grau geworden, er sah krank aus.
»Wen erkannt? Vielleicht tust du mir den Gefallen und fängst von vorne an, ich komm da nämlich nicht mit.« Er fand einen frischen Beutel und schnitt sich geistesabwesend einen Priem ab, drehte sich dann um und sah seinen Teamkollegen mit geduldiger Miene an.
»Ich hätte wissen müssen, dass das eine Falle war. Und wenn ich aufgepasst hätte, hätten wir das auch. Mein Gott, hab ich Scheiß gebaut!«
»Tommy, wenn du jetzt nicht von vorne anfängst, kriegst du es ernsthaft mit mir zu tun. Komm schon, tief durchatmen, und dann sag es mir.«
»Von Anfang an. Okay. Sarah, Hologramm von Lieutenant Joshua Pryce aus der ersten Einsatzbesprechung zeigen.« Das AID baute gehorsam das verlangte Bild vor ihnen in der Luft auf.
»Na und?« O’Neal machte eine ungeduldige Handbewegung.
»Und? Ich kenne den Mistkerl. Vor gut vierzig Jahren habe ich mit ihm zusammen bei den GKA gedient. Ja, vierzig Jahre ist das her … wir waren damals beide bei der Triple-Nickle, zusammen mit Mike junior. Er war der S-2 des Bataillons in Rabun. Wenn ich ihn erkannt hätte, hätten wir Cally nicht verloren.«
Papa O’Neal blieb ein paar Augenblicke lang stumm.
»Das ist ja ein dicker Hund.« Er verstummte erneut. »Aber nach vierzig Jahren … und außerdem, wenn du ihn erkannt hättest, hätten wir Jay nicht erwischt. Dann hätten wir wer weiß wie viele andere Leute verloren, vielleicht sogar alle, je nachdem, wen Jay noch verraten hätte«, gab er mit ruhiger Stimme zu bedenken. »Also, wer zum Teufel ist das wirklich? Ein Runderneuerter ganz offensichtlich.«
»Jetzt ist er Major General James Stewart. Er hat gerade das Kommando über die Dritte MP-Brigade übernommen. Das ist der Mistkerl, der sie geschnappt hat, der Mistkerl, der für alles das zuständig ist, was die ihr gerade antun. Und Mike ist für ihn so etwas Ähnliches wie ein Vater!«
O’Neal starrte zwei, drei Minuten lang stumm ins Leere, und seine Kinnmuskeln arbeiteten. Dann atmete er tief ein und ließ die Luft langsam wieder entweichen.
»Das stimmt im Großen und Ganzen. Sag mir bloß nicht, du wüsstest inzwischen nicht, dass die Darhel das Sagen darüber haben, was die ihr antun. Stewart erlebt wahrscheinlich jetzt gerade zum allerersten Mal, wie kurz die Zügel sind, an denen die ihn führen. Ich meine, er muss es gewusst haben. Aber es zu wissen und es am eigenen Leib zu erleben, sind zwei Paar Stiefel.« Er spuckte in seinen Becher und legte dann den Kopf etwas zur Seite, als wäre ihm gerade etwas eingefallen.
»Mach dir keine Vorwürfe, Sunday. Vielleicht hast du uns gerade den Hebel geliefert, den wir brauchen, um sie dort rauszuholen. Lass mir … lass mir einfach ein paar Minuten Zeit, ja? Und hör gefälligst auf, dir Vorwürfe zu machen.«
Der Ältere stand auf, ging nach hinten und fing an auf und ab zu gehen, Tommy konnte sogar hören, wie er leise vor sich hin summte, ohne dass eine Melodie zu erkennen gewesen wäre.
Basis Titan, Militärgefängnis, Sektion Fleet Strike
Mittwoch, 19. Juni, 18:30
James Stewart war schon lange gegen all das abgestumpft, was man Sinda antat. Dazu trugen zu gleichen Teilen seine Wut, das Entsetzen und ganz besonders die Notwendigkeit bei, sein Pokergesicht zu wahren, falls er je Gelegenheit bekommen sollte, Sinda zu retten. Er war nicht bereit, sie »Mahri« zu nennen — das war der Name, den die benutzten. Sinda hieß sie auch nicht, aber so hatte sie sich ihm gegenüber genannt, und einen anderen Namen kannte er nicht.
Als GKA-Soldat hatte er unbeschreiblich schreckliche Dinge erlebt, die die Posleen Menschen und die umgekehrt auch Menschen Posleen angetan hatten. Und noch früher, in seiner Gang, hatte er wahrscheinlich auch recht schlimme Dinge gesehen, die Menschen anderen Menschen angetan hatten. Jedenfalls ein paar Morde.
Aber er hatte noch nie erlebt, wie eine Gruppe von Menschen einem anderen menschlichen Wesen so etwas antat. Dabei hatte er geglaubt, es gebe nichts, was ihn noch erschüttern könnte. Damit hatte er Unrecht gehabt. Trotzdem, wenn er nicht die Fähigkeit besäße, abzuschalten und sein Bewusstsein an jenen kalten, effizienten Ort zu verlagern, wo es Barrieren gegen all das Schreckliche gab, dann befände er sich jetzt vermutlich in einer Zelle oder man hätte ihn erschossen — na schön, erneut auf ihn geschossen — und würde niemandem nutzen können.