»Gut!« Tolpan setzte seine Füße fest in die Vertiefungen aus schwarzem Kristall, holte zitternd Atem und streckte dann seine Hände aus, um sie auf die Kristallkugeln zu legen...
»Verdammt!« schrie er bestürzt und starrte hoch. »Ich bin zu klein!«
Er sah auf Ronnie hinab und winkte ihn zu sich. »Ich vermute, die Hände müssen nicht an der Kugel sein und gleichzeitig in den schwarzen Kreisen stehen?«
Tolpan hatte unglücklicherweise das Gefühl, daß er die Antwort bereits kannte, und das war genauso gut. Die Frage hatte Ronnie dermaßen in Verwirrung versetzt, daß er Tolpan lediglich mit sperrangelweitem Mund angaffen konnte.
Während er den Gossenzwerg anfunkelte – einfach weil er in seiner Enttäuschung etwas anfunkeln mußte —, entschied sich Tolpan zu dem Versuch, hochzuspringen, um die Kugeln zu berühren. Er konnte sie zwar erreichen, aber sobald seine Füße die schwarzen Kristallkreise verließen, wurde das blauweiße Licht trüb.
»Und was nun?« stöhnte er. »Caramon oder Tanis könnten sie problemlos erreichen, aber sie sind unten, und nach den Geräuschen zu urteilen werden sie auch eine Weile nicht hochkommen. Was kann ich nur tun? – Ronnie!« sagte er plötzlich, »Komm hier hoch!«
Ronnies Augen verengten sich argwöhnisch. »Mir nicht erlaubt«, sagte er und begann, langsam zurückzuweichen.
»Warte! Ronnie! Geh nicht weg!« schrie Tolpan. »Schau, du bist doch gekommen, um mir zu helfen! Wir fliegen dieses Ding gemeinsam!«
»Ich?« keuchte Ronnie. Seine Augen wurden groß wie Tassen. »Fliegen? Wie großer Zaubererboß?«
»Ja, Ronnie! Komm schon. Kletter einfach hoch und stell dich auf meine Schultern, und...«
Ein Ausdruck der Verwunderung erschien auf Ronnies Gesicht. »Ich«, hauchte er mit einem stürmischen Seufzer der Glückseligkeit, »fliegen wie großer Zaubererboß!«
»Ja, Ronnie, ja«, sagte Tolpan ungeduldig, »nun, beeil dich, bevor – bevor der große Zaubererboß uns erwischt.«
»Mich beeilen«, sagte Ronnie, krabbelte auf die Plattform und von dort auf Tolpans Schulter. »Mich beeilen. Ich immer schon fliegen wollen wie...«
»Hier, ich halte dich an den Knöcheln fest. Jetzt, autsch! Laß meine Haare los! Du ziehst daran! Ich werde dich nicht fallen lassen. Nein, richte dich auf. Steh auf, Ronnie. Richte dich einfach langsam auf. Es wird alles gut sein. Siehst du, ich habe deine Knöchel. Ich lass’ dich nicht fallen. Nein! Nein! Du mußt das Gleichgewicht...«
Kender und Gossenzwerg purzelten übereinander.
»Tolpan!« Caramons Stimme kam die Treppe hoch.
»Nur eine Minute! Hab’s fast geschafft!« schrie Tolpan, riß Ronnie auf die Füße und schüttelte ihn kräftig. »Jetzt aber, Gleichgewicht, Gleichgewicht!«
»Gleichgewicht, Gleichgewicht«, brummte Ronnie, und seine Zähne schlugen aufeinander.
Tolpan nahm wieder seinen Platz in den schwarzen Kristallkreisen ein, und Ronnie kletterte wieder auf seine Schultern. Dieses Mal gelang es dem Gossenzwerg, sich aufzurichten. Tolpan atmete auf. Ronnie streckte seine schmutzigen Hände aus, und nach einigen erfolglosen Versuchen legte er sie behutsam auf die schwarzen Kristallkugeln.
Im selben Moment fiel ein Lichtvorhang von dem leuchtenden Kreis an der Decke herab und bildete eine strahlende Wand um Tolpan und den Gossenzwerg. An der Decke erschienen Runen und glühten rot und violett.
Und mit einem Satz, der das Herz zum Stillstand brachte, begann sich die fliegende Zitadelle zu bewegen.
Unten an der Treppe, die zu den Kreisen des Windes führte, ließ der plötzliche Ruck die Drakonier und ihren Zauberkundigen auf den Boden stürzen. Tanis fiel rücklings gegen eine Mauer, und Caramon landete neben ihm.
Ohne auf Tanis und Caramon weiter zu achten, lief der Bozak-Zauberer schreiend und fluchend auf die Wendeltreppe zu, die zu den Kreisen des Windes führte, wobei er rücksichtslos auf seine eigenen Männer trampelte, die im Korridor verstreut lagen.
»Halt ihn auf!« knurrte Caramon und schob sich von der Wand, während sich die Zitadelle wie ein sinkendes Schiff zur Seite neigte.
»Ich werde es versuchen«, murmelte Tanis, dem es den Atem verschlagen hatte, »aber ich glaube, das Armband ist fast aufgebraucht.«
Er machte einen Satz auf den Bozak zu, aber die Zitadelle schlug plötzlich in die entgegengesetzte Richtung um. Tanis verfehlte seinen Gegner und purzelte auf den Boden. Der Bozak, der nur noch von dem Gedanken besessen war, die Gauner aufzuhalten, die da Hand an seine Zitadelle gelegt hatten, stolperte weiter auf die Stufen zu. Caramon zog seinen Dolch und schleuderte ihn in den Rücken des Zauberers. Aber die Waffe prallte gegen eine magische Barriere um die schwarzen Roben und fiel, ohne ihn zu erreichen, auf den Boden.
Der Bozak hatte gerade die unterste Stufe der Wendeltreppe erreicht, die anderen Drakonier hatten eben erst ihren Halt wiedergefunden, und Tanis hatte den Bozak fast eingeholt, als die Zitadelle steil nach oben in den Himmel hüpfte. Der Bozak fiel mit dem Rücken auf Tanis, Drakonier flogen in alle Richtungen, und Caramon, dem es gerade noch gelungen war, sich auf den Beinen zu halten, stürzte seinerseits über den Zauberer.
Die abrupten Drehungen der Festung schwächten die Konzentration des Magiers – und sein Schutzzauber versagte. Der Drakonier kämpfte verzweifelt mit seinen Klauenhänden, aber Caramon zerrte ihn von Tanis weg und stieß sein Schwert in den Bozak, gerade als der einen weiteren Zauber herbeirufen wollte.
Der Körper des Drakoniers löste sich sofort in eine grauenhafte gelbe Pfütze auf, aus der Schwaden eines ekelhaften, giftigen Rauches durch die Kammer zogen.
»Verschwinde hier, Caramon!« schrie Tanis und taumelte hustend auf ein offenes Fenster zu. Er lehnte sich nach draußen, atmete tief die frische Luft ein und hielt plötzlich erschreckt den Atem an.
»Tolpan!« schrie er, »wir fliegen in die falsche Richtung! Ich sagte Nordwesten!«
Er hörte die schrille Stimme des Kenders schreien: »Denk Nordwest, Ronnie! Nordwest.«
»Ronnie?« murmelte Caramon hustend und starrte Tanis voller Unruhe an.
»Wie ich an zwei Richtungen gleichzeitig denken?« wollte eine Stimme wissen. »Wollen du gehen Norden oder wollen du gehen Westen? Entscheiden dich.«
»Nordwesten!« schrie Tolpan. »Es ist eine Rich... Oh, vergiß es. Sieh mal, Ronnie, du denkst Norden, und ich denke Westen. Das könnte funktionieren.«
Caramon schloß die Augen, stieß einen verzweifelten Seufzer aus und ließ sich gegen eine Wand fallen.
»Tanis«, sagte er. »Vielleicht solltest du lieber...«
»Keine Zeit«, unterbrach ihn Tanis grimmig, das Schwert in der Hand. »Da kommen sie.«
Aber die Drakonier waren völlig verwirrt über den Tod ihres Anführers und völlig unfähig, zu begreifen, was mit ihrer Zitadelle jetzt geschah. Daher beäugten sie sich gegenseitig nur voller Mißtrauen. Im selben Moment änderte die fliegende Zitadelle wieder ihren Kurs und steuerte jetzt nordwestlich. Gleichzeitig ließ sie sich ungefähr sechs Meter fallen.
Die Drakonier wandten sich zur Flucht, strauchelten, schoben und rutschten zurück in den Korridor und verschwanden durch die Geheimtür, aus der sie gekommen waren.
»Aber die Richtung stimmt jetzt endlich«, erklärte Tanis, der aus dem Fenster gesehen hatte. Caramon trat neben ihn und sah den Turm der Erzmagier immer näher und näher rücken.
»Gut! Laß mal sehen, was oben los ist«, murmelte Caramon und begann die Stufen hochzusteigen.
»Nein, warte.« Tanis hielt ihn auf. »Tolpan kann offensichtlich nichts erkennen. Wir müssen ihn einweisen. Außerdem können diese Drakonier jeden Moment zurückkommen.«
»Da könntest du recht haben«, stimmte ihm Caramon zu und spähte voller Besorgnis die Stufen hoch.
»Wir dürften in einigen Minuten dort sein«, sagte Tanis und lehnte sich erschöpft gegen den Fensterrahmen. »Aber wir haben hoffentlich genug Zeit, daß du mir erklären kannst, was eigentlich los ist.«
»Es ist schwer zu glauben«, murmelte Tanis und sah wieder aus dem Fenster, »selbst von Raistlin.«