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»Ich weiß«, sagte Caramon. In seiner Stimme lag Trauer. »Ich wollte es auch nicht glauben, sehr lange Zeit nicht. Aber als ich ihn vor dem Portal stehen sah und als er mir erzählte, was er mit Crysania vorhatte, wußte ich, daß das Böse endgültig seine Seele besetzt hält.«

»Dann hast du recht, du mußt ihn aufhalten«, sagte Tanis und legte seine Hand auf den Arm des großen Mannes. »Aber, Caramon, bedeutet es, daß du ihm in die Hölle folgen mußt? Dalamar ist im Turm und wartet am Portal. Sicherlich könnt ihr beide zusammen verhindern, daß Raistlin zurückkehrt. Dazu brauchst du doch nicht selbst das Portal zu betreten...«

»Nein, Tanis«, widersprach ihm Caramon kopfschüttelnd. »Vergiß nicht – Dalamar hat schon einmal versagt, Raistlin aufzuhalten. Irgend etwas wird dem Dunkelelf zustoßen – etwas, das ihn abhält, diese Aufgabe zu erfüllen.« Caramon griff in seinen Rucksack und zog die ledergebundenen »Chroniken« hervor.

»Vielleicht kommen wir noch rechtzeitig an, um das zu verhindern«, sagte Tanis, den ein seltsames Gefühl beschlich, als sie so über eine Zukunft redeten, die bereits beschrieben war.

Caramon schlug eine Seite auf, die er markiert hatte, und überflog sie. Dann stieß er ein leises Pfeifen aus.

»Was ist denn?« fragte Tanis und beugte sich vor, um auch lesen zu können. Caramon schlug eilig das Buch zu.

»Es stimmt, etwas wird ihm zustoßen«, murmelte der große Mann und vermied dabei, Tanis anzuschauen. »Kitiara tötet ihn.«

5

Dalamar saß allein im Laboratorium des Turms der Erzmagier. Die Wächter des Turms, die Lebenden und die Sterbenden, standen auf ihrem Posten am Eingang. Sie warteten... beobachteten.

Durch das Turmfenster konnte Dalamar die Stadt Palanthas brennen sehen. Der Dunkelelf hatte den Verlauf der Schlacht von einem Aussichtspunkt hoch oben im Turm beobachtet. Er hatte Lord Soth das Tor betreten sehen, er hatte die Ritter sich zerstreuen und fallen sehen, er hatte die Drakonier von der fliegenden Zitadelle herunterspringen sehen. Und die ganze Zeit über, in der die Drachen hoch oben ihre Schlacht austrugen, strömte ihr Blut wie Regen auf die Straßen der Stadt hinab.

Der letzte Blick, den er erhaschte, bevor emporsteigender Rauch seine Sicht trübte, zeigte ihm die fliegende Zitadelle, wie sie in seine Richtung zu treiben begann, sich langsam und sprunghaft bewegte, einmal ihre Entscheidung zu ändern schien und wieder zurück auf das Gebirge zusteuerte. Verwirrt beobachtete Dalamar das Manöver eine Weile und fragte sich, was das zu bedeuten hatte. Plante Kitiara, auf diesem Weg in den Turm zu gelangen?

Der Dunkelelf verspürte einen Augenblick Angst. Konnte die Zitadelle über den Eichenwald von Shoikan fliegen? Ja, erkannte er plötzlich, sie konnte das! Seine Hand ballte sich zur Faust. Warum hatte er diese Möglichkeit nicht vorausgesehen? Er starrte aus dem Fenster und verfluchte den Rauch, der sein Blickfeld immer mehr verschleierte. Während er sie beobachtete, änderte die Zitadelle wieder ihren Kurs und taumelte durch den Himmel wie ein Betrunkener, der seine Wohnung sucht.

Aber dann steuerte sie doch wieder auf den Turm zu, diesmal im Schneckentempo. Was ging da vor sich? War der Pilot verwundet? Dalamar starrte auf die Zitadelle und versuchte, etwas zu erkennen. Doch bald zog dichter schwarzer Rauch an den Fenstern vorbei und verbarg die Zitadelle vollständig vor seinen Blicken. Der Gestank von brennendem Hanf und Pech war stark. Die Lagerhäuser, dachte Dalamar. Im selben Moment, wo er sich mit einem Fluch vom Fenster abwenden wollte, wurde seine Aufmerksamkeit auf ein kurzes Aufflackern bei einem Gebäude fast direkt ihm gegenüber gelenkt – dem Tempel Paladins. Selbst durch den Rauch sah er, daß das Aufflackern heller wurde, und er konnte sich ausmalen, wie die weißgekleideten Kleriker mit schwingenden Keulen und Stöcken Paladin anriefen, während sie ihre Feinde erschlugen.

Dalamar lächelte grimmig und schüttelte den Kopf, während er an dem großen Steintisch mit seinen Flaschen und Krügen und Bechern vorbei schnell durch den Raum schritt. Die meisten Behälter hatte er beiseite geschoben, um Platz für seine Zauberbücher, Rollen und magischen Geräte zu schaffen. Er betrachtete sie zum hundertsten Mal und überzeugte sich, daß alles bereit stand. Dann ging er eilig an den Regalen mit den nachtblaugebundenen Zauberbüchern von Fistandantilus und an den Regalen mit Raistlins eigenen schwarzgebundenen Zauberbüchern vorbei. Er erreichte die Tür zum Laboratorium, öffnete sie und rief ein Wort in die Dunkelheit.

Augenblicklich glimmte ein Paar Augen vor ihm auf, und ein Spektralkörper schimmerte mal heller und mal dunkler, als ob er von heißen Winden bewegt würde.

»Ich will Wächter oben auf dem Turm«, befahl Dalamar.

»Wo, Lehrling?«

Dalamar dachte nach. »An der Tür, die vom Gang des Todes nach unten führt. Stell sie dort auf.«

Die Augen schlossen sich flackernd als kurze Bestätigung und verschwanden dann wieder. Dalamar kehrte zum Laboratorium zurück. Entschieden schloß er die Tür hinter sich. Dann zögerte er und hielt ein. Er konnte die Tür mit Zaubersprüchen belegen, die jeden vom Eintreten abhalten würden. Das war eine übliche Gepflogenheit von Raistlin im Laboratorium gewesen, wenn er heikle magische Experimente ausgeführt hatte, bei denen sich die kleinste Störung als tödlich erweisen konnte. Ein Atemzug im falschen Moment hätte magische Kräfte freisetzen können, die sogar den Turm hätten zerstören können. Dalamar stockte. Seine grazilen Finger berührten die Tür, und die Worte lagen auf seinen Lippen.

Nein, dachte er dann. Ich selbst werde vielleicht Hilfe benötigen. Die Wächter müssen ungehindert eintreten könnten, und vielleicht bin ich nicht in der Lage, einen Zauber zu entfernen. Er ging zurück durch den Raum und setzte sich auf den bequemen Stuhl, den er am liebsten benutzte – den Stuhl hatte er aus seinen Gemächern herbeigeschafft, um die Langeweile seiner Wache zu mindern.

»Falls ich nicht in der Lage bin, einen Zauber zu entfernen.« Dalamar sank in die weichen Samtkissen des Stuhls und dachte über den Tod und das Sterben nach. Sein Blick glitt zum Portal. Es sah aus wie immer – fünf Drachenköpfe, jeder in einer anderen Farbe, das Gesicht nach innen gerichtet, die fünf Mäuler in fünf stummen Rufen zur Huldigung ihrer Dunklen Königin geöffnet. Es sah aus wie immer – die Köpfe dunkel und starr, die Leere innerhalb des Portals war unverändert. Oder? Dalamar blinzelte. Vielleicht war es nur seine Phantasie, aber er hatte das Gefühl, daß die Augen der Köpfe leicht zu leuchten angefangen hatten.

Die Kehle des Dunkelelfen schnürte sich zusammen. Seine Handflächen begannen zu schwitzen, und er wischte sie an seinen Roben ab. Tod, sterben. Würde es soweit kommen? Seine Finger fuhren über die silbernen Runen, die in das schwarze Gewebe eingestickt waren, Runen, die bestimmte magische Angriffe hemmen und bannen würden. Er sah auf seine Hände. Der schöne, grüne Stein eines Heilringes funkelte dort – ein machtvolles magisches Hilfsmittel. Aber seine Heilkraft konnte nur einmal in Anspruch genommen werden.

Eilig wiederholte Dalamar im Geist noch einmal Raistlins Lektionen, wie man beurteilte, ob eine Wunde tödlich war und sofortiger Heilung bedurfte oder ob die Heilkraft des Ringes aufgespart werden konnte.

Dalamar schauderte. Er meinte die Stimme des Meisters hören zu können, wie er kalt und nüchtern die verschiedenen Schmerzstufen erörterte. Er meinte seine Finger mit dieser seltsamen inneren Hitze spüren zu können, wie sie über verschiedene Teile seines Körpers fuhren und auf die lebenswichtigen Organe hinwiesen. Wie im Reflex glitt Dalamars Hand zu seiner Brust, wo die fünf Wunden, die Raistlin in sein Fleisch gebrannt hatte, für alle Ewigkeiten bluten und eitern würden. Gleichzeitig brannten sich Raistlins Augen in sein Gedächtnis – spiegelgleich, golden, flach, tödlich.

Dalamar zuckte zusammen. Machtvolle Magie umgibt mich und beschützt mich, sagte er sich. Ich bin in der Kunst geübt. Zwar nicht so geübt wie er, aber der Meister wird verwundet, geschwächt und halbtot durch das Portal kommen! Es kann kein Problem sein, ihn zu vernichten! Dalamars Hände ballten sich zu Fäusten. Warum ersticke ich dann fast vor Angst? fragte er sich.