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»Was wollt Ihr damit sagen?« fragte Cathérine.

»Daß ihm am Leben nichts mehr liegt! Ich würde sagen … ja, ich würde sagen, daß er glücklich ist zu sterben! Ich habe noch nie einen Menschen gesehen, der so gelassen zu seinem eigenen Ende beiträgt.«

»Aber ich will, daß er lebt!« lehnte Cathérine sich in einer fast kindlichen Zornesanwandlung auf. »Man muß ihn zwingen!«

»Da kannst du nichts machen! So ist es eben! Ich glaube, er hält seine irdische Aufgabe für beendet, seitdem du deinen Gatten wiedergefunden hast.«

»Wollt Ihr damit sagen, daß ich ihn nicht mehr interessiere?«

»Du interessierst ihn nur zu sehr, meiner Meinung nach! Und genau aus diesem Grunde, denke ich mir, ist er froh zu sterben.«

Diesmal antwortete Cathérine nicht. Sie verstand, was der kleine Arzt sagen wollte. Gauthier glaubte, nachdem sie Arnaud nun wiedergefunden hatte, sei kein Platz mehr für ihn in ihrem Leben. Vielleicht hatte der Gefährte ihrer dunklen Tage auch nicht den Mut, an ihrem Glück teilzunehmen. Das konnte sie verstehen, wenn sie sich auch jetzt wegen der Nacht von Coca Vorwürfe machte, als wäre es ein Verbrechen gewesen. Indem sie ihn vor dem Wahnsinn rettete, hatte sie eine Mauer zwischen ihnen errichtet.

In jedem Fall mußte Gauthier die Gemahlin Arnauds de Montsalvy verlassen …

»Wie lange wird er noch leben?« fragte sie.

Abu zuckte die Schultern.

»Wer kann das wissen? Vielleicht noch einige Tage, aber ich glaube eher, nur einige Stunden. Seine Kräfte lassen schnell nach … dennoch hatte ich gehofft, daß die Meeresluft einen wohltuenden Einfluß auf ihn haben würde!«

Das Meer! Cathérine hatte es mit ungläubigem Staunen von einem Hügel aus erblickt. Es breitete sich, so weit das Auge reichte, schimmernd, seidig, von einem tiefen, prächtigen Blau, in dem die Sonne Diamanten funkeln ließ. Es umrahmte einen goldfarbenen, weichen Strand, eine riesige Stadt* von blendender Weiße, die von einer ebenso weißen Festung beherrscht wurde, und einen Hafen, in dem Schiffe mit vielfarbigen Segeln schaukelten. Hohe Palmen wiegten ihre dunkelgrünen Wedel im Meereswind gegen den blendendblauen Himmel.

Die Stadt lag am Ausgang eines von Orangen- und Zitronenbäumen strotzenden Tals, und Cathérine überlegte sich, daß sie sich noch nie eine solche Landschaft ausgemalt hatte. Das Meer, wie sie es einst in Flandern, an den Küsten Herzog Philippes, mit einer Art abergläubischer Furcht gesehen hatte, war graugrün, ungestüm, mit hohen, schäumenden Wellenkämmen, oder glatt, in der Farbe welkenden Dünengrases, das der Wind zerzauste.

Ihren Kummer einen Augenblick vergessend, hatte sie Arnauds Hand gesucht.

»Schau! Das ist bestimmt der schönste Ort der Welt. Würden wir nicht sehr glücklich sein, wenn wir hier lebten, wir beide ganz allein?«

Aber er hatte den Kopf geschüttelt, in seinen Mundwinkeln war die harte Falte erschienen, die Cathérine so gut kannte, und der Blick, mit dem er das wunderbare Land umfaßte, enthielt etwas wie Verbitterung.

»Nein! Wir würden nicht glücklich sein! Es unterscheidet sich zu sehr von dem, was wir gewohnt sind. Wir – besonders ich – sind nicht für dieses weichliche, anmutige Land geschaffen, dessen Zauber Grausamkeit, Laster, wilde Triebe und den Glauben an einen Gott verbirgt, der nicht der unsrige ist. Um auf islamischem Boden zu leben, muß man erobern, töten, zerstören und herrschen. Dann nur ist ein Leben für Leute wie uns möglich … Glaube mir, unsere rauhe, alte Auvergne, sollten wir sie eines Tages wiedersehen, wird uns sehr viel mehr wahres Glück geben.«

In dieser Epoche war Almeria eine sehr große Stadt, bedeutender noch als Granada.

Er lächelte über ihr enttäuschtes Gesicht, drückte ihr rasch einen Kuß auf die Augen und ging zu Mansour hinüber. Der Trupp hatte auf diesem schattigen Hügel haltgemacht, um eine Art Kriegsrat zu halten. Cathérine verließ Gauthier einen Augenblick, glitt aus der Sänfte und ging zu den Männern. Mansour zeigte auf die weiße Festung über der Stadt.

»Das ist die Alkazaba. Der Fürst Abdallah residiert dort sehr oft, er zieht sie seinem Palast am Meer vor. Er ist erst fünfzehn Jahre alt, lebt aber nur für die Waffen und den Krieg. Auf diesem Gebiet hast du nichts mehr vom Kalifen zu fürchten«, sagte er zu Arnaud. »Was beabsichtigst du zu tun?«

»Ein Schiff zu finden, das uns in unser Land zurückbringt. Hältst du das für möglich?«

»Ich habe zwei in diesem Hafen vor Anker liegen. Mit dem einen werde ich zu meinen afrikanischen Ländereien segeln, um dort über meine Rache nachzudenken. Das andere wird dich und die Deinen in die Nähe von Valencia bringen. Seitdem der Cid uns daraus vertrieben hat«, fügt er bitter hinzu, »laufen die Schiffe des Islams diesen Hafen nicht mehr an, nicht einmal, um Handel zu treiben, wohingegen wir häufig fremde Kaufleute bei uns aufnehmen. Der Kapitän wird euch bei Nacht an Land setzen. In Valencia wirst du mühelos ein Schiff finden, das dich nach Marseille bringt.«

Arnaud nickte zustimmend. In Marseille, einer Besitzung der Königin Yolande, Gräfin der Provence, wäre er tatsächlich beinah zu Hause, und aus seinem Lächeln erriet Cathérine die Freude, die er bei diesem Gedanken empfand. Er würde sein einstiges Leben wiederfinden, das er so lange für immer verloren geglaubt hatte, das Leben der Waffenbrüderschaft, des Kampfes, denn ganz im Grunde zweifelte die junge Frau, ob er sich mit einem friedlichen Dasein im Schloß von Montsalvy zufriedengeben würde, das die Mönche zu dieser Stunde wieder aufbauten … Aber das Lächeln Arnauds schwand und machte einer sorgenvollen Miene Platz.

»Können wir noch in dieser Nacht aufbrechen?«

»Warum so eilig? Abdallah wird dir die brüderliche Gastfreundschaft gewähren, die ich selbst dir geboten hätte, wenn ich dich in den Maghreb hätte führen können. Auf diese Weise wirst du eine weniger schlechte Erinnerung an den Islam bewahren.«

»Ich bin dir verbunden. Sei gewiß, daß ich eine gute Erinnerung bewahren werde, wenn nicht an den ganzen Islam, so zumindest an dich, Mansour. Dir zu begegnen, ist ein Segen des Himmels gewesen, und ich bin ihm dankbar dafür! Aber da ist der Verwundete …«

»Er ist verloren. Der Arzt hat es euch gesagt.«

»Ich weiß … Wenn er aber durchhalten könnte, bis wir die Erde Frankreichs erreicht hätten!«

Eine Anwandlung von Zärtlichkeit überkam Cathérine. Dieses Feingefühl Arnauds gegenüber dem bescheidenen Gauthier rührte sie zutiefst. Der Normanne würde sterben, gewiß, aber Montsalvy weigerte sich, seine sterblichen Überreste im Land der Ungläubigen zurückzulassen. Sie hob ihren dankbar strahlenden Blick zu ihrem Gatten. Mansour erwiderte nach einem Augenblick des Schweigens langsam: »So lange wird er nicht mehr leben! Doch ich verstehe deinen Gedanken, mein Bruder! Es soll nach deinem Wunsche geschehen. Noch heute nacht wird mein Schiff Segel setzen … Vorwärts also.«

Er stieg zu Pferd. Cathérine kehrte in die Sänfte zurück, wo Gauthier einen Augenblick das Bewußtsein wiedererlangt hatte. Sein Atmen wurde von Stunde zu Stunde schwieriger und mühsamer. Sein riesiger Körper schien in dem Maße, in dem die Zeit verrann, zu schrumpfen, und sein Gesicht nahm eine bleierne Farbe an, bereits vom Schatten des Todes berührt. Aber er warf Cathérine einen Blick des Erkennens zu, und sie lächelte ihn an.

»Schau«, sagte sie sanft, den Vorhang zurückschlagend, damit er hinaussehen konnte, »da ist das Meer, das du immer so geliebt und von dem du mir soviel erzählt hast. An seinem Gestade wirst du genesen …«

Er schüttelte den Kopf. Der Anflug eines Lächelns huschte über seine weißen Lippen.

»Nein … und es ist besser so! Ich werde … sterben!«

»Sag das nicht!« wandte Cathérine zärtlich ein. »Wir werden dich pflegen, wir …«